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Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1269–1271

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Moor, Johannes C. de, and Harry F. van Rooy [Eds.]

Titel/Untertitel:

Past, Present, Future. The Deuteronomistic History and the Prophets.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2000. X, 342 S. gr.8 = Oudtestamentische Studiën, 44. Lw. US$ 126,00. ISBN 90-04-11871-3.

Rezensent:

Christoph Levin

Der Band versammelt die Beiträge der ersten gemeinsamen Tagung der niederländisch-belgischen Oudtestamentisch Werkgezelschap und der südafrikanischen Ou-Testamentise Werkgemeenskap/Old Testament Society, die vom 25.-27. August 1999 in Pretoria stattfand. Elf Vorträge stammen von niederländischer, sieben von südafrikanischer Seite, einer aus Botswana. Naturgemäß war bei diesem Anlass, der die während der Zeit der Apartheid unterbrochenen wissenschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden sprachlich und religiös eng verwandten Regionen wieder aufnehmen sollte, das Rahmenthema eher zweitrangig. Gleichwohl ist ein abgerundetes Buch entstanden, das sowohl die derzeit aktuelle Debatte um das Deuteronomistische Geschichtswerk weiterführt als auch die Leistungsfähigkeit der niederländischen wie der südafrikanischen Alttestamentler beweist. Doch wird auch spürbar, dass der frühe Tod der Professoren Ferdinand E. Deist, Willem S. Prinsloo und Johannes P. Olivier große Lücken in Südafrika gerissen hat. Der Reiz des Bandes liegt in seinem afrikanischen Kontext: Die Begegnung der Kulturen sowie die Erfahrung des gesellschaftlichen Umbruchs ermöglichen einen wachen Blick auf ähnliche Vorgänge, die sich im Geschichtsbild des Alten Testaments spiegeln mögen. Insofern ist der Titel "Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft" alles andere als banal.

Es fällt auf, welches Gewicht gerade die südafrikanischen Exegeten der Tendenzkritik beimessen. Im gegebenen Rahmen beziehen sich solche Untersuchungen zunächst auf die Absichten der Deuteronomistischen Redaktion.

Die heutige Situation in Südafrika ist für G. F. Snyman (UNISA, Pretoria), Texts are Fundamentally Facts of Power, Not of Demokratic Exchange (272-305), Anlass einer programmatischen hermeneutischen Reflexion. Er beschreibt das Dilemma, das durch einen unflexiblen Textbezug entsteht, den er der westlichen Denkweise zuschreibt, "the overwhelming aura of textuality that surrounds the Western mind's concept of the biblical text" (297): einerseits ein Biblizismus, der in der konservativen reformierten Tradition fatale Folgen haben kann, zumal in ethischen Fragen, anderseits eine Über-Kritik, die mit dem Text auch den Zugang zur Geschichte verliert. Einen Ausweg sieht er darin, dass der Text mit mündlicher Überlieferung einherging. "In South Africa, our oral cultural heritage should guard us against the excesses of textuality" (305). - Ausgehend davon, dass sich die Aufgabe der "Truth and Reconciliation Commission" dahin ausweitete, die Geschichte Südafrikas zwischen 1960 und 1994 gleichsam wiedergewinnen zu müssen, unterstreicht W. Boshoff (UNISA, Pretoria), Jeroboam ben Nebat in the Deuteronomistic History (19-35), die Notwendigkeit einer kritischen Lektüre des Deuteronomistischen Geschichtswerks. Der Historiker müsse die Parteilichkeit zu Gunsten Jerusalems berücksichtigen, die weit davon entfernt ist, das Selbstverständnis des Nordreichs und der dortigen Jahwereligion zu treffen. - Ph. Botha (University of Pretoria), Royal Etiquette According to the Deuteronomistic Historian (36-49), befasst sich mit der Tendenz der deuteronomistischen Frömmigkeitsurteile. "According to social-scientific analysts all aspects of human existence in biblical times were defined and regulated by the pivotal values of honour and shame" (37). Unter diesem Gesichtspunkt ragen Hiskia und Josia heraus, weil sie Jahwe mehr als alle übrigen Könige geehrt haben. - J. T. Walsh (Gabarone), 2 Kings 17. The Deuteronomist and the Samaritans (315-323), untersucht das deuteronomistische Urteil über den Jahwekult der Mischbevölkerung im Gebiet des ehemaligen Nordreichs. Der durch Strukturuntersuchungen gestützte Vergleich von 2Kön 17,24-34.41 mit V. 35-40 ergibt: "The Israelites, despite their knowledge of what YHWH desires, do not obey him, and are punished. The foreigners, once they learn what YHWH requires, do obey him, and are released from punishment. ... Paradoxically, then, the syncretism of the foreigners is not being condemned" (322). - M. Terblanche (Bloemfontein) greift mit The Absence of the Prophet Jeremiah in Kings (306-314), ein viel diskutiertes Problem auf. Er vermutet, dass Jeremia in 2Kön 22-23 mit Absicht übergangen wird. "Zephaniah and Jeremiah were not regarded as interpreters of the law by the members of the reform coalition" (313). Dass Jeremia in 2Kön 24-25 fehlt, lässt sich mit N. Lohfink aus der Kürze der Darstellung erklären, die die Kenntnis der Parallelberichte im Jeremiabuch voraussetzt.

