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Ausgabe: | September/1998 |
Spalte: | 919–922 |
Kategorie: | Ökumenik, Konfessionskunde |
Autor/Hrsg.: | Gamillscheg, Maria-Helene |
Titel/Untertitel: | Die Kontroverse um das Filioque. Möglichkeiten einer Problemlösung auf Grund der Forschungen und Gespräche der letzten hundert Jahre. |
Verlag: | Würzburg: Augustinus-Verlag 1996. 231 S. 8 = Das östliche Christentum, N.F. 45. Kart. DM 58,-. ISBN 3-7613-0183-9. |
Rezensent: | Bernd Oberdorfer |
Es wäre übertrieben zu behaupten, daß das Filioque-Problem in der gegenwärtigen theologischen Diskussion gesteigerte Beachtung fände. Das ändert nichts daran, daß es - wiewohl "nicht der eigentliche [richtiger müßte es heißen: der einzige] Spaltungsgrund zwischen den Kirchen" (215 f.) - weiterhin einer der zwischen den westlichen und den orthodoxen Kirchen strittigen Punkte und als solcher regelmäßiger Gegenstand interkonfessioneller Gespräche ist. - Die anzuzeigende Arbeit, Buchfassung einer bereits 1989 am Institut für Patrologie und Ostkirchenkunde der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien eingereichten Dissertation, ist denn auch laut Verlagswerbung verfaßt worden, "um für die Gespräche in der orthodox-katholischen Dialogkommission als Argumentationshilfe dienen zu können". Dies erklärt (rechtfertigt jedoch nicht) den irritierenden Umstand, daß die Autorin zwar im Untertitel umfassend "Möglichkeiten einer Problemlösung auf Grund der Forschungen und Gespräche der letzten hundert Jahre" avisiert, dabei aber protestantische Beiträge weitgehend ignoriert.
Nach einem allzu knappen und bemerkenswert unpräzisen "Historischen Überblick" (Kap. 1: 11 f.) über die Entstehung der Filioque-Kontroverse stellt G. in einem zweiten Kapitel (13-26) die systematisch relevanten Aspekte des Themas dar. Sie entwickelt dabei (unter Berufung u. a. auf Y. Congar) ihre grundlegende These, daß westliche und östliche Trinitätslehre unterschiedliche "theologische Ansätze" repräsentierten, die aber "von verschiedenen Seiten zum selben Ziel" kämen und sich deshalb komplementär zueinander verhielten (vgl. 12-15), und benennt die wichtigsten Argumente gegen das Filioque (21-26). Das dritte Kapitel (27-42) behandelt die Unionskonzilien von Lyon 1274 und Ferrara-Florenz 1438/39 und versucht im Blick auf letzteres die für G.s eigene Argumentation tragende These zu belegen, die florentinische Fassung des Filioque stehe keinesfalls notwendig in kontradiktorischem Widerspruch zum photianischen "aus dem Vater allein"; angefügt ist eine kaum überzeugende Polemik gegen die vorzügliche Monographie von H.-J. Marx, Filioque und Verbot eines anderen Glaubens auf dem Florentinum (St. Augustin 1977).
Die Kapitel 4-6 (43-200) bilden den Hauptteil des Werkes. Sie lösen die Ankündigung des Untertitels ein und stellen ausführlich interkonfessionelle "Gespräche" und theologische "Forschungen" seit 1870 dar. Breiten Raum nehmen dabei (Kap. 4: 43-100) mit Recht die bahnbrechenden altkatholisch-anglikanisch-orthodoxen Unionskonferenzen in Bonn 1874 und 1875 und die daran anknüpfenden Dialoge ein (43-65); verdienstvollerweise stellt G. anschließend die das Filioque betreffenden Positionen einiger im Westen wenig bekannter, an den Gesprächen beteiligter orthodoxer Theologen (vor allem Bolotov; ferner Osinin, Svetlov, Kireev), aber auch des Unionsgegners Gusev vor (65-100). Von einer Anwendung moderner "historisch-kritischer" Methodik auf die Kirchenväterexegese bei einzelnen Orthodoxen des 19. Jh.s (vgl. 86) sollte man im übrigen nicht sprechen; die Forderung, geschichtlichen Kontext und literarische Gattung bei der Auslegung zu berücksichtigen, gehört zu den Errungenschaften bereits der byzantinischen Väterhermeneutik und konnte natürlich immer auch gegen das Filioque zur Geltung gebracht werden. Nach kurzen Informationen über "Einheitsbemühungen in der Zwischenkriegszeit" (101-109) werden im längsten Abschnitt des Werkes die Diskussionen seit 1945 behandelt (110-200). Auffällig ist, daß auch hier altkatholische (110-117) und anglikanische (117-133) Aktivitäten im Vordergrund stehen; G. bemerkt selbst, daß erst "seit dem II. Vatikanischen Konzil auch von römisch katholischer Seite verstärkte Bemühungen [zu bemerken seien], das Eis der Jahrhunderte zu brechen" (133).
