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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1295–1297

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Campi, Emidio [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Petrus Martyr Vermigli. Humanismus, Republikanismus, Reformation.

Verlag:

Hrsg. in Zusammenarbeit m. F. A. James III. u. P. Opitz. Genève: Droz 2002. 326 S. 4 = Travaux d'Humanisme et Renaissance, 365. Lw. Euro 80,00. ISBN 2-600-00653-2.

Rezensent:

Stefan Strohm

Petrus Martyr Vermigli (1499-1562) aus Florenz - Augustiner, an Aristoteles und Thomas gebildet, in den alten Sprachen aus eigenem Interesse wohlunterrichtet, zum Reformer im Orden bestellt, durch die Begegnung mit Juan de Valdés und Bernardino Ochino vom Evangelium erfasst, Kirchenreformer in Italien (Lucca), von wo er floh, in Bucers Straßburg 1542 Professor, sodann 1547 im Anschluss an den kaiserlichen Sieg von Cranmer nach Oxford berufen, 1553 nach dem Regierungsantritt Maria Tudors wieder in Straßburg, wegen Marbachs Wirken dort 1556 endlich als biblischer Lehrer in Zürich - hat zu seinem 500. Geburtstag in Kappel am Albis (Schweiz) in einem durch das "Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte in Zürich" ausgerichteten Symposion eine wissenschaftlich fruchtbare Ehrung erhalten. Die 19 in Deutsch oder Englisch gedruckten Referate sind in dem anzuzeigenden Buch versammelt. Das Vorhaben, "die europäische Wirkung dieser wenig bekannten Schlüs- selfigur des reformierten Protestantismus und der Geistesgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts bekannt zu machen" (7), ist geglückt, wenngleich nicht allen Bezügen mit derselben intensiven Detailtreue oder Übersicht nachgegangen werden konnte: Sein Wirken in Italien wird nur gestreift (da liegt neuere Forschungsliteratur vor), der Bezug zu Polen kaum erwähnt, sein Auftreten und seine Position im zweiten Abendmahlsstreit nur angerissen. Unbehandelte Themen bleiben genug.

Einleitend skizziert J. C. McLelland die neue Forschung (seit 1967) und benennt Desiderate.

Das Biographische wird von Emidio Campi knapp und eindringlich vorgestellt. R. Dellsperger und M. van Wijnkoop Lüthi vergleichen Lebensstationen von Vermigli und Musculus. Vermiglis Wirkung auf England und seinem theologischen Einfluss auf die Zeit von Cranmer widmet sich Diarmaid MacCulloch mit akribischen Beweisen und der berührenden Schilderung von Vermiglis postumer Treue zum englischen Märtyrer. Der Bedeutung Vermiglis für die Zürcher wird von Fritz Büsser nachgegangen. Michael Baumann spezifiziert die Zürcher Zeit, indem er ihn als Lehrer der Heiligen Schrift vorstellt. Andreas Mühling stellt Vermiglis aufs Theologische begrenzten Auftritt beim Religionsgespräch von Poissy der politischen Szene Frankreichs unter Katharina von Medici und der strategischen Übersicht von Bullinger und den Genfern, die Beza gesandt hatten, vergleichend gegenüber. Das Bildnis von Vermigli durch Hans Asper und die davon abhängigen Porträts interpretiert Torrance Kirby.

Den Bildungshintergrund von Vermiglis Arbeiten erhellen an zwei Exempeln Alfred Schindler, indem er seine hervorragende Kenntnis der Kirchenväter zeigt, und Giulio Orazio Bravi, welcher die ausgezeichnete Kenntnis antiker Autoren für Vermiglis "Republikanismus" namhaft macht und ihn ins Gespräch mit den italienischen Staatsdenkern seiner Zeit bringt.

Eine Eigenart seiner Publikationen, von denen die Hälfte in den wenigen Zürcher Jahren erscheint, und wie postum weitere Editionen und seine von andern aus Exegetica gesammelten Loci Communes zustande kamen, zeigt mit einer verdeutlichenden Tabelle Kurt Jakob Rüetschi. Die Eigenart der Wirkungsgeschichte seiner Bücher in Schottland, wo sie im 17. Jh. mit den schottisch-englischen religiösen und politischen Streitigkeiten von unterschiedlicher Seite gelesen, in der Frage des knienden Empfangs des Abendmahls verschieden gelesen, von verschiedenen Autoren zitiert und nicht zitiert werden, ist subtil von Bruce Gordon dargestellt, wobei er auch Lesespuren in Exemplaren der Zeit heranzieht.

