Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2003

Spalte:

1243–1258

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Luz, Ulrich

Titel/Untertitel:

Der frühchristliche Christusmythos. Ein Gespräch mit Gerd Theißen zu seinem Verständnis der Religion des Urchristentums1

I. Grundsätzliche Überlegungen zu "Die Religion der ersten Christen"



Theißens Buch ist für mich aus drei Gründen ein grundlegendes Buch. Erstens: Während die Religionsgeschichtliche Schule des 19. und des frühen 20. Jh.s bis zu Bultmann2 vor allem an der Einordnung des frühen Christentums in die religiöse Welt der Spätantike interessiert war, richtet sich Theißens Interesse auf das Frühchristentum selbst. Er hat in diesem Buch das Urchristentum selbst als Religion interpretiert. Zukunftsträchtig ist, dass er damit die Religionswissenschaft in ihrem ganzen Methodenpluralismus für die Interpretation des frühen Christentums fruchtbar gemacht hat. So eröffnet sich die Möglichkeit einer Integration philologischer, historischer, religionssoziologischer, religionspsychologischer, religionsethnologischer etc. Methoden in die Erforschung des frühen Christentums. Nicht nur die durch die Dialektische Theologie geschaffene Diastase zwischen Christentum und Religion ist damit überwunden, sondern auch die damit verbundenen methodischen Gewichtungen - philologische Methoden und hermeneutische Fragestellungen wurden gegenüber anderen, z. B. psychologischen oder soziologischen Methoden und Fragestellungen de facto privilegiert - müssen neu diskutiert werden.

Zweitens hat Theißen den weithin auf lehrhafte Aussagen verengten Fragehorizont der neutestamentlichen Wissenschaft geöffnet, indem er auf die drei grundlegenden und gleichrangigen Dimensionen jeder Religion - Mythos, Ritus und Ethos - hinwies.3 Durch die Frage nach dem Urchristentum als Religion ist eine die ganze Geschichte des Christentums bestimmende Engführung in der Rezeption des Neuen Testaments überwunden: Ebenso wie in den christlichen Kirchen vor allem des Westens die Lehre bzw. das Dogma bzw. die Theologie für ihre Identität entscheidend war, dominierte in der kirchlichen Rezeption des Neuen Testaments die Frage nach seinen Lehrgehalten und in der wissenschaftlich-theologischen Debatte die "Königsdisziplin" der neutestamentlichen Theologie. Andere Dimensionen, etwa die Frage nach Ethos, Gebeten, Riten, Frömmigkeitsformen, Mythen und anderen Geschichten, Handlungsimpulsen, Gemeinschaftsformen, Interaktionsformen mit der Umwelt etc. haben die neutestamentliche Wissenschaft höchstens sekundär interessiert. Theißens Ansatz eröffnet die Möglichkeit, die textlichen Zeugnisse des frühen Christentums in ihrer ganzen Breite, die viel weiter ist als Lehre und Theologie, wahrzunehmen. Indem ich seine Dreierliste von Mythos, Ritus und Ethos stillschweigend erweiterte, möchte ich auch andeuten, in welchen Bereichen es m. E. über Theißen hinaus weiter zu arbeiten gilt, wenn man die "semiotische Kathedrale" des frühen Christentums in ihrem ganzen Reichtum beschreiben möchte.

Mit dem Stichwort "semiotische Kathedrale"4 habe ich den dritten Punkt benannt, der mir grundlegend zu sein scheint. Theißen erreicht damit ein Doppeltes: Er grenzt sich auf der einen Seite zugleich gegen einen theologischen Versuch ab, das frühe Christentum direkt als Offenbarung Gottes, und gegen einen religionswissenschaftlichen Versuch, Religion direkt als "Erleben des Heiligen" zu deuten. Beides mag es für manche Menschen sein, aber solche Innenperspektiven sind nicht direkt wissenschaftlich beschreibbar.5 Als "kulturelles Zeichensystem" lässt sich dagegen Religion in reflektierter Distanzierung beschreiben. Auf der anderen Seite gelingt es Theißen auf diese Weise, das Urchristentum als eigene Ganzheit zu interpretieren und einer vorschnellen Funktionalisierung zu wehren, wie sie in der heutigen Religionswissenschaft mit ihrer verbreiteten Abneigung gegen Phänomenologie, Hermeneutik und Theologie immer wieder geschieht.6 Eine Kathedrale muss man als Ganzes wahrnehmen, studieren, begehen, würdigen, bevor man fragen kann, was sie z. B. für die Frömmigkeit eines Einzelnen, die in ihr feiernde Gemeinde, das Stadtbild oder das Budget einer Stadt "bringt". Dasselbe gilt für eine Religion, die man zunächst als ein eigenes Zeichensystem interpretieren muss, bevor man nach ihren Funktionen fragen kann (und auch muss!), - sonst läuft man Gefahr, sie in ihre Funktionen hinein aufzulösen und als Ganzes gar nicht mehr in den Blick zu bekommen. Hier, und nicht im "Konfessorischen" und auch nicht in der Entfaltung einer "Innenperspektive"7 muss m. E. das erste Anliegen der Theologie gegenüber heutiger Religionswissenschaft liegen. Denn dass auch die Theologie sich gegenüber ihrem Forschungsgegenstand Christentum in die Alterität einer "Außenperspektive" begibt, gehört m. E. nicht zu ihren opera aliena, sondern zu ihrer Grundaufgabe als Wissenschaft. Der semiotisch inspirierte Zugang dient dem Anliegen der Wahrnehmung des Ganzen einer Religion und könnte als gemeinsame methodische Grundperspektive von Religionswissenschaft und Theologie wichtig werden.

Unklar bleibt mir allerdings in Theißens Konzept das Verhältnis von semiotischer und geschichtlicher Perspektive, bzw. anders formuliert, von Religionstheorie und Religionsgeschichte. Das Urchristentum war ja keine "semiotische Kathedrale"8, sondern bildlich gesprochen eher eine Baustelle, ein in Ausführung begriffenes Umbau- und Neubauprojekt. Dieses Projekt war nie abgeschlossen, auch nach der montanistischen Krise nicht. Alle Hauptteile von Theißens großem Buch enthalten geschichtliche Perspektiven, und insbesondere der fünfte, mit "Krisen und Konsolidierung des Urchristentums" überschriebene Teil liefert gleichsam eine Religionsgeschichte nach, deren systematische Verbindung mit dem Ganzen seines Entwurfs mir nicht wirklich deutlich geworden ist. Geht es hier um schwierige Phasen in der Baugeschichte, an deren Ende die Kathedrale in vollendeter Symmetrie erstrahlt? Geht es um den Abbruch von Verbindungsbauten der Kathedrale zu älteren Stadtteilen, welche ihre Eigenständigkeit störten? Oder geht es um die Entfernung schöner und echter Bauteile, welche späteren Bauherren nicht mehr passten? Oder nochmals anders: Was wird eigentlich als "Kathedrale" beschrieben? Was gibt uns das Recht, die Treue vieler Paulus gegenüber kritischer jüdischer Jesusanhänger zu dem Juden Jesus, die Vertiefung des jungen Christentums in manchen christlich-gnostischen Gemeindekreisen oder die Erneuerung des Christentums im Montanismus nicht als Teile der "Kathedrale" zu betrachten, sondern als Ausdruck von "Krisen ... des Urchristentums"9? In die Metapher "Kathedrale" scheint - m. E. weitgehend implizit - eine Wertung mit eingeflossen zu sein, welche dem Standort der späteren Kirche entspricht. Ich habe mit meinen Fragen die Metapher der "Kathedrale" von der Geschichte her verfremdet, um deutlich zu machen, dass das Problem des geschichtlichen Wandels in Theißens Konzept m. E. noch nicht gelöst ist. Damit zusammen hängt eine Frage, die in meinem Referat später wieder vorkommen wird, nämlich die nach der Ambivalenz des keineswegs nur kathedralenartigen frühen Christentums.

