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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1286–1289

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jung, Franz

Titel/Untertitel:

Soter. Studien zur Rezeption eines hellenistischen Ehrentitels im Neuen Testament.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2002. XII, 404 S. gr.8 = Neutestamentliche Abhandlungen, NF 39. Lw. Euro 59,00. ISBN 3-402-04787-X.

Rezensent:

Reinhard Feldmeier

Franz Jung stellt die These seiner Arbeit gleich im Vorwort vor: Das Bekenntnis zu Jesus Christus als soter sei "keine christliche Kampfansage an andere mögliche Retter in der Umwelt des frühen Christentums", sondern vielmehr "Ausdruck tief empfundenen Dankes für Gottes Offenbarung in seinem Sohn" (III).

Die diese These begründende und explizierende Untersuchung umfasst sechs Hauptteile: Einen Forschungsüberblick, zwei Kapitel zum paganen Verständnis des Titels (in den literarischen Quellen und in den Inschriften), zwei zum jüdischen (in der Septuaginta und im intertestamentarischen Judentum) sowie ein letztes zum Gebrauch des Titels im Neuen Testament.

Im Forschungsrückblick zeigt J. auf, was seiner Meinung nach die Mängel der bisherigen Untersuchungen zu diesem Titel waren: Man glaubte, ihn als einen festgelegten Begriff behandeln zu können, sei es, um dann im Sinne eines Konkurrenzmodells Christus von den einer tieferen religiösen Bedeutung entleerten paganen Rettergestalten - vom Kaiser über den Heilgott Asklepios bis zu gnostischen Erlösern - abzusetzen, sei es, um durch soter als feststehendes Gottesprädikat die kultische Vergottung Christi als Weltheiland zu behaupten. Gegenüber solchen Konstrukten, denen die Überzeugung zu Grunde liegt, dass das spezifisch Christliche nur in der Entgegensetzung zur Mitwelt zu erfassen sei, erhebt J. den Anspruch, die Bedeutung des Begriffes in seinem jeweiligen semantischen Kontext zu erheben.

Zunächst zeigt J. dabei anhand paganer literarischer Quellen, dass mit dem Titel - bei Göttern wie bei Menschen - primär die Erfahrung einer hilfreichen Macht verbunden wurde. Retter kann ein Steuermann sein, der ein Schiff aus dem Sturm rettet, ein Feldherr, der die Schlacht gewinnt, oder auch ein Arzt, der eine Krankheit heilt - vorzugsweise wird mit dem Titel Retter jedoch ein Wirken zu Gunsten einer größeren Gemeinschaft ausgezeichnet. Der Titel kann auf Götter wie Menschen gleichermaßen bezogen werden, wobei im Herrscherkult beide Aspekte konvergieren, insofern der Herrscher als Nomos empsychos die göttliche Ordnung verkörpert. Gerühmt wird aber nicht nur die rettende Tat, sondern auch der Charakter des Retters, bei Menschen vor allem ihre Tugend, bei den Göttern ihre Menschenfreundlichkeit. Immer aber ist es die helfende, heilsame Epiphanie, die mit dem Titel soter prädiziert wird. Mit der Honorierung des Wohltäters als soter - häufig in Form der Akklamation, fast nie als Selbstbezeichnung - trägt man aber nicht nur seine Dankesschuld ab, sondern verpflichtet den derart Geehrten auch (so dass, wenn er dieser Verpflichtung nicht nachkommt, der Ehrentitel auch wieder entzogen werden kann).

Bestätigt wird diese Analyse durch die Inschriften, welche die Außenperspektive der Historiographen durch die Innenperspektive der jeweils Betroffenen ergänzen. Bemerkenswert ist dabei die Fülle der Belege im politischen wie im religiösen Bereich ("eine Welt voller Retter"), die auch die bei Theologen oft vorherrschende Fixierung auf den Kaiser als Inbegriff des soter relativiert. Auch zeigt sich, "daß der Unterschied zwischen menschlichen und göttlichen Rettern lediglich ein gradueller, kein prinzipieller war" (172). "Die Erfahrung übergroßer, hilfreicher Macht führte in dem untersuchten Material immer wieder dazu, Götter und Menschen gleichermaßen als Retter zu bezeichnen und zu verehren" (177).

Im deutlichen Gegensatz dazu ist es in der Septuaginta vor allem der Gott Israels, der als Retter angerufen und bekannt wird. Dagegen werden Menschen kaum als soter bezeichnet. Ausnahmen sind die Richter - als von Gott gesandte Rettergestalten. Der immer wieder sein Volk aus der Bedrängnis rettende Gott ist ein persönlicher Retter, der entsprechenden Dank und Anerkennung verlangt. Wo solches ausbleibt und Israel von seinem Gott abfällt, verwandelt sich dessen Güte in Zorn: "Der Retter wird zum Richter" (181).

Im intertestamentarischen Judentum findet sich nur bei Philo ein häufiger und theologisch gefüllter Gebrauch des Retterbegriffs. Philo spricht vom Gott Israels als dem einzigen wahren soter und grenzt diesen von allen menschlichen Rettergestalten ab. Im Gegensatz zur Septuaginta kann der alexandrinische Religionsphilosoph auch das soter-Epitheton als Antonomasie für Gott verwenden. Inhaltlich äußert sich Gottes Rettertätigkeit in der Leitung der Welt durch seine Vorsehung, durch die er immer wieder das Leben Einzelner wie des ganzen Volkes rettet. Wichtiger aber noch ist für Philo die geistig-geistliche Rettung, die in der Abkehr von der Verfallenheit an die wahrnehmbare Welt und die Leidenschaften sowie in der entsprechenden Hinwendung zu Gott besteht.