Christoph Strohm arbeitet den hauptsächlichen Unterschied der Loci Communes von Vermigli zu Calvins Institutio heraus, was sich insofern anbietet, als die Herausgeber der Loci in ihrer Anordnung sich vom Aufbau der Institutio haben leiten lassen: Für Vermigli bilde die Prädestination, nicht die Bestimmung des Glaubenden durch Christus die Verklammerung der Lehre, und für ihn sei Kirchenzucht ein die Kirchen kennzeichnendes Element. Robert M. Kingdon stellt das Thema der Kirchenzucht gesondert vor. Frank A. James III untersucht, wie weit Vermigli keine Lehre der doppelten Rechtfertigung biete, also reformatorisch denke. An der Frage von Krieg und Prostitution gibt John Patrick Donnelly, S. J. ein Beispiel von Vermiglis politischem Denken. Wenn er zur Begründung, dass Geistliche nicht Krieg führen dürfen, schreibt: "Curiously he here cites Aristotele's Politics" (62), hätte er sich ebenso erstaunt zu Thomas von Aquin äußern können, welcher in der Summe II/II, q. 40, a. 2 auf eine entsprechende Stelle des Philosophen anspielt.

Vermiglis theologisch orientierte und von daher gegenwärtig zu denken gebende Methode der Auslegung des Alten Testaments wird aus der Position philologisch-historischer Exegese von Thomas Krüger erwogen, seine Disputationsweise über das Gelübde der Keuschheit wird von J. Andreas Löwe hinsichtlich der logischen Struktur sehr kritisch betrachtet.

Die Publikation macht den europäischen (und in der neuen Forschung den transatlantischen) Rang von Vermigli deutlich, vor allem seine Wirkung auf die reformierte und anglikanische Kirche, indem seine Auffassung von Abendmahl und Prädestination, seine Ansicht von der Kirchenzucht, sein städtisch- italienisch geprägtes Ordnungsdenken und seine von der Dialektik zur Loci-Methode gewandte Darstellungweise in unterschiedlicher Beleuchtung hervortreten. Er scheint, im zweiten Glied stehend, eine prägende Gestalt seiner Epoche gewesen zu sein, ein klarer, seelenstärkender Prediger überdies, wie sehr schön die Meditation von Philip M. J. McNair über eine Zürcher Predigt Vermiglis zu Johannes 20, 19-23 zeigt. Wie Rechtfertigung und Gesetz, Glaube und Erwählung, Aristoteles und Heilige Schrift wirklich vermittelt werden und wie seine Argumentation gegenüber dem werdenden Luthertum sich strukturiert, erfahren wir in dem Sammelband nicht, doch zuweilen etwas davon, wie Glaubenstiefe in die Weltgestaltung hineinwirkt, freilich ohne Rückfrage an seinen Beitrag zu den heraufziehenden Problemen in Staat und Ethos während der frühen Neuzeit. Aber wir lernen einen Theologen kennen, der dreimal vor Rom und Rom treuen Regenten flieht, einmal dem konfessionellen Luthertum weicht und somit lebenslang still und klar seiner Einsicht folgt.

Die Redaktion des Bandes, die englischen und deutschen Text mitsamt lateinischen und frühneuzeitlich englischen Zitaten zu betreuen hat, ist wohlgelungen.

Dass sich in einem der Beiträge die auslaufende deutsche Rechtschreibung findet und in einem Beitrag die Normalisierung des Lateinischen Fragen aufwirft, ist wie einige wenige orthographische Flüchtigkeitsfehler unerheblich, wenngleich Jael und Athalja nun doch nicht ins Maskulin zu setzen gewesen wären (126 und 132). Hervorzuheben ist, dass der Verlag Droz das Buch wohlgestalt ausgehen lässt. Das sehr hilfreiche Register von Doris Klee unterscheidet nicht zwischen John (284 und 290-292) und William (285-288) Forbes.