Im Folgenden möchte ich in einem Bereich mit Gerd Theißen ins Gespräch treten und im Gespräch den Faden etwas weiterspinnen. Ich habe dafür den Bereich des Mythos gewählt und möchte über den Christusmythos nachdenken. "Den Faden weiterspinnen" ist dabei sehr wörtlich zu verstehen. Ich kann und will keinen Gegenentwurf liefern. Wenn es mir gelingt, zu zeigen, wie "produktiv" Theißens Buch ist, bin ich zufrieden.

II. Überlegungen zum Problem der Mythosdefinition

Die Vielfalt der Mythosdefinitionen, die uns zur Verfügung stehen, ist verwirrend. Sie entspricht der komplexen Begriffsgeschichte dieses griechischen Wortes in der griechischen und neuzeitlichen europäischen Geistesgeschichte von Homer bis heute.10 Aleida und Jan Assmann bündeln diese Geschichte in ihrem Mythosartikel in "sieben Mythosbegriffen", welche zugleich Mythosdeutungen sind; Kurt Hübner fasst sie in sechs Grundtypen von Mythosdeutungen zusammen; Hartmut Zinser spricht von zehn Grundtypen der Mythosdeutung.11 In den unterschiedlichen Definitionen spiegelt sich die Komplexität heutiger Mythosdeutung: Unterschiedlich gesehen wird die Bereichsweite des Gegenstandes, welche von den klassischen religiösen Grundmythen über die Charakterisierung bestimmter Denkweisen als mythisch bis zur modernen quasi-metaphorischen Verwendung des Wortes Mythos im Sinne der "métarécits" Lyotards12 reicht. Unterschiedlich sind die Interessen und Fragestellungen der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die an der Mythosforschung beteiligt sind; und überall ist man mit der scheinbar unvermeidbaren Tatsache konfrontiert, dass seit Xenophanes und Plato13 mit jeder Mythosdefinition resp. -theorie bestimmte Wertungen des Mythos mitlaufen und sie bestimmen.

Definitionen sind Konstruktionen. Sie sind nicht Abbilder der Wirklichkeit, sondern menschliche Instrumente, mit deren Hilfe Wirklichkeit konstruiert und interpretiert wird.14 Sie sind Werkzeuge, mit deren Hilfe einzelne Teile der semiotischen Kathedrale Urchristentum erbaut oder geschmückt werden. Dies festzuhalten ist mir wichtig: Nur im Wissen darum ist es möglich, einen religionsphänomenologischen Ansatz vor dem Missverständnis eines unkritischen platonisierenden Realismus zu schützen15 und das vom Menschen gedachte Wirkliche vom Wirklichen überhaupt zu unterscheiden.16

Ich sage deshalb zuerst, was ich mit dem Konstrukt einer Mythosdefinition erreichen möchte: Sie soll mir helfen, meinen eigenen Forschungsgegenstand, den neutestamentlichen Christusmythos bzw. die neutestamentliche Christologie, möglichst weitgehend in einer Außenperspektive zu betrachten. Sie soll mir helfen, das junge Christentum mit seiner näheren und weiteren Umwelt zu vergleichen und Verbindendes und Unterscheidendes zu erfassen. Dabei ist mir ebenso wie G. Theißen das Gespräch mit der Religionswissenschaft am wichtigsten, denn diese liefert mit ihrem Methodenpluralismus und ihrem Verständnis von Religion als komplexem Ensemble von Mythen, Riten, Handlungsorientierungen und anderen Dimensionen heute am ehesten das vielfältige methodische Instrumentarium, um das Urchristentum mit "fremden" Augen aus einer umfassenden Außenperspektive zu betrachten, und hat wohl heute für die Theologie im Ganzen die Bedeutung einer interdisziplinären Integrationswissenschaft. Erst nach einer möglichst umfassenden religionswissenschaftlichen Verfremdung des Bildes des frühen Christentums kann man die - spezifisch theologische - Frage nach seiner Bedeutung und nach seiner Wahrheit stellen. Damit bestimme ich die Funktion, die das Instrument eines Mythosbegriffs für mich hat, anders als z. B. Bultmann dies tat: Er soll nicht dem hermeneutischen Anliegen dienen, sondern der Erfassung der "altérité" des frühen Christentums. Hier denke ich, mit dem Grundanliegen von Gerd Theißen einig zu gehen. Allerdings muss ich dann auch gleich sagen, dass ich nicht weiß, ob das, was ich mit meinem Mythosbegriff und anderen Begriffskonstrukten baue, eine "Kathedrale" sein wird bzw. ob nicht nur ich, sondern auch andere dieses mit Hilfe unserer Definitionen konstruierte Gebäude wirklich für eine Kathedrale halten werden. Darum habe ich vorher etwas vorsichtiger von einer "Baustelle", einem in Ausführung begriffenen Projekt gesprochen.

Von diesem konkreten Anliegen her sind mir folgende Aspekte eines Mythosbegriffs wichtig:

1. Eine Mythosdefinition sollte keine wertenden Momente enthalten. Deshalb verzichte ich auf eine Definition mit Hilfe von Gegenbegriffen, z. B. Logos, geschichtliche Wirklichkeit, Wahrheit oder Wissenschaft, wie sie vor allem in den durch die griechische Philosophie und die Aufklärung bestimmten Mythosdefinitionen üblich sind.

2. Da es mir um das Verständnis von etwas sehr Spezifischem geht, nämlich des neutestamentlichen Christusmythos, sollte ein Mythosbegriff nicht zu weitmaschig sein. Neuzeitliche "Mythen" möchte ich deshalb ausklammern. Wenn von Mythos als Erinnerung an unsere Wurzeln gesprochen wird,17 möchte ich präzise sagen, was erinnert wird. Es geht um Erzählungen; aber ich möchte nicht nur zwischen Mythen und Märchen, Sagen, Legenden etc. unterscheiden, sondern auch zwischen Mythen im eigentlichen Sinn und anderen Erzählungen, welche die Griechen auch als mythoi bezeichneten,18 wie z. B. die von Ovid in den Metamorphosen erzählten mythischen Ätiologien. Ich möchte als "Mythos" mit Fritz Stolz eine Erzählung bezeichnen, welche "grundlegende religiöse Orientierungsprozesse auslöst".19 Im Sinne von Aleida und Jan Assmann sind das primär die sog. deutenden Mythen.20 Aber auch bei einer solchen relativ engen Fassung des Begriffs ist klar, dass der Christusmythos, den man vielleicht als "Erlösermythos" bezeichnen kann,21 nur ein, sogar ein recht spezieller Fall eines Mythos ist.

3. Eine Mythosdefinition muss sowohl die Textgestalt als auch die Funktion der Texte spiegeln, wenn sie ein nützliches Werkzeug zur Konstruktion einer semiotischen Kathedrale des Frühchristentums sein und zugleich funktionale Fragestellungen ermöglichen soll. Von fast allen zugestanden ist, dass ein Mythos die Gestalt einer Erzählung hat.22 Bultmann hat gerade deswegen das Wesentliche am Mythos verfehlt, weil er den "Mythos" und das "Mythologische" identifizierte und darunter eine bestimmte Denkweise verstand, welche er aus theologischen Gründen nicht nachvollziehen wollte. Indem er das Mythologische existenzial interpretierte, hat er auch die Erzählung vom Gottessohn Jesus ins theologische Abseits geschoben, wie sich an seiner Johannesdeutung besonders eindrücklich zeigen lässt.23 - Bei der Funktionsbestimmung des "Mythos" schließe ich mich wie Gerd Theißen an Fritz Stolz an: "Mythen sind Erzählungen aus einer für die Welt entscheidenden Zeit mit übernatürlichen Handlungsträgern, die einen instabilen Zustand in einen stabilen überführen"24. Der "Lebensgewinn"25, den sie verheißen, besteht darin, dass sie "typisch menschliche Irritationen durch die Erfahrung von Kontingenz, Chaos und Vieldeutigkeit auf[fangen], mit Sinn besetz[en] und der Kommunikation erschliess[en]"26.