Auf dem so erhellten Hintergrund wird nun gefragt, welche Neu- und Umprägungen das Neue Testament mit dem soter-Titel vornimmt. Dies wird zunächst anhand des lukanischen Schrifttums vorgeführt. Der im Magnifikat gepriesene Gott wird als Retter bekannt (1,47), weil er in dieser Welt seine Ordnung aufrichtet, eine neue Ordnung, die zugleich die verheißene alte ist. Auf Christus wird dieses Prädikat durch den Engel bei der Verkündigung an die Hirten bezogen (2,11). Ein Vergleich mit dem Kalenderdekret der Asia zeigt, dass der Evangelist hierbei gezielt auf das Wortfeld der Ehrendekrete für den Kaiser zurückgreift, um die heilvolle Ankunft des Herrschers anzukündigen. Dabei ist allerdings ein auffälliger Theozentrismus zu beobachten: In Jesus als Retter wirkt Gott selbst. Im weiteren Fortgang des Evangeliums begegnet das soter-Prädikat nicht mehr; erst nach seiner Erhöhung wird Jesus von Menschen als Retter akklamiert. Dabei besteht ein entscheidender Unterschied zur paganen Verwendung des Prädikates darin, dass nicht Jesu Handeln ihn als soter qualifiziert, sondern Gottes Handeln an ihm und durch ihn (vgl. Apg 5,31; 13,23). Allerdings wird Jesus als solcher nicht von den Menschen akklamiert, sondern von Engeln oder Aposteln bezeugt. Für ihn muss geworben werden. So aber wird der Retter Jesus Christus im lukanischen Doppelwerk zum Bestandteil des göttlichen Heilsplanes.

Es folgt eine Untersuchung der Belege im johanneischen Schrifttum sowie im Corpus Paulinum. Im johanneischen Schrifttum wird zweimal in unterschiedlicher Funktion vom ÛÙÚ gesprochen: In Joh 4,42 bietet sich der "Retter der Welt" als übergreifender Ort der Gottesverehrung für Samaritaner wie Juden an und rechtfertigt so die Missionspraxis über die Grenzen Israels hinaus. Dagegen ist das soter-Prädikat in 1Joh 4,14 argumentativer Bestandteil der Mahnrede zur Einheit der Gemeinde. In Phil 3,20 macht Paulus deutlich, dass die Rettung sich auf eine Gemeinschaft bezieht und dass der Retter Christus auf dieses konkrete politeuma bezogen ist und dieses grundlegend neu ordnet, indem er die Seinen verwandelt. Eph 5,23 beschreibt nach imperialem Vorbild die Stellung des erhöhten Herrn als Haupt der Kirche, dessen Einsetzung das Friedensreich geschaffen hat. Die Macht des Retters hat anders als bei Paulus ihre Pointe nicht in der verwandelnden Neuordnung, sondern in der richtigen Einordnung in das Gefüge des Leibes. In den Pastoralbriefen wird sowohl Gott wie Christus soter genannt. Das Heilswerk wird in verhältnismäßig enger Anlehnung an das semantische Feld paganer Retter-Aussagen beschrieben, wobei auch hier - wie in den paganen Tugendkatalogen und in der Fürstenspiegelliteratur - neben das Erbarmen auch die Güte und Menschenfreundlichkeit des Retters gestellt wird. Im Unterschied zu den meisten anderen soter-Belegen im Neuen Testament liegt hier ein mit dem vertrauten Retter-Bild der Umgebung harmonierender titularer Gebrauch vor. Entsprechend wird dann auch der Universalismus, der im semantischen Feld des soter-Titels angelegt ist, genutzt, um den universalen Charakter des christlichen Heilsangebotes deutlich zu machen.

Zusammenfassend zeige sich - so J. -, dass der neutestamentliche soter-Titel sein Profil nicht primär aus der Negation fremder Retteransprüche gewinne, sondern dass sowohl jüdische wie pagane Rettermotive aufgenommen würden, um sie für die eigene Glaubensverkündigung fruchtbar zu machen. Das gelte gerade auch für das herrscherliche Gottes- und Christusbild, weshalb der heute weitgehend verdrängte Retterbegriff an Theologie und Verkündigung die Anfrage stelle, wie es mit dem Glauben an Gott als den Herrn und mit dem Vertrauen in seine rettende Macht steht.

Kritisch anzumerken sind Einzelheiten. So ist der Autor nicht frei von der Versuchung, im Interesse der eigenen Profilierung die exegetischen Bemühungen seiner Vorgänger bisweilen bis zur Karrikatur zu vereinfachen. Auch wäre es einer eigenen Überlegung wert gewesen, ob der Titel soter zwar nicht aus dem Kontrast zu den irdischen soteres abzuleiten ist, jedoch zu diesen in einen Gegensatz tritt (vgl. analog den Gottesbegriff in 1Kor 8,5 f.). Auch will nicht so recht einleuchten, warum sich Apg 13,23 im Unterschied zu 5,31 nur auf Jesu irdische Sendung beziehen und die Sündenvergebung keine Rolle spielen soll, wo doch die Rede des Paulus ausdrücklich in die Erhöhung Jesu Christi und die Sündenvergebung als logos tes soterias mündet.

Dennoch: Es ist das unbestreitbare Verdienst der Studie, gegen jede interessengeleitete Auswahl einschlägiger Belegstellen zum soter-Prädikat dessen Verwendung in ganzer Breite vorgeführt und auf diesem Hintergrund die neutestamentlichen Aussagen profiliert zu haben.