Dennoch fällt die Erörterung "multilateraler" Diskurse erstaunlich knapp aus (133-142); besonders die wichtigen Konsultationen von Faith and Order auf Schloß Klingenthal (1978/79), an denen (ohne daß dies aus G.s Darlegungen hervorginge) auch protestantische Theologen beteiligt waren, kommen zu kurz (134-137). Hingegen läßt G. auch für die Nachkriegsdiskussion orthodoxe Theologen ausführlich zu Wort kommen (143-182). G.s Sympathien gelten dabei eindeutig denjenigen Orthodoxen, die bereit sind, das Filioque als nicht-dogmatisiertes Theologumenon einer Partikulartradition zu tolerieren und dergestalt auf den Häresievorwurf zu verzichten. Erst jetzt geht G. auf "Theologische Standpunkte aus der römisch-katholischen Kirche" ein (183-200). Deutlich wird, wie sehr sich G.s eigene Position den Ausführungen von Y. Congar verdankt, dessen "sehr hoch gestecktes Ziel" sie teilt: "eine gemeinsame Formel bei Anerkennung verschiedener Denkweisen" (190).
Dieses Programm wird in den beiden systematischen Schlußkapiteln (201-220) konkretisiert und vertieft. G. äußert sich angesichts des östlichen Traditionalismus skeptisch über neue Konsensformeln; sie plädiert stattdessen für eine mit wechselseitiger "erkenntnistheoretischer Toleranz" (212, ein Begriff K. Rahners) verbundene Urteilsenthaltung, die es ermöglichen würde, daß neben dem (dann auch im Westen verbindlich filioque-freien) griechischen Text des Nicaeno-Constantinopolitanums das ",römische Glaubensbekenntnis" mit Filioque bestehen bleibt, das dann natürlich "nicht als Gegensatz" zu diesem angesehen werden darf (213).
Die Arbeit ist getragen von dem Motiv, die Filioque-Kontroverse "mit den Augen der um Einheit und gegenseitiges Verständnis Bemühten" (38) zu betrachten. G. bemüht sich deshalb, westliche und östliche Position aus einem exklusiven Konflikt in einen inklusiven Kontrast von wechselseitig bereichernder Wirkung überzuführen. Das wichtigste Mittel ist dabei die Unterscheidung der differierenden Glaubensformen, Bekenntnisformeln und theologischen Methodentypen von dem einen, unergründlichen, für alle gleichen Glaubensgrund; unbegründet unterstellt ist dabei jedoch, daß beide Traditionen diese Unterscheidung in derselben Weise handhaben (von den etwa durch E. Herms hervorgehobenen evangelisch-katholischen Differenzen in dieser Frage ganz zu schweigen). Die Unterscheidung setzt die Aufgabe frei, die verschiedenen sprachlichen Explikationen so auf das zu explizierende eine Geheimnis hin zu relativieren, daß sie als je perspektivischer Verweis auf dieses auch miteinander vereinbar erscheinen.
Historisch sucht G. dies durch die Behauptung zu leisten, das Filioque habe sich "schon zur Zeit der ungeteilten Kirche durchgesetzt" (11) und könne deshalb nicht als solches kirchentrennend sein; sie übersieht dabei völlig, daß die Formel schon von den karolingischen Theologen polemisch verwendet und, sobald sie im Osten überhaupt wahrgenommen war, dort bekämpft wurde (Photios!). G.s Versuch, die photianische Filioque-Kritik als nur eine unter mehreren orthodoxen Positionen in ihrer Bedeutung zu mindern, scheitert an deren breiter Rezeption und normativer Durchsetzung in der byzantinischen Theologie. Um so größeres Gewicht muß dann auf G.s systematischen Argumenten liegen, die im Wesentlichen auf zwei Ebenen angesiedelt sind:
Im Blick auf die trinitätstheologischen Formeln soll die These, gegen die kontroverstheologische Tradition schlössen sich Filioque und "aus dem Vater allein" keineswegs gegenseitig aus, durch die Versicherung belegt sein, der Westen habe die Monoprinzipialität des Vaters nie angezweifelt, vielmehr in Lyon 1274 ausdrücklich dogmatisiert; die (plausible) orthodoxe Gegenfrage, wie damit die ,Mitursächlichkeit des Sohnes in Einklang zu bringen sei und ob eine solche nicht die hypostatischen Eigentümlichkeiten von Vater und Sohn unzulässig vermische, soll damit bereits beantwortet sein, da sie sich einem Mißverständnis verdanke. Im Blick auf den Verbindlichkeitsgrad dieser Formeln greift G. den Vorschlag des russisch-orthodoxen Theologen Bolotov auf, zwischen Dogma, relativ verbindlichem (auf einzelne Kirchenväter gestütztem) Theologumenon und bloß privater theologischer Meinung zu unterscheiden, und mutet der Orthodoxie und Rom selbst an, das Filioque als Theologumenon zu behandeln. Sie räumt allerdings selbst ein, daß die Mehrzahl der orthodoxen Theologen derzeit nicht dazu bereit ist, in diesem Modus das Filioque jedenfalls zu tolerieren; ob Rom das Filioque zu einer Partikulartradition zu depotenzieren vermag, ist ebenfalls fraglich.