4. Eine Mythosdefinition muss die Innenperspektive, welche die Vertreter und Vertreterinnen von Religionen bezeugen, für eine Betrachtung von außen erschließen. Sie kann nicht direkt auf der religiösen Innenperspektive basieren, denn die Innenperspektive eines erfahrenen Mythos lässt sich nicht definieren. Was Mythos ist, kann aber auch nicht einfach nur aus einer Außenperspektive von an Mythen nicht mehr Partizipierenden bestimmt werden. An einem Mythos kann man teilhaben; ein in Begriffe gefasster Mythos ist aber ein zerstörter Mythos, aus dem man bereits herausgefallen ist.27 Dann werden die Mythen zu bloßen plasmata ton proteron (Xenophanes fr B 1,22). Oder der Mythos wird zu einer Weise des Denkens28, z. B. einer "erste[n] Explikationsstufe der Rationalität",29 oder zu einem Denken, das am Leitfaden einer anderen Ontologie denkt als die Wissenschaften.30 Das ist natürlich nicht falsch, aber die eigentliche Stärke und die spezifische Kraft des Mythos erfasst man nicht, wenn man ihn aus neuzeitlicher Perspektive als eine Weise des Denkens interpretiert.31 Vielmehr muss die Außenperspektive auf die Innenperspektive bezogen sein und sie interpretieren. Nur dann kann eine Religionswissenschaft den Religionen, mit welchen sie sich beschäftigt, einigermaßen gerecht werden.

Gerd Theißen versteht "Mythos" neutral im Sinn einer religiösen "Grunderzählung"32 und sieht in ihm drei Grunddimensionen: den Mythos als Text, der sich textwissenschaftlichen oder strukturalistischen Zugangsweisen erschließt, den Mythos als Kraft, der sich funktionalistischen Zugangsweisen erschließt, und den Mythos als Mentalität oder Denkstruktur, für die insbesondere Animation, Analogiekausalität und Tiefenidentität charakteristisch sind.33 Anders als er möchte ich nicht eine bestimmte Mentalität oder Denkstruktur zum Wesensmoment einer Mythosdefinition machen, um nicht den Mythos anthropologischen Kategorien unterzuordnen.34 Mythen im beschriebenen Sinn wollen nicht primär menschliche Wirklichkeit denken oder deuten, sondern konstituieren sie zuallererst.35

5. Darum scheint mir nicht so sehr die Weise, wie der Mythos denkt, als die Weise, wie er wirkt, seine Hörer identifiziert, in sich hineinnimmt und an sich partizipieren lässt, d. h. seine Kraft, wichtig zu sein. In diesen Zusammenhang gehört die von Theißen im Anschluss an Gerhard Sellin36 beschriebene "Tiefenidentität" von Mythen. Mythen sind für das Leben konstitutive Grundgeschichten, die ihre Zeit transzendieren: Sie erzählen zwar Geschichten, welche "in illo tempore", z. B. in der Urzeit, geschehen sind, aber diese Geschichten transzendieren ihre Zeit und sind "beispielhafte Geschichten der Menschengemeinschaft"37, an denen alle Menschen partizipieren und die für jeden Menschen wieder wahr werden. Mythen transzendieren ihren Ort. Sie erzählen zwar von äußeren Orten, etwa vom Paradies, von Babel, von Kapilavastu oder von Jerusalem, aber sie transzendieren diese und ereignen sich an neuen Orten, z. B. dort, wo sich eine den Mythos erinnernde Festgemeinschaft versammelt oder auch neuzeitlich im Herzen eines Gläubigen oder in der Psyche eines Analysanden. Mythen transzendieren oft auch die gesprochene Sprache: Viele Mythen haben in Riten ihre Entsprechung, dem legomenon entspricht oft ein dromenon. Mythen eignen sich hervorragend zur Inszenierung.38 Der Mythos ist in der Lebenswelt der durch ihn identifizierten Menschen "real präsent"39. Wesentlich für den Mythos ist seine Kraft, die ihn erinnernden Menschen in ihn zu verwickeln.

III. Überlegungen zu den semiotischen Dimensionen des urchristlichen Christusmythos

Ich erinnere zunächst akzentuierend an drei grundlegende Thesen Theißens, denen ich zustimme, und spinne dann in einigen weiteren Punkten den Faden weiter:

1. Der Christusmythos ist das Zentrum des urchristlichen Glaubens; es geht hier um viel mehr als bloß um "mythische Elemente im Neuen Testament"40. Er ist eine "spannungsvolle Einheit von Geschichte und Mythos"41. Theologen betonen gern, dass der Christusmythos deshalb "kein normaler Mythos" sei,42 weil es in ihm um einen geschichtlichen Menschen gehe. Dass sich ein Mythos mit einer historischen Gestalt verbindet, ist zwar nicht das Übliche, aber nicht außergewöhnlich - ich erinnere an Buddha Shakyamuni und - als Schweizer - an Wilhelm Tell. Das Ausspielen der Geschichte gegen den Mythos ist zwar eine beliebte theologische Argumentationsform, aber gerade beim neutestamentlichen Christusmythos nicht am Platz, auch nicht bei Markus und schon gar nicht bei Paulus oder Johannes. Die grundsätzliche Spannung zwischen dem Geschichtlichen und dem Mythischen wird m. E. erst in der altkirchlichen Zweinaturenlehre reflektiert. Ob also das "Spannungsvolle", das Theißen in der frühchristlichen Einheit von Geschichte und Mythos sieht, nicht erst aus späterer Sicht so erscheint, ist mir eine offene Frage.

2. Ich denke wie Theißen,43 dass die Ausbildung des nachösterlichen Christusmythos von Jesus von Nazareth her verständlich wird. Jesu Verkündigung, sein Tod und seine Auferstehung führten zu seiner mythischen Transformation.44 Diese darf also nicht ausschließlich oder vorwiegend als Bruch interpretiert werden. Theißen setzt bei der von ihm als Mythos verstandenen Gottesreichverkündigung Jesu ein.45 Mir ist die Wahrscheinlichkeit, dass Jesus von sich als Menschensohn sprach und dadurch seine eigene Geschichte im Lichte seiner von ihm erhofften "mythischen" Zukunft deutete, noch wichtiger. Aber das ändert nichts Grundsätzliches; diese Annahme ermöglicht mir nur, Theißens Grundthese noch emphatischer zu vertreten als er selbst.

3. Wie Theißen denke ich, dass die "Produktion" des Christusmythos eine originär christliche Schöpfung gewesen ist. Es wurde gerade nicht, wie die religionsgeschichtliche Schule oft meinte, ein "fremder" Mythos auf Jesus übertragen,46 sondern das frühe Christentum hat Jesus vergöttlicht, indem es zugleich seine eigenen jüdischen monotheistischen Wurzeln neu entdeckte und neu interpretierte.47 Jesus wurde gerade von jüdischen Jesusanhängern mit Gott verbunden: Er wurde durch den Juden Paulus als Weltenherr besungen, "zur Ehre Gottes des Vaters" (Phil 2,11) und nicht zur Schmälerung seiner Ehre! Es war der Jude Paulus, der biblische Zitate, welche von Gott sprachen, auf Jesus bezog (Röm 10,9-13; 1Kor 1,31; 2Kor 10,17 f.; Phil 2,9-11), und der in deutlicher Aufnahme des Schemac Jisrael und in deutlicher Antithese gegen die vielen Götter und Herren der paganen Kulte den "einen Gott, den Vater" und den "einen Herrn Jesus Christus" nebeneinander stellte (1Kor 8, 6).48 Es war der Jude Matthäus, der Jesus als "Gott mit uns" interpretierte (1,23) und auf dieser Grundlage eine neue Grundgeschichte für seine Gemeinde schrieb. Es war der jüdische Prophet Johannes, welcher schon in seiner Eingangsvision den Menschen sohnähnlichen mit den Attributen des Menschensohns und des "Alten der Tage" aus Dan 7 ausstattete (1,13-15) und in seiner Vision des himmlischen Jerusalem von einem einzigen "Thron Gottes und des Lamms" spricht (22, 1.3). Natürlich handelt es sich bei all diesen Aussagen um eine funktionale und nicht um eine definitorische Vergottung Jesu, aber wichtig ist, dass sie aus biblisch-jüdischen Wurzeln heraus erfolgte und als "Vollendung", nicht als Infragestellung oder Gefährdung des jüdischen Monotheismus verstanden wurde.49

