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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1212–1215

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Lipski-Melchior, Heike

Titel/Untertitel:

Christine Bourbeck - ein Porträt. Leben, Wirken und Denken einer Lehrerin und Theologin.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2002. 288 S. 8. m. zahlr. Abb. Kart. Euro 34,00. ISBN 3-374-01989-7.

Rezensent:

Antje Roggenkamp-Kaufmann

Christine Bourbeck zählt zu den "vergessenen Theologinnen" des vergangenen Jahrhunderts. 1894 geboren, gehört sie zu einer größeren Gruppe von theologisch gebildeten Frauen, deren Leben und Wirken erst im letzten Jahrzehnt der Öffentlichkeit neu bzw. erstmals zugänglich gemacht wurde. Verschiedene in Göttingen, Wuppertal, Münster und Marburg beheimatete Forschungsprojekte haben sich um die "Sichtbarwerdung" dieses Personenkreises bemüht.

Die Wuppertaler Dissertation von Heike Lipski-Melchior wählt im Unterschied zu den genannten Projekten einen anderen Ansatz: Ihr geht es nicht um typische Lebensweisen, Strukturen oder Denkformen ganzer Frauengenerationen, sondern darum "Christine Bourbeck als Einzelperson zu würdigen" (15). Damit trägt sie aber bisherigen Forschungsergebnissen Rechnung: eine "theologische Normalbiographie der Frau" (ebd.) gab es nicht (Kap. I).

Aus den einzelnen Spuren, die Christine Bourbeck an den verschiedenen Stationen ihres Lebens hinterlassen hat (Briefe, Fotos, Zeitungsartikel, Archivmaterial), lässt L.-M. ein lebendiges Porträt entstehen: Verbrachte Bourbeck ihre Kindheit und Jugend in Ostfriesland (1894-1914), so war sie später als Lehrerin in Westrhauderfehn und Dornum (1914-1927) tätig (Kap. II-III). Dabei legte sie berufsbegleitend die für ein Theologiestudium notwendigen Sprachprüfungen ab, um anschließend in Münster und Jena (1927-1930) evangelische Theologie zu studieren. Sie absolvierte allerdings das erste theologische Examen nicht, sondern legte zunächst ihr Staatsexamen (in Religion, Deutsch und Philosophie) ab. Hintergrund dieser Entscheidung war ihre Wahl zur Direktorin der Dumasschen Schule in Leipzig (1930-1938), einer ehemaligen Privatschule, die seit 1930 von der Inneren Mission getragen wurde (Kap. IV-V). Bourbeck, die als Schulleiterin zugleich im Vorstand der Inneren Mission saß, holte die Zusatzprüfung für Studienassessoren ("zweites Staatsexamen") nach und wurde allmählich für eine Problematik sensibel, die man seit den frühen 1980er Jahren - wenn freilich auch unter vollkommen gewandelten gesellschaftspolitischen Vorzeichen - mit dem religionspädagogischen Fachausdruck "Traditionsabbruch" bezeichnet: Bour- becks Antwort auf jene politisch gewollte "Entchristlichung" (46), die mit einer "Verwüstung des Religionsunterrichtes" (49) in den Schulen einherging, bestand zunächst offensichtlich darin, dass sie die neue Aufgabe der Leiterin einer Bibelschule in Bielefeld-Sieker übernahm (1938-1939) und damit an einem Modell mitarbeitete, dessen Aufgabe der Vorsteher der Betheler Diakonenanstalt Paul Tegtmeyer folgendermaßen umriss: "Für den kommenden Religionsunterricht der Kirche außerhalb der Staatsschule brauche man allerdings einen gründlich geschulten kirchlichen Lehrkörper." (ebd.)

Zwar währte ihre Tätigkeit in Sieker nur kurz (Kap. VI-VII). Bourbecks Engagement als "Katechetenbildnerin" scheint aber gleichwohl katalytische Funktionen in Bezug auf ihr religionspädagogisches "Konzept" entfaltet zu haben: Ziel des Religionsunterrichtes - Bourbeck konnte den Begriff der "kirchlichen Unterweisung" offensichtlich synonym verwenden - ist die Förderung der Erkenntnisfähigkeit getaufter Kinder. Stellt sie den Religionsunterricht dabei inhaltlich auf die "reformatorische" Grundlage von Bibel, Katechismus und Gesangbuch, so bestimmt sie seine theologische Ausrichtung durch die Kategorien "Evangelium" und "Gesetz" (62). Gleichwohl