Es ist zu würdigen, daß G. in ihren umfangreichen Darstellungen der Diskussionen und Positionen der neueren Zeit einen Ansatz sucht, der beiden theologischen Traditionen gerecht wird. Allerdings ist dem Versöhnungsinteresse die dogmatische und historische Präzision in problematischer Weise nachgeordnet. Auch bevorzugt G. Äußerungen und Positionen, die eine Konvergenz der Konfessionen anzielen bzw. auf diese hin interpretiert werden können. Sie muß dann alle Positionen, die sich gegen eine solche Konvergenz sperren, als einseitig, ja falsch auffassen. Ausgeschlossen ist damit ebenso diejenige westliche Tradition, die das Filioque als notwendig erachtet (und das betrifft immerhin mindestens Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin), wie die östliche, die das Filioque als häretisch verwirft (und das tut, unerachtet aller irenischen Einschränkungen, auch in der Gegenwart die Mehrzahl der Orthodoxen). Ob dies einer realistischen Wahrnehmung der ökumenischen Situation dient, darf bezweifelt werden.
Es dürfte weiterführen anzuerkennen, a) daß die für die Orthodoxie normativen griechischen Kirchenväter in der Sache (unabhängig von manchen Formulierungen) tatsächlich keine kausative Beteiligung des Sohnes am hypostatischen Sein des Geistes kannten, b) daß die Orthodoxie auch in der Gegenwart an der Unterschiedenheit der ökonomischen und der immanenten Relationen der Hypostasen festhält, c) daß das Filioque für eine Trinitätslehre augustinischen Typs konstitutiv ist, d) daß aber in der Neuzeit, besonders im 20. Jh., die Trinitätslehre im Westen anders begründet und funktional verortet wird als in der Tradition, indem namentlich die Entsprechung zwischen ökonomischer und immanenter Trinität tragende Bedeutung gewinnt und die innere Struktur der Trinität an der Entschlüsselung des Heilsgeschehens ihre Bewährung findet. Diese Einsichten verschärfen auf der einen Seite den ökumenischen Dissens (der sich dann eben nicht durch den Rekurs auf einen vermeintlichen Konsens der Kirchenväter lösen läßt). Auf der anderen Seite relativiert sich im Westen die Verbindlichkeit der klassischen trinitarischen Formen und Formeln, so daß etwa die Kategorie der Ursprungsrelation bzw. deren trinitätstheologische Monopolstellung problematisch wird.
Der Eindruck herrscht vor, daß die Trinitätstheologie sich ihrer Grundlagen neu vergewissern muß. Dies könnte die (westliche, freilich unter römisch-katholischen und protestantischen Bedingungen je anders zu begründende) Bereitschaft verstärken, den Formel- bzw. Bekenntnisdiskurs vom trinitätstheologischen Diskurs abzukoppeln und die Filioque-Formel aus bekenntnishermeneutischen und ökumenischen Gründen aus dem Nicaeno-Constantinopolitanum zu entfernen, ohne damit eine Anerkennung der orthodoxen Trinitätstheologie zu verbinden, von der man kaum behaupten kann, sie habe die trinitätstheologischen Probleme (sowohl der Erkenntnis wie der ontologischen Konstitution der Trinität) besser gelöst. Allerdings können die orthodoxen Versuche, eine nicht-kausative Beteiligung des Sohnes am Hervorgang des Geistes zu denken bzw. auszudrücken, Anregungen geben für eine Neuinterpretation des Trinitätsdogmas. Sie müssen dazu freilich in einen anderen, den westlich-neuzeitlichen Kontext transponiert werden. Die auch ökumenisch relevante Frage ist dann jedoch, inwieweit dabei die Monoprinzipialität des Vaters mitübernommen werden kann.
Über diese Probleme liest man bei G. nichts. Hier rächt sich die fehlende historische und systematische Tiefenschärfe. G.s Arbeit reproduziert faktisch die alten Probleme. Der Anspruch, zu deren Überwindung beizutragen, bleibt uneingelöst. Verdienstvoll ist dennoch die Erschließung der diversen Dialoge zum Thema und der verschiedenen, im Westen z.T. unbekannten orthodoxen Theologen der letzten 130 Jahre.