4. Ganz beiläufig hat Theißen erwähnt, dass "die christologischen Hoheitstitel Abbreviaturen von Erzählungen" seien.50 Ich möchte diesen sehr produktiven Gedanken vertiefen: Sehr schön lässt sich das am Wechselverhältnis von Geschichte und vielen so genannten Titeln in den Evangelien zeigen: Es ist nicht nur so, dass die Hoheitstitel die Geschichte Jesu deuten, so dass ein bestimmter traditionaler Sinngehalt den Sinn der Jesusgeschichte oder die Hoheit der Jesusgestalt erschlösse. Ebenso wichtig, oft noch viel wichtiger, ist das Umgekehrte: Die Jesusgeschichte erschließt den Sinn eines Titels. So weiß zwar der Hörer des Markusevangeliums seit 1,1 und 1,11, dass Jesus Gottes Sohn ist, aber damit weiß er nur gerade so viel wie die Dämonen. Erst am Schluss des Buches kann er, nachdem er die ganze Jesusgeschichte gehört und Jesus durch sein Wirken und sein Sterben begleitet hat, in das Gottessohnbekenntnis des heidnischen Hauptmanns einstimmen (15,39).

Die jüdischen Leser des Matthäusevangeliums wissen zwar um den traditionellen Gehalt des Ausdrucks "Davidssohn" und werden durch den Stammbaum 1,2-16 in diesem Wissen auch bestätigt; aber die Jesusgeschichte, welche Matthäus erzählt, die Geschichte vom heilenden Davidssohn, wird ihr messianisches Vorwissen transformieren und ganz neu füllen.51 Der Ausdruck "Menschensohn" wird in allen Evangelien nie als titulare Bezeichnung, also nie als Anrede oder als Prädikativ, gebraucht, sondern er funktioniert als Selbstbezeichnung Jesu, welche seinen Weg von der Niedrigkeit bis zum Thron des Weltrichters bündelt und so den Hörern und Hörerinnen des Evangeliums ermöglicht, überall dort, wo sie vorkommt, den ganzen Weg Jesu zu konnotieren:52 Der, der jetzt keinen Ort hat, wo er sein Haupt hinlegen kann (Mt 8,20 Parr.), ist kein anderer als der, der einst die Welt als König richten wird (25,31.34) etc. Im Johannesevangelium bündelt "Menschensohn" die johanneische Jesusgeschichte: "Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer der, der vom Himmel herabgestiegen ist, der Menschensohn" (3,13). Es gibt nichts Unsinnigeres, als die Menschensohnworte fein säuberlich auf die drei Schubladen der Worte vom gegenwärtigen, vom leidenden und auferstehenden und vom kommenden Menschensohn zu verteilen, sie womöglich noch religionsgeschichtlich verschieden herzuleiten und zu meinen, damit hätte man sie verstanden. Vielmehr sind die Jesusgeschichte und die sie "mythisch" deutenden christologischen Titel so ineinander verschlungen, dass sie beide nur in ihrem wechselseitigen Bezug aufeinander verständlich werden. Natürlich lässt sich das außerhalb der Evangelien nicht so deutlich zeigen. Aber ich denke, dass z. B. der Ausdruck "Lamm" in der Johannesapokalypse,53 der das erzählende Osterkerygma 1Kor 15, 3-5 einleitende Titel Christos54, das von Paulus dem einleitenden Kerygma Röm 1,3 f. vorangestellte "sein Sohn" oder die Verbindung des Titels "Sohn" mit der sog. Sendungsformel (Röm 8,3; Gal 4,4; 1Joh 4,9; vgl. Mk 12,1-9) auch sehr schöne Beispiele für die Verbindung von christologischen Titeln mit der Geschichte Jesu sind, die so eng ist, dass eines ohne das andere nicht verstanden werden kann. In all diesen Fällen ist der "traditionelle" vorchristliche Bedeutungsgehalt eines christologischen Ausdrucks, welchen die Leser oder Hörer der Texte in ihrer "Enzyklopädie" mitbrachten, von relativ nebensächlicher Bedeutung.

5. Ist der als Erzählung verstandene Christusmythos der für das junge Christentum bestimmende Grundtext, so hat das Konsequenzen für die Frage nach dem Zentrum des Neuen Testaments: Die Evangelien werden seine zentralsten Texte und bilden gleichsam das Mittelschiff der "semiotischen Kathedrale" Urchristentum. Das ist mir theologisch wichtig, weil gerade der Protestantismus oft dazu neigte, bestimmte begriffliche Interpretationen des Evangeliums zu seinem Zentrum zu machen, z.B. die Rechtfertigung, das Gottesreich oder die Kreuzestheologie. Für diese These sprechen die Evangelien selbst: Sie verstehen sich als Grundbücher einer neuen Religion. Das Markusevangelium ist die arche, d. h. wohl die "Grundlage"55 der kirchlichen Verkündigung vom Gottessohn Jesus Christus. Das Matthäusevangelium ist eine biblos, eine neue "Genesis", welche die bisherige Grundgeschichte Israels im Stammbaum als "Vorgeschichte" kurz resümiert und sie zugleich ersetzt.56 Mt 28,20a ist eine faktische "Selbstkanonisierung" mindestens der Jesusreden durch den Evangelisten.57 Das Johannesevangelium lässt seine Geschichte vom Sohn und Gottesgesandten Jesus mit der Schöpfung beginnen. Das lukanische Doppelwerk ist die Grundgeschichte der heidenchristlichen Gemeinden vermutlich in Rom, die erzählt, welchen Weg der Gott Israels vom Zentrum Israels bis zu ihnen selbst, in der Welthauptstadt Rom, gegangen ist. Alle Evangelien enthalten ein ausgesprochen "mythisches Eingangstor" (Mk 1,2-13; Mt 1,2-4,22; Lk 1,5-4,30; Joh 1,1-18), welches zugleich Anfang der erzählten Geschichte ist. Es hat die Aufgabe, den Lesern den Horizont, in welchen die Verfasser ihre Jesusgeschichte gestellt sehen möchten, auszuleuchten. Gegen meine These, dass die Evangelien das "Mittelschiff" der semiotischen Kathedrale Urchristentum darstellen, könnte sprechen, dass sie erst relativ spät entstanden sind. Aber Gerd Theißen hat in überzeugender Weise darauf hingewiesen, dass ihre Entstehung zentral mit dem "Weg der urchristlichen Religion zu einer autonomen Zeichenwelt"58 zu tun hat. Anders ausgedrückt: Alle Evangelien verarbeiten in irgendeiner Weise die Ablösung der Jesusbewegung vom Judentum und ihren Weg zu einer eigenständigen Religion. Erst das Bewusstsein, eine eigenständige Religion zu sein, schenkte den frühen Christen die Freiheit, den Jesusmythos als neue Grundgeschichte zu erzählen. Beim Markusevangelium scheint mir dieser Zusammenhang historisch besonders evident: Das Bewusstsein, etwas anderes zu sein als die "väterliche Religion" des Judentums, wurde den christlichen Gemeinden in Rom durch die neronische Verfolgung in Rom schmerzhaft eingebläut. Das kurz vor 70 in Rom entstandene Markusevangelium ist m. E. die Antwort auf diese Verfolgungserfahrung.