Ein zweiter Schwerpunkt der Tendenzkritik betrifft die Quellen des Deuteronomistischen Geschichtswerks:

A. Breytenbach (University of Pretoria), Who is behind the Samuel Narrative? (50-61), fragt nach den Interessen hinter der Endgestalt der Samuelüberlieferung. Dass Samuel "as a priest, as a prophet like Moses, as a judge and as the ideal theocratic leader" geschildert wird, scheint dafür zu sprechen, "that the literary creation of the Samuel figure as we find it in 1 Samuel is a product of Zadokite priests in the time of Hezekiah" (60). - E. Scheffler (UNISA, Pretoria), Saving Saul from the Deuteronomist (263-271), unterzieht die deuteronomistische Darstellung Sauls einer Hermeneutik des Verdachts. Die deuteronomistische Beurteilung, die bis in die heutige Geschichtsdarstellung nachwirkt, hat dazu geführt, dass Saul von Jahwe verworfen worden sein soll, obwohl er dessen Verehrung wahrscheinlich selbst eingeführt hat. Vor den Erfahrungen der jüngsten Geschichte versteht Scheffler diesen Befund als warnendes Beispiel, historische Werturteile religiös zu begründen. - Eine Anzahl niederländischsprachiger Forscher haben sich in jüngerer Zeit der Ladeerzählung zugewendet. E. Eynikel (Nijmegen), The Relation between the Eli Narratives and the Ark Narrative (88-106), referiert die Positionen und kommt gegen den Trend, aber mit Leonhard Rost zu dem Schluss, dass das Geschick der Lade Gegenstand einer eigenen Quelle gewesen ist, die in 1Sam 4-6 und 2Sam 6 vorliegt. Nachträglich wurde sie durch die redaktionelle Zusammenstellung mit 1Sam 1-3 zu einer Erzählung über das Ende des Priestertums der Eliden. - M. Dijkstra (Utrecht), A New Proposal for Dating the Samaria Ostraca (76-87), stellt die These auf, dass die Datierungen der Ostraka von Samaria in das 9. oder 10. Jahr sowie in das 15. Jahr aus ein und demselben Zeitrahmen stammen. Erstere bezögen sich auf das Königtum Jerobeams II., letztere auf das Königtum des Joas. Auf diese Weise gewinnt Dijkstra einen Beleg für die nie bewiesene anfängliche Ko-Regentschaft Jerobeams. - A. van der Kooij (Leiden), The Story of Hezekiah and Sennacherib (107-119), plädiert überzeugend dafür, die übliche Aufteilung von 2Kön 18-19 in die drei literarischen Ebenen A: 18,13-16, B1: 18,17-19,9a.36-37 und B2: 19,9b-35 beizubehalten, die einzelnen Stücke aber nicht als selbständige Quellen, sondern als Stufen einer literarischen Entwicklung aufzufassen, die den Rückzug Sanheribs erklären wollen. Der Vergleich mit den assyrischen Nach- richten ergibt, dass die judäische Quelle die Ereignisse von 701 unter dem Eindruck von Sanheribs gewaltsamem Tod im Jahre 681 beschreibt.

Zwei Aufsätze befassen sich mit dem Deuteronomismus im weiteren Sinne:

J. de Moor (Kampen), Genesis 49 and the Early History of Israel (176-198), führt den Nachweis, dass der Jakobsegen aus der vorköniglichen Zeit stammt. Er belegt es mit arabischen Stämmesprüchen als formgeschichtlicher Parallele. Die Erzählungen der Genesis, wo sie sich mit Gen 49 berühren, bieten jeweils die jüngere Überlieferungsstufe. Auch die gesellschaftlichen und religiösen Verhältnisse sollen auf die vorkönigliche Zeit verweisen. Verschriftet worden sei dieses Zeugnis des Zwölf-Stämme-Verbands noch vor Saul. Unter David geriet es in Vergessenheit, um unter Josia wiederentdeckt und in die "Dtr. History" aufgenommen zu werden. - H. van Deventer (Potchefstroom), What is the Deuteronomist (Still) Doing in Daniel? (62-75), beharrt darauf, dass das Bußgebet Dan 9 der deuteronomistischen Theologie entstammt und darum eine nachträgliche Ergänzung des Danielbuches ist. Nach dem Verlust des Tempels diene die deuteronomistische Theologie im 2. wie im 6. Jh. als Korrektiv. Im Danielbuch richte sie sich gegen die apokalyptischen Deutungen der Geschichte.

