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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1293 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Tellbe, Mikael

Titel/Untertitel:

Paul between Synagogue and State. Christians, Jews, and Civic Authorities in 1 Thessalonians, Romans and Philippians.

Verlag:

Stockholm: Almqvist & Wiksell 2001. XII, 340 S. 8 = Coniectanea Biblica. New Testament Series, 34. Kart. SEK 270,00. ISBN 91-22-01908-1.

Rezensent:

Lukas Bormann

War Paulus ein "naive supporter of Rome" (206)? Der Vf. verneint dies (209) und vertritt die Ansicht, dass die paulinischen Gemeinden von Anfang an theologische Überzeugungen - der Vf. spricht von "spiritual identity" (133) - vertraten, die mit der politischen Selbstdarstellung der julisch-claudischen Dynastie nicht vereinbar waren - der Vf. spricht von "imperial propaganda" (137), "imperial ideology" (211) u. a.

Das Einleitungskapitel definiert die im Titel gewählten Begriffe näher. Die Synagoge sei das institutionalisierte Zentrum jüdischen Lebens, das neben gottesdienstlichen Funktionen auch Rechts- und Bildungsaufgaben wahrgenommen habe. "Staat" wird wesentlich mit staatlichen Autoritäten identifiziert. Zu beiden Größen haben sich die christlichen Gemeinden, deren Struktur der Vf. zunächst offen lässt, explizit verhalten, und die neutestamentlichen Quellen reflektierten diese Beziehung. Da dies so nicht für Korinth und die galatischen Gemeinden gelte, werden sie nicht mit in die Untersuchung einbezogen (21 f.).

Das 2. Kapitel entwirft eine klar konturierte Skizze der Verhältnisse von Judentum, Christentum und Staat. Die römische Religionspolitik sei zwar grundsätzlich tolerant, übe aber einen beständigen sozialen Druck aus, am Kaiserkult teilzunehmen (35; ähnlich 47 u. 74). Das Judentum genieße ungewöhnlich großzügige Konzessionen des römischen Staates (43); gleichzeitig sei es einem Assimilationsdruck von seiner hellenistischen Umwelt her ausgesetzt. Die damit verbundenen Spannungen würden durch die rechtliche Privilegierung, die von Rom ausgehe, eher noch verschärft und bewirken schließlich eine geradezu unterwürfige Haltung der jüdischen Gemeinschaften gegenüber Rom (49). Die Folge sei, dass der besondere rechtliche Status des Judentums die soziale Norm eines offiziellen Judentums definiere (55 f.). Das beständige Misstrauen Roms gegenüber möglichen subversiven Organisationsformen verstärkte die Bedeutung der Zugehörigkeit zu einem in dieser Weise normierten Judentum (63). Die entstehenden Christengemeinden entwickeln sich nun in der Spannung zwischen angepasstem Judentum und misstrauischem römischem Staat, eben zwischen "state and synagogue" (74).

Paulus sei durch seine Biographie (radikaler Pharisäer mit Zugang zu den jüdischen Eliten, tarsischer und römischer Bürger) mit dieser Konfliktlage bestens vertraut gewesen (74-77).

Dem Vf. gelingt es, in diese etwas schematische Konfliktsituation die dynamischen Momente der entstehenden Christengemeinden und der paulinischen Theologie einzuzeichnen. Er wendet sich in den Kapiteln 3-5 den drei Untersuchungsgegenständen zu und beginnt zunächst jeweils mit einer Skizze der "staatlichen" und synagogalen Verhältnisse vor Ort. Für Thessaloniki und Philippi wird die lukanische Darstellung sowohl für die jüdischen wie die christlichen Verhältnisse als Ausgangspunkt gewählt und mit den wenigen in dieser Hinsicht auswertbaren paulinischen Notizen ergänzt. Die paulinischen Texte werden dann aber intensiv ausgewertet, um die paulinische Position gegenüber Rom darzustellen. Paulus sehe einen scharfen Konflikt zwischen der politischen Ideologie Roms und der christlichen Verkündigung (206). Die Folgen dieser grundsätzlichen Opposition sind an den einzelnen Orten sehr unterschiedlich. Der Vf. entwirft drei Modelle (280-283). In Thessaloniki stehe die Christengemeinde unter starkem Druck von jüdischer Seite. Diese werfe der Christengemeinde eine subversive Haltung gegenüber Rom vor, eine Haltung, die wiederum illoyal gegenüber der von Rom abhängigen civitas libera Thessaloniki sei. Das führe zum Konflikt mit dem thessalonischen Gemeinwesen (115: 1Thess 2,14: symphyletes = "Thessalonians' townspeople").

In Rom gebe es diesen Konflikt nicht. Die jüdischen wie die christlichen Gruppierungen suchten angesichts der Präsenz staatlicher Autorität alles zu vermeiden, was die Aufmerksamkeit des römischen Staates erregen könnte. In Philippi wiederum führe die paulinische Verkündigung zu scharfen Konflikten mit der lokalen römischen Obrigkeit (211). Judaisierende Missionare böten der verfolgten Gemeinde an, durch die Annahme der jüdischen "identity markers" in den rechtlich geschützten Bereich des Judentums zu treten.

Der Vf. zeigt so, dass die Faktoren Judentum, lokale Eliten und römisches Imperium auf unterschiedliche Weise zusammenwirken. Aber auch Paulus passe seine Kritik an der politischen Ideologie Roms den Verhältnissen an: In Philippi opponiere er scharf (231-259), in Thessaloniki etwas vorsichtiger (123-140), und in Rom halte er sich zurück (171-206). Aus diesen Beobachtungen entwickelt der Vf. eine weitere gewichtige These: Die konfliktreiche Distanz zum Loyalität fordernden römischen Staat hätte die Identität der christlichen Gruppierungen gegenüber der Synagoge geschärft und den Trennungsprozess befördert (134.198.208.273 f.293 u. ö.).

So wird im Ergebnis der Schematismus der Eingangskapitel durch die Auseinandersetzung mit den paulinischen Texten aufgebrochen. Nur die römische Seite bleibt etwas blass. Es wird nicht gesehen, dass im sog. Kaiserkult die Caesaren zunächst reagieren und die verschiedenen sozialen Eliten agieren. Die Teilnahme ist Bestandteil des sozialen Aufstiegs und der symbolischen Repräsentation gesellschaftlicher Hierarchien. Die Berücksichtigung der einflussreichen These von Price, der Kaiserkult sei ein Ritual, das die Caesaren gleichermaßen verpflichte und ermächtige, hätte diesen Teil der Konfliktkonstellation deutlicher hervortreten lassen.

Insgesamt gelingt es dem Vf. jedoch, die Ergebnisse der sozialgeschichtlichen Forschungen mit der Diskussion der paulinischen Theologie so zusammenzuführen, dass an vielen Punkten eine überzeugende Erklärung für die theologischen wie politischen Spannungen im Wirken und im Denken des Apostels vorgelegt werden kann.