6. Mythen transzendieren die von ihnen erzählte "primordiale" Zeit. Wie man nach Eliade "durch das Rezitieren der Mythen .... gleichsam zum Zeitgenossen der beschworenen Ereignisse" wird und "aus der profanen, chronologischen Zeit ... in eine qualitativ andere Zeit ..., in eine heilige, sowohl primordiale wie immer wieder zurückzugewinnende Zeit"59 zurückkehrt, so spielt auch bei der Lektüre der Evangelien das "Gleichzeitigwerden" eine entscheidende Rolle. Die Jünger sind dabei für die Leser die wichtigsten Identifikationspersonen. Ich habe diesen Sachverhalt, der im Markus-, Matthäus- und Johannesevangelium besonders deutlich zu greifen ist, als "transparente" bzw. "inklusive" Geschichte zu beschreiben versucht.60 Bei Paulus hat sie in der "Epiphanie" Christi im leidenden Apostel ihr Analogon. Gerhard Sellin hat mit Recht den Ausdruck "Realpräsenz" auf den ganzen in den Evangelien erzählten Christusmythos bezogen:61 Die besondere Realpräsenz Christi in der Feier des Herrenmahls, in hellenistischen Gemeinden in Leib und Blut Christi, ist also eingebettet in die Realpräsenz der in diesem Ritus erinnerten Geschichte Christi, insbesondere seiner Passion. Der in der "Großen Woche", der Osterwoche der orthodoxen Kirchen, aber z. T. auch in der katholischen Kirche erlebbare rituelle Nachvollzug der ganzen Passion Jesu macht dieses Eingebettetsein deutlich erfahrbar. Die Offenheit der evangelischen Christusgeschichte gegenüber ihrer Repräsentation in anderen als nur sprachlichen Medien - ich denke an Riten62, Spiele (nicht nur Passionsspiele!) und Bilder - passt zu ihrem mythischen Charakter. Ich meine also, dass die Deutung der evangelischen Geschichte als Mythos ihre Kraft und viele Weisen ihrer Rezeption gut verstehbar werden lässt. Natürlich gibt es hier auch christliche Besonderheiten, vor allem die durch den Auferstehungsglauben begründete Gegenwart Christi, die nach christlichem Verständnis nicht erst durch die Anamnese oder ein Ritual entsteht.

7. Anhangsweise möchte ich noch auf das Problem der Schriftlichkeit der Evangelien hinweisen. Die Evangelien sind von Anfang an schriftliche Texte, während Mythen primär mündliche Texte sind, welche erzählt, rezitiert, zelebriert, dargestellt, gespielt werden. Nach Eliade bedeutet die Verschriftlichung von Mythen den Ausgangspunkt einer kulturgeschichtlich irreversiblen Entwicklung63 und macht das Herausfallen aus dem Mythos überhaupt erst möglich.64 Für das Christentum gilt dies aber nur sehr langfristig. Die schriftlich formulierten Evangelien waren in einer Gesellschaft, in der die Lesefähigkeit auch in christlichen Gemeinden 15 % kaum überstieg und in der auch schriftliche Texte weithin oral rezipiert wurden, zunächst vor allem die gesicherte Basis der weiter wirksamen mündlichen Überlieferung. Zwar blieb der Christusmythos vor Dogmatisierung nicht geschützt; aber auch das christologische Dogma wollte ja den erzählten Christusmythos keineswegs ersetzen. Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der Glaubensgemeinschaft der Kirche, welche die Wirksamkeit des Christusmythos trug und schützte; die griechischen Mythen hatten einen vergleichbaren institutionellen Schutz nicht und fielen relativ leicht der Mythenkritik der sophistischen Aufklärung zum Opfer. Eigentlich ist das Christentum erst in der Neuzeit und vor allem in seiner reformatorischen Gestalt eine schriftzentrierte Religion geworden. Dies bedeutete allerdings eine folgenreiche und irreversible Revolution und hat das neuzeitliche "Herausfallen" aus dem Mythos begünstigt.

IV. Überlegungen zur funktionalen Bedeutung

des Christusmythos


Die Anwendung des Mythoskonzepts auf das neutestamentliche Christusverständnis ist darum so fruchtbar, weil es eine Diastase zwischen beschreibenden und funktionalen Interpretationsweisen überwinden kann. Mythen sind Grundgeschichten, welche das Leben ordnen und bestimmen und Orientierung stif- ten; sie sind weder Fabeln noch Theoreme noch narrativ verkleidete Lehren. Sie sind nicht einfach als erzählte Geschichte wahr, sondern sie wollen im Leben funktionieren. Sie wollen Leben konstituieren, stabilisieren, Leben und Lebenswelten verändern. Mythen als die Lebenswelt der Hörer und Hörerinnen konstituierende Grundgeschichten wollen also nicht nur semiotisch, sondern auch funktional interpretiert werden. Funktionale Interpretation heißt aber zugleich, dass die semiotische Konstruktionsebene zur Geschichte hin geöffnet wird. Dies entspricht auch Gerd Theißens Absicht. Die Öffnung zur Geschichte aber bedeutet prinzipiell auch die Wahrnehmung ihrer Ambivalenz. Dies entspricht weniger Theißens Absicht. Ich beginne wieder mit dreien seiner Beobachtungen, denen ich zustimme. In allen diesen drei Funktionen des Christusmythos ist die von Fritz Stolz beschriebene stabilisierende Wirkung von Mythen65 deutlich sichtbar.

1. Als erste Funktion des Christusmythos nennt Theißen die Dissonanzreduktion.66 Mit dem Bekenntnis zur Erhöhung Jesu war nach Ostern eine Reduktion der durch die Hinrichtung Jesu entstandenen kognitiven Dissonanz verbunden. Dissonanzbewältigung durch den Christusmythos geschah aber auch in ganz anderer Weise, z. B. bei Paulus, der seine vielen Leiden als "Sterben Jesu" deutet (2Kor 4,10), oder durch das Markusevangelium, das den in Rom vom Martyrium bedrohten Gemeindegliedern die ganze Jesusgeschichte, die mit Kreuz und Auferstehung endet, erzählt.

2. Nach außen bedeutete das Bekenntnis zur Erhöhung Jesu Konkurrenzüberbietung:67 Der eine Gott und der eine Herr degradiert alle anderen Götter und Herren zu so genannten Göttern (1Kor 8,5). Dass Christus alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, ist die Grundlage der Weltmission der matthäischen Gemeinde (Mt 28,18). Die Christen der johanneischen Gemeinden, die von der Welt gehasst sind und in ihr voller Angst leben (16,2.33), wissen, dass der, dessen Reich nicht von dieser Welt ist (18,36), die Welt überwunden hat (16,33). Am deutlichsten ist diese Funktion in der Johannesapokalypse mit ihrer Hoffnung auf einen endgültigen Sieg des "Königs der Könige" (19,16) über die Tiere und den Drachen. In fast allen diesen Fällen bedeutet die Konkurrenzüberbietung zugleich einen Statuszuwachs oder eine kompensative Hoffnung für Angehörige unterer Schichten oder Leidende.

3. Eine von Theißen ebenfalls gewürdigte wichtige Funktion des Christusmythos ist die religiöse Distanzreduktion.68 Eindrückliche Beispiele dafür sind Mt 1,23 - Jesus als "Gott mit uns" - oder Joh 1,14 - das Sehen der Herrlichkeit des inkarnierten Gottes. Jesus, der eingeborene Gott, ist der Exeget des Gottes, den niemals jemand gesehen hat (Joh 1,18).

