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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1215 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Mittelbach, Matthias

Titel/Untertitel:

Religion verstehen. Der theologische und religionspädagogische Weg von Hubertus Halbfas.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2002. 244 S. 8. Kart. sFr 65,00. ISBN 3-290-17237-6.

Rezensent:

Peter Biehl

Es handelt sich um eine Baseler Dissertation. Es geschieht nicht häufig, dass das Gesamtwerk eines Wissenschaftlers zu seinen Lebzeiten differenziert gedeutet wird. Das beabsichtigt der Vf., der die bisherige Diskussion auf ein "neues Niveau" stellt. Seine Arbeit soll sich von den polemischen Debatten unterscheiden, sie will Halbfas beim Wort nehmen, um die Anschlussfähigkeit des religionsdidaktischen Entwurfs für bildungstheoretisch orientierte Ansätze zu prüfen. Ausgangs- und Zielpunkt ist das umfassende Unterrichtswerk für die Schuljahre 1-10. Die bisher vorliegenden Dissertationen und Beiträge betrachten die Entwicklung dieses namhaften Religionspädagogen vom Ende, also von der Symboldidaktik her; sie stellen Brüche in der Entwicklung fest, insbesondere im Blick auf die problemorientierte Phase, obwohl Halbfas selbst von einer Kontinuität ausgeht. Der Vf. teilt diese Einschätzung und fasst das Prinzip der Kontinuität als Erweiterung der impliziten Möglichkeiten einer Entwicklung; sie zeitigt Neues.

Der Vf. geht den umgekehrten Weg: Er interpretiert die Entwicklung zur Symboldidaktik vom Frühwerk her. Daher wird das bisher vernachlässigte anfängliche Denken von Halbfas, das sich im "Handbuch der Jugendseelsorge und Jugendführung" (1960) und in der "Fundamentalkatechetik" (1968) entdecken lässt, Schwerpunkt der Interpretation.

Diese ist methodisch reflektiert angelegt: In diachroner Interpretation werden anhand werkimmanenter Kriterien die tragenden Elemente der Unterrichtstheorie erschlossen, in synchroner Interpretation geht es um die Vermittlung von Erfahrung und Offenbarung sowie von Theologie und Bildung. Der Vf. stellt eine kontinuierlich sich entfaltende Grundmotivation fest; eine "Schlüsselstellung" in der Entwicklung kommt der "Fundamentalkatechetik" zu. Mit ihr wird eine systematisch-theologische Entwicklung abgeschlossen. Sie ist gekennzeichnet durch die Ablösung scholastischen Systemdenkens durch existentiale Realisation, durch eine Neubestimmung des Verhältnisses von Natur und Gnade und durch ein Verständnis des Wortes Gottes als Anrede (172). Den Kern der Konzeption bilde die Verbindung der universalen Hermeneutik des Verstehens (Gadamer) mit einem weiten Religionsbegriff. Der Ansatz der "Fundamentalkatechetik" wird - so die These des Vf.s - konsequent erweitert und modifiziert: Didaktik als Weg nach innen, zur Mitte begriffen. Die Einheit der Wirklichkeit - ordnend zusammengehalten von einer geheimnisvollen Mitte oder Tiefe - stellt sich als Sprachproblem dar.

Durch Einbezug der Religionen und der Dichtung wird der biblisch-hermeneutische Rahmen erweitert. Das Symbol als Sprache der Religion, Dichtung, Psyche und des Kosmos entspricht diesem universalen Horizont. Dem idealistisch geprägten monistischen Erkenntnismodell entspricht das Verständnis der Bildung als Einordnung in die Einheit der Wirklichkeit und eine Didaktik, die nicht am Konflikt, sondern an Spiritualität orientiert ist. Im "dritten Auge" wird mit der Symboldidaktik die "Fundamentalkatechetik" fortgeschrieben. Die Kontinuität des Weges erweist sich vor allem darin, dass die Symboldidaktik als konsequente Fortsetzung der existentialen Hermeneutik und Didaktik begriffen wird.

Kontinuität gilt aber nicht nur für diese vom Vf. positiv bewertete Entwicklung, sondern auch im Blick auf seine Differenzen zu Halbfas. Das Hauptbedenken richtet sich auf das Bildungsverständnis, das einen Mangel an Dialektik und kritischer Subjektivität zeigt (224). Das Verstehen bleibt letztlich ein Selbstverstehen und meint nicht die Vermittlung von Selbst- und Welterfahrung.

Der Vf. übernimmt die Verschränkungstheorie des Rez. Ist das Unterrichtswerk von Halbfas durch eine symboldidaktische und traditionserschließende didaktische Teilstruktur gekennzeichnet, so kommt nach Meinung des Vf.s die Religionsdidaktik nicht ohne Problemorientierung aus (227); diese These ist überraschend, nachdem der Vf. zuvor der Kritik von Halbfas am problemorientierten Unterricht voll zugestimmt hat (196).

Es ist darüber hinaus auch zu bezweifeln, dass die Symboldidaktik im Sinne von Halbfas voll der existentialen Hermeneutik und Didaktik entspricht. Es erweist sich als Nachteil, dass der Vf. das "Wurzelwerk" und die Auseinandersetzung mit Eliade und Drewermann nicht berücksichtigt. Es bestehen Differenzen zwischen den Ansätzen von Bultmann und Halbfas. Alle Spielarten existentialer Hermeneutik (Heidegger, Gadamer, Bultmann, Ebeling) sind aber der Geschichte zuzuordnen. Halbfas hält trotz seiner Kritik an Drewermann an dem Vorrang der archetypischen vor der geschichtlichen Hermeneutik fest. Für die existentiale Hermeneutik gilt umgekehrt: Archetypische mythische Bilder explizieren gehaltvoll die Bedeutsamkeit der Geschichte.

Das Buch zeichnet sich durch eine sorgfältige Interpretation der Werke von 1960 und 1968 aus. Die Frage nach der Kontinuität und der Gesamtdeutung des Werks ist auch auf neuem Niveau weiterhin zu stellen.