Fünf Beiträge betreffen die Traditionsgeschichte der Prophetenbücher:

U. Berges (Nijmegen), Who Were the Servants? (1-18), befasst sich am Beispiel der 'abadîm mit den innerjüdischen Gruppen als Trägern der nachexilischen Traditionsgeschichte. Die "Knechte Jahwes" haben sowohl das Buch Jesaja als auch die Psalmen in ihrem Geiste revidiert. Im Jesaja sind sie an der Endgestalt beteiligt, im Psalter, der abschließend von den Chassidim bearbeitet wurde, an der vorletzten Fassung. - Gegen das geläufige Gefälle wagt H. Leene (Freie Universität Amsterdam), Ezekiel and Jeremiah. Promises of Inner Renewal in Diachronic Perspective (150- 175), die interessante These, dass die Verheißung des "anderen Herzens" aus der ezechielischen in die jeremianische Heilsprophetie gelangt sei: "Ezek. 36 ' Ezek. 11 ' Jer. 24 ' Jer. 30-31" (170). Damit stellt er unter anderem die von Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, Göttingen 1985, 200-214, bewiesene Traditionskette auf den Kopf. Bei dieser Lösung ist die Brückenstellung, die Jer 32,36-41 zwischen Jer 24 und Ez 11 einnimmt, nicht ausreichend gewürdigt: Ez 11,19 gibt sich als Qere-Exegese von Jer 32,39 zu verstehen, Ez 36,26 aber führt den Gedanken von Ez 11,19 weiter aus. - E. Peels (Apeldoorn), The Historical Background and Literary Context of Jer 49:34-39 (216-229), befasst sich mit dem Elam-Wort der jeremianischen Völkersprüche, das er entsprechend der Selbstauskunft des Textes in die Jahre 597/6 datiert. Im Rahmen der Völkersprüche diene es als Angelpunkt zwischen den beiden Teilen Jer 46-49 und Jer 50-51, und deshalb sei auch die Stellung im Masoretentext die ursprüngliche. Die Botschaft sei "God's worldwide sovereign kingship" (227). - L. de Regt (Freie Universität Amsterdam), Person Shift in Hosea (232-250), befasst sich mit dem in den prophetischen Büchern häufigen Stilwechsel zwischen Anrede und Beschreibung. Am Beispiel des Hoseabuchs, dessen Text kaum durch Einleitungsformeln gegliedert ist, so dass es nach de Regt noch die Situation der mündlichen Verkündigung wiedergibt, zeigt er auf, dass diese Stileigentümlichkeit ein Ordnungsprinzip ist, das der Einteilung in Abschnitte dient. - Gegen jüngere Versuche versteht J. Renkema (Kampen), Data Relevant to the Dating of the Prophecy of Obadiah (251-262), Obadja nicht als projudäischen Kultpropheten, der eine partikularistische Heilsauffassung vertritt, sondern sieht ihn in der Tradition der Gerichtsprophetie. Die Anklage Edoms gilt exemplarisch und steht in Erwartung eines allgemeinen Gottesgerichts, das auch Judas Ungehorsam nicht ausnehmen wird. Die Abhängigkeit von Jer 49 spricht für eine Datierung in die Exilszeit.

Schließlich enthält der Band programmatische historische und hermeneutische Untersuchungen:

E. Noort (Groningen), Joshua. The History of Reception and Hermeneutics (199-215), zeigt, wie fruchtbar die Berücksichtigung der Wirkungsgeschichte für die Exegese sein kann. Die Charakterisierung Josuas als Propheten, die an Jos 6,26 (im Zusammenspiel mit 1Kön 16,34) sowie an Jos 10,12-14 einen Anlass hat, hat in Jos 6,26 LXX, in 4Q175/379 und in 4Q522 ein interessantes Echo gefunden. Ein Hinweis auf die verbreitete Josua-Jesus-Typologie in der frühchristlichen Literatur beschließt den wichtigen Beitrag. - Bemerkenswert ist die scharfe Kritik von M. Koster (Bathmen), The Historicity of the Bible (120-149), an dem skeptischen Umgang mit dem Alten Testament, wie er von N. P. Lemche und Th. L. Thompson propagiert wird. Wenn man sich der traditionskritischen Arbeit verweigere, gerate das Alte Testament insgesamt in die Spätzeit, so als sei es nach Art der Chronik geschrieben. "This is the post-exilic literary creation that fits exactly in that era and in the role as described by Thompson" (134 f.). Indessen: "The complexity of the OT, as we have it now, can only mean that it is the result of a development which lasted for several centuries: it grew through the ages" (130 f.). Nur eine traditionsgeschichtliche Lektüre werde dem Quellenwert gerecht: "the diachronicity of the OT as proof of its historicity" (135).

Das Buch ist sorgfältig ediert und wird durch Autoren- und Bibelstellenregister erschlossen.