4. Eine von Theißen in diesem Buch weniger herausgestellte Funktion des Christusmythos ist die der Gemeinschaftsstiftung. "Mythos fundiert in Form des kollektiven Gedächtnisses die Identität einer Gruppe"69. Die gemeinschaftsstiftende Funktion des Christusmythos wird an der paulinischen Chiffre vom soma Christu am deutlichsten sichtbar. Hier handelt es sich nicht einfach um eine christologische Etikettierung der stoisch-orphischen Vorstellung von Zeus als Weltleib, sondern um eine Wirkung des Christusmythos. Das machen z. B. der paulinische Verweis auf das Herrenmahl als Erfahrungsort der koinonia des Christusleibs (1Kor 10,16 f.) oder der vom Briefverfasser mit Recht70 ekklesiologisch zugespitzte Christushymnus Kol 1, 15-20 deutlich. Auf die wirkliche Erfahrung der koinonia bis hinein in den Bereich des Sozialen legt besonders Paulus großen Wert; aber auch andere Texte, wie z. B. Joh 13,1-20; 17,21 oder Eph 4,1-6 zeigen, wie der Christusmythos die Gemeinschaft konstituiert.

5. Nach außen wirkt der Christusmythos im Sinne der Kosmopolitie und der Aufhebung von Grenzen: Ihn charakterisiert ein universalistischer Grundzug: Der erhöhte Christus ist Herr der ganzen Welt; der durch die Christologie neu zentrierte Monotheismus hält fest, dass Gott nicht nur ein Gott der Juden, sondern auch der Heiden ist (Röm 3,29). Innerhalb der Gemeinde sind die Grenzen wenigstens im Prinzip niedergerissen: "Es ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht männlich noch weiblich: Ihr alle seid nämlich einer in Christus Jesus" (Gal 3,28). Für die gesamte Kirche gilt nach dem Epheserbrief, dass durch Christus, der "unser Friede" ist, und durch die Wirksamkeit seines Apostels Paulus die Trennwand zwischen Juden und Heiden endgültig niedergerissen ist (Eph 2, 14). Die Praxis der Kosmopolitie innerhalb der Gesamtkirche wird durch die ausgedehnte Reisetätigkeit auffällig vieler Gemeindeglieder im Frühchristentum sichtbar dokumentiert.

6. Der Gemeinschaftsstiftung entspricht aber auch die Trennung: Sie wird schon früh sichtbar, z. B. daran, dass der erhöhte Christus davon spricht, dass er gekommen sei, ein Schwert auf die Erde zu werfen und die Söhne und Töchter, welche der christlichen Gemeinschaft beitraten, von ihren Vätern und Müttern zu trennen (Mt 10,34-36). Hier wird die Ambivalenz der Wirkung des Christusmythos sichtbar: Mit was für Augen haben wohl diese Eltern auf die durch den Christusmythos konstituierte neue "semiotische Kathedrale" geblickt? Sie werden in ihr eher einen ohne Baubewilligung erstellten hässlichen Neubau gesehen haben. Der Verfasser des Epheserbriefs spricht zwar von dem durch Christus geschaffenen Frieden zwischen Juden und Heiden, aber faktisch wurden durch Christus neue und sehr hohe Trennmauern geschaffen, zwischen jüdischen Jesusanhängern und späteren Christen und den übrigen Juden und auch zwischen Christen und Nichtchristen überhaupt. Ein Semiotiker mag von der Schönheit der von ihm konstruierten "wunderbaren Kathedrale aus Zeichen"71 beeindruckt sein; ein Christ wird dazu einladen, in ihr Gottesdienst zu feiern. Ein Religionsgeschichtler muss aber z. B. auch fragen, warum die große Mehrzahl der mit dem neuen "Frieden" beschenkten Juden offenbar keine Lust hatte, in diese Kathedrale einzutreten. Auch diese Frage gehört zur religionswissenschaftlichen Distanzierung - in diesem Fall durch die Religionsgeschichte -, der wir als Theologen das frühe Christentum auszusetzen haben. Nach der paganen Seite hin ist der Schatten, der durch die trennende Wirkung des Christusmythos auf die "Kathedrale" fällt, zunächst nicht so augenfällig, denn das Christentum war relativ erfolgreich. Aber offensichtlich empfanden auch viele Heiden das frühe Christentum nicht als einladende Kathedrale, sondern mit dem jüngeren Plinius als "superstitio prava immodica" (Ep 10,96,8). Die Religionsgeschichte muss fragen, warum die große Mehrzahl der Heiden trotz der von Theißen so eindrucksvoll dargelegten Plausibilität der Zeichenwelt des Frühchristentums,72 nicht sogleich und in riesigen Scharen in diese Kathedrale geströmt ist, sondern dies erst dann in Massen tat, nachdem diese nochmals und ganz erheblich umgebaut, ihre engen Pforten beträchtlich erweitert und die Zugangswege zu ihr durch kaiserliche Erlasse geebnet worden waren. Die Frage ist offen, und es gibt darauf verschiedene Antworten.

7. Ich komme zu einer weiteren Wirkung des Christusmythos, welche den Eindruck der Ambivalenz verstärkt. Seine Erzählung endet universalistisch: Christus ist Herr über Himmel und Erde; Gott ist Gott aller Menschen, der Juden und der Griechen. Zur Rückseite dieser Universalität gehört Exklusivität. Der Christusmythos ist zwar in seinem Innern vielgestaltig, facettenreich und zunächst wenig dogmatisch fixiert, aber er lässt gegen außen keine anderen Mythen zu. Gerade weil er universalistisch ist und gerade weil er in einem umfassenden Sinne lebensstiftend sein will, führt er zu einer endgültigen Scheidung der Menschen in die, die gerettet werden, und die, die verloren gehen. Zwischenlösungen und Grautöne gibt es keine. Aus dem Christusmythos herauszufallen ist die Sünde, welche zum Tode führt (1Joh 5,16). Zu den Wirkungen des Christusmythos gehört nicht nur das Schwarzmalen derer, die ihn nicht annehmen, sondern manchmal sogar ihre Dämonisierung. So werden schon im Neuen Testament die Juden zu Söhnen des Teufels (Joh 8,44). So wird der römische Staat und insbesondere Nero zum Tier aus dem Abgrund, vom alten Drachen, dem Teufel, kaum noch unterscheidbar. Gewiss hatte der römische Staat für die meisten seiner Einwohner viele dunkle Seiten, und gewiss ist Nero aus vielen Gründen eine sehr dunkle Gestalt. Zum Tier aus dem Abgrund wurde er aber in den Augen des Apokalyptikers Johannes allein deshalb, weil er "mit den Heiligen Krieg führte" (Apk 13,7) - alles andere Dunkle an Nero interessiert ihn nur sekundär.

Ich breche ab. Es ging mir erstens darum, zu zeigen, wie fruchtbar Gerd Theißens Verständnis der Religion als semiotisches Zeichensystem ist. Dies gilt insbesondere für seinen Vorschlag, die neutestamentliche Christologie als Christusmythos zu verstehen. Zweitens wollte ich zeigen, dass dann, wenn die semiotische Konstruktionsebene um funktionale Fragestellungen erweitert und damit das Tor zur Geschichte geöffnet wird, Schatten von geschichtlichen Ambivalenzen auf die Konstruktion einer Religion fallen. Funktionale Betrachtungsweisen, Religionsgeschichte und Ambivalenzen gehören zusammen. Die Religionsgeschichte nötigt deshalb zu kritischen Rückfragen an die semiotische Konstruktion. Ich denke, dass sowohl historisch als auch theologisch über die Plausibilität oder Wahrheit einer Religion nur so nachgedacht werden kann, dass solche Schatten ernst genommen werden.

Nicht explizit angeschnitten habe ich die hermeneutische Frage. Ich hoffe aber, sie wenigstens insoweit vorbereitet zu haben, als deutlich wurde, dass die neutestamentliche Christusverkündigung vom Christusmythos nicht zu trennen ist. "Mythen sind" nach Georg Picht "die Sprache, in der sich darstellt, was in der Religion erfahren wird"73. Sie können zwar in ihrer semiotischen Besonderheit und in ihrer funktionalen und historischen Ambivalenz von Theologie und Religionswissenschaft beschrieben werden. Aber sie können nicht unter psychologische, soziologische, historische oder linguistische Kategorien subsumiert werden - dann ginge die Wahrnehmung der Eigenständigkeit der Religion verloren. Sie können auch nicht durch rationale Überlegungen letztlich plausibel oder gar evident gemacht werden - dann würde der Mythos auf andere Weise wiederum dem Logos untergeordnet und verlöre seine unvertretbar eigene Kraft.

Diese Kraft kann letztlich nur von Menschen erfahren werden, die man zwar zum Betreten eines Gebäudes einladen kann. Aber erst dann, wenn sie drin sind und dort vielleicht zu beten anfangen, können sie sagen, ob dieses Gebäude wirklich eine Kathedrale ist.

Summary

In a dialogue with Gerd Theißen's great book "A theory of primitive Christian religion" (London 1999) the author reflects on the significance of a concept of "myth" for early Christian Christology. A concept of "myth" should include both its semiotic and its functional dimension. Such a concept helps to understand the narrative character of NT Christology, the centrality of the gospels within the New Testament, and the specific character of the gospels as stories transcending their own narrated time. The functional dimension opens the door to a history of religion of early Christianity. Its task could be to show the historical ambivalence of semiotically constructed "cathedrals".

Fussnoten:

1) Festvortrag anlässlich einer gemeinsamen Geburtstagsfeier für Gerd Theißen und Heinz Schmidt in der Alten Aula, Heidelberg, 2. Mai 2003.

2) Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Zürich 1949.

3) G. Theißen, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000, 21 (vgl. die Rezension von Werner Zager in ThLZ 126 [2001], 409).

4) Theißen a. a. O., 385.410 ("eine wunderbare Kathedrale aus Zeichen"); vgl. 44 u. ö.

5) Das gilt auch für die atheistische Gegenposition, welche Religion als menschliche Projektion versteht: Auch eine solche reine Außenperspektive ist nicht wissenschaftlich verifizierbar; vgl. Theißen a. a. O., 20.

6) Das neueste Beispiel ist H. G. Kippenberg/K. von Stuckrad, Einführung in die Religionswissenschaft, München 2003. Das Buch enthält viel Bedenkenswertes über allerlei, was man irgendwie mit so etwas wie "Religion" in Verbindung bringen könnte, verzichtet aber von vornherein darauf, irgendwelche Eigenaussagen von Vertreter/innen irgendwelcher Reli-
gionen verstehen zu wollen. Ich erinnere an den "Kritischen Exkurs über die Religionswissenschaft" von Georg Picht, in: Kunst und Mythos, Stuttgart 1986, 498-505. Picht stellt fest, dass die Religionswissenschaft, welche von verschiedenen Ausgangspositionen aus versucht habe, die Festung "Religion" einzunehmen, wie z. B. Psychologie, Ethnologie, Anthropologie, Soziologie, daran gescheitert sei: "Die Sache selbst, nämlich die Religion, [ist] unverstanden und unberührt in einem Vakuum verblieben" (502).

7) So sehen das Kippenberg/von Stuckrad a. a. O., 11; sehr viel differenzierter F. Stolz, Grundzüge der Religionswissenschaft, Göttingen 21997, 36-42.

8) Die Metapher ist suggestiv und verführerisch. "Kathedralen" haben für den vordergründigen Betrachter einerseits etwas Schönes und Erhebendes, andererseits etwas merkwürdig Zeitloses an sich.

9) Theißen a. a. O., 283 (Titel des V. Teils).

10) Zum griechischen Mythosverständnis vgl. G. Stählin, Art. mythos, ThWNT IV, 1942, 771-787; W. Burkert, Art. Mythos, Mythologie I. Antike, HWP VI, 1984, 282 f.; ausführlich L. Brisson, Einführung in die Philosophie des Mythos I, Darmstadt 1996, 1-142.

11) A. und J. Assmann, Art. Mythos, HRWG IV, 1998, 179-181; K. Hübner, Art. Mythos. I Philosophisch, TRE XXIII, 1994, 597-599; H. Zinser, Theorien des Mythos, in: K. H. Kohl, Mythen im Kontext. Ethnologische Perspektiven, Frankfurt 1992, 149-156.

12) J. F. Lyotard, La condition postmoderne, Paris 1979, 7-9.

13) Xenophanes fr B 1,22, vgl. B 10-16 (Diels-Kranz [1996], 128, vgl. 130-132); Plato, Resp 377d-383c; vgl. 595b ff.

14) Vgl. Assmann a. a. O., 198: "Mythos als Organon zur Konstruktion von Wirklichkeit".

15) Als Beispiel diene das Verständnis der "Hierophanie" bei Mircea Eliade, für den das Erscheinen des Heiligen im Profanen zu so etwas wie einer auf alles Religiöse ausgeweiteten Inkarnation wird: Hierophanien sind "Präfigurationen des Wunders der Inkarnation" und offenbaren "das Mysterium der Koinzidenz Mensch - Gott", wobei der Religionswissenschaftler Eliade davon ausgeht, dass "das Heilige ... sich in jeder, und sei es der abwegigsten Form" manifestiert (M. Eliade, Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte, Salzburg 1954, 55). Eine universalisierte Inkarnationstheologie! - Die Abgrenzung gegenüber Eliade ist mir wichtig, gerade weil ich im Folgenden viel von ihm übernehme.

16) Vgl. J. Mohn, Mythostheorien, München 1998, 53 f. Das Letztere implizit-kritisch zu J. Hick, Religion, München 1989, 261 f.

17) K. Reinhardt, Platons Mythen, 1927, 159.

18) Von diesem weiten Verständnis von Mythen geht W. Burkert aus (Antiker Mythos - Begriff und Funktion, in: H. Hofmann (Hrsg.), Antike Mythen in der europäischen Tradition, Tübingen 1999, 11-26).

19) F. Stolz, Art. Mythos. II. Religionsgeschichtlich, TRE XXII, 1994, 613. In ähnlicher Weise eng ist die Definition von M. Eliade, Mythos und Wirklichkeit, Frankfurt 1988, 15: "Der Mythos erzählt eine heilige Geschichte; er berichtet von einem Ereignis, das in der primordialen Zeit ... der Anfänge stattgefunden hat".

20) Assmann a. a. O. (Anm. 11), 185 f.

21) Das gilt auch für den Buddhamythos und den Zarathustramythos, nicht aber z. B. für Mose.

22) Z. B. P. Ricur, Symbolik des Bösen, München 1971, 187-195; Hübner a. a. O. (Anm. 11), 602 im Unterschied zur Mythologie; Assmann a. a. O. (Anm. 11), 187 f.; Theißen a. a. O. (Anm. 3), 21-23.39.

23) Bultmann hat die johanneische Jesuserzählung gerade nicht interpretiert! Das zeigt sich u. a. an seinen waghalsigen Umstellungshypothesen.

24) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 49 f.; vgl. Stolz a. a. O. (Anm. 19), 612 f.

25) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 19.

26) Stolz, a. a. O. (Anm. 19), 613.

27) Pointiert formuliert das R. Panikkar, Mythos und Logos. Mythologische und rationale Weltsichten, in: H. P. Dürr/W. C. Zimmerli (Hrsg.), Geist und Natur, Bern-München 1989, 206-220: "Irgend eine Interpretation würde den Mythos zerstören" (212). Der Mythos erlaubt nach ihm weder Phänomenologie noch Hermeneutik, schon gar nicht Definitionen. Die Weise des In-Erscheinung-Tretens des Mythos ist die "Mythophanie", welche im Geist und nicht in der Vernunft geschieht.

28) Nach C. Lévi-Strauss einer eigenen Weise des Denkens (Mythos und Bedeutung, Frankfurt 1995 [= 1980], 14 f.; ders., Strukturale Anthropologie, Frankfurt 1971, bes. 227-230; ders., Das wilde Denken, Frankfurt 21977, 35 f.).

29) F. Stolz, Der mythische Umgang mit der Rationalität und der rationale Umgang mit dem Mythos, in: H. H. Schmid (Hrsg.), Mythos und Rationalität, Gütersloh 1988, 87.

30) K. Hübner a. a. O. (Anm. 11), 599-604.

31) A. und J. Assmann a. a. O. (Anm. 11), 187.190 unterscheiden deshalb sinnvoll zwischen "den" konkret erzählten Mythen und "dem" Mythos im Sinn einer Mentalitätsform oder Bewusstseinsstufe.

32) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 39.

33) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 21 f. Anm. 5.

34) "Mentalitäten" sind Eigenschaften von Menschen und nicht solche von Texten wie z. B. Mythen.

35) Nach Eliade a. a. O. (Anm. 19), 20 ist der Mensch durch die in einem Mythos erzählten primordialen Ereignisse "konstituiert". Vgl. Stolz a. a. O. (Anm. 29), 84; vgl. ebd. 91: "Orientierung durch Identifikation", im Unterschied zur Philosophie, die "Orientierung durch Distanz" schafft.

36) G. Sellin, Mythologeme und mythische Züge in der paulinischen Theologie, in: H. H. Schmid a. a. O. (Anm. 29), 209-223.

37) Eliade a. a. O. (Anm. 15), 488; vgl. ebd. 471.

38) Es ist nicht zufällig, dass sich aus den griechischen Mythen die inszenierten Tragödien, aus der Passionsgeschichte die Passionsspiele entwickelten.

39) Sellin a. a. O. (Anm. 36), 211.

40) So T. Holtz, Art. Mythos. IV Neues Testament, TRE XXIII, 1994, 644.646 in apologetischer Untertreibung.

41) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 48.

42) So W. Pannenberg, Christentum und Mythos, in: ders., Grundfragen systematischer Theologie. Gesammelte Aufsätze Bd. II, Göttingen 1980, 60 vom Inkarnationsgedanken.

43) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 47-70.

44) Den Begriff der "Transformation" hat bereits W. Thüsing, Die neutestamentlichen Theologien und Jesus Christus I. Kriterien, Düsseldorf 1981, 125-144 hellsichtig in die Diskussion über die Auferstehung Jesu eingebracht.

45) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 49-51. Ob es sinnvoll ist, die jüdische Gottesreichhoffnung, wie sie Jesus vertrat, als Mythos zu bezeichnen, muss man allerdings fragen: Das entscheidende formale Kriterium eines Mythos, nämlich die mit der Gottesreichhoffnung verbundene Erzählung, hat Jesus in bemerkenswerter Weise außer Acht gelassen und durch seine eigene Geschichte ersetzt.

46) W. Bousset, Kyrios Christos (FRLANT 21) 21921, 31 (vom Erlösermythos); R. Bultmann, Neues Testament und Mythologie, in: H. W. Bartsch, Neues Testament und Mythologie (ThF 1), 21951, 26 ("im wesentlichen die Mythologie der jüdischen Apokalyptik und des gnostischen Erlösermythos").

47) Vgl. Theißen a. a. O. (Anm. 3), 73-75.

48) Zur Interpretation vgl. J. D. G. Dunn, The Theology of Paul the Apostle, Edinburgh 1998, 252-255.

49) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 73.

50) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 39 Anm. 17.

51) Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17) (EKK I/2), Neukirchen-Düsseldorf 31999, 59-61.

52) Vgl. bes. D. R. A. Hare, The Son of Man Tradition, Minneapolis 1990.

53) Wie wenig der traditionelle Gehalt der Bezeichnung "Lamm" erschliesst, wer das zum Thron Gottes erhöhte und siegreiche Lamm ist, zeigt sich bereits an der demonstrativen Verfremdung des Bildes: Das Lamm trägt sieben Hörner (5,6), öffnet das Buch (6,1), "weidet" die Erlösten (7,17) und führt Krieg (17,14).

54) Das Hauptproblem des neutestamentlichen Gebrauchs des Christus-Titels besteht bekanntlich darin, dass der traditionelle messianische
Gehalt dieses oft mit dem Sterben Jesu verbundenen Titels (vgl. W. Kramer, Christos, Kyrios, Gottessohn, AThANT 44, 1963, 34-41) völlig umgeformt zu sein scheint.

55) Zur Deutung vgl. R. Pesch, Das Markusevangelium I (HThK I/1), 1976, 76. Ich möchte den Titel auf das ganze Buch beziehen und nicht, wie D. Lührmann, Das Markusevangelium (HNT 3), 1987, 33 nur auf V. 2-15.

56) Vgl. U. Luz, Das Matthäusevangelium - eine neue oder eine neu redigierte Jesusgeschichte? in: S. Chapman/C. Helmer/C. Landmesser (Hrsg.), Biblischer Text und theologische Theoriebildung, BThS 44, Neukirchen 2001, 53-76.

57) Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 26-28) (EKK I/4), 2002, 455.

58) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 225-280.

59) Eliade a. a. O. (Anm. 19), 26.

60) U. Luz, Art. Geschichte, TRE XII, 1984, 596-599; ders., Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1-7), EKK 1/1, 52002, 36 f.

61) Vgl. o. Anm. 39.

62) Neben dem Herrenmahl ist auch an die bei Paulus als Partizipation an Tod (und Auferstehung) verstandene Taufe zu erinnern (Röm 6,3 ff.; vgl. Kol 2,12 f.).

63) Eliade a. a. O. (Anm. 19), 157. Vorsichtiger formulieren A. und J. Assmann 189: "In der abendländischen Tradition wird der Zusammenhang von Mythos und Leben mit dem Eindringen der Schriftlichkeit verändert".

64) Eliade a. a. O. (Anm. 19), 154 spricht von einem "Sieg des literarischen Werkes über den religiösen Glauben". Diese Entwicklung lässt sich zumal im griechischen Kulturraum gut dokumentieren. Die Verschriftlichung machte die Distanzierung vom Mythos und seine Kritik möglich, wie sich an der Wirkungsgeschichte Homers gut zeigen lässt.

65) "Der Mythos beinhaltet eine Transformation von der Labilität zur Stabilität" (Stolz a. a. O. [Anm. 19], 613).

66) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 76 ff.

67) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 83 ff.

68) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 90 ff.

69) Assmann a. a. O. (Anm. 11), 197.

70) Vgl. U. Luz, Der Brief an die Kolosser, in: J. Becker/U. Luz, Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser (NTD 8/1) 1998, 205.

71) Theißen a. a. O. (Anm. 3), 410.

72) Vgl. Theißen a. a. O. (Anm. 3), 393-411. Dieser Abschnitt des Buches ist für mich zugleich eindrücklich und problematisch: Eindrücklich deshalb, weil hier auf der Basis einer religiösen Evolutionstheorie, auf der Basis nicht einer geschlossenen christlichen Lehre, sondern einer Vielzahl von "Grundmotiven" des frühen Christentums, eine nicht unplausible Korrelation von Urchristentum und der aus den "verdichteten Erfahrungen vieler Generationen" (394) erhobenen conditio humana gewon- nen wird. Problematisch ist mir das alles einerseits deshalb, weil in diesem Versuch manche Türme und Pfeiler der "Kathedrale" weitgehend ausgeblendet werden, z. B. die Weltverneinung der Apokalypse oder die Weltüberwindung der johanneischen Gemeinden, und weil andererseits durchweg unklar bleibt, von wessen "verdichteten Erfahrungen" eigentlich die Rede ist: Von denjenigen christlicher Frauen? Von denjenigen von Juden? Von denjenigen von "kleinen Leuten"? Von denjenigen antiker Gebildeter? Oder von denjenigen des modernen Intellektuellen Gerd Theißen?

73) G. Picht a. a. O. (Anm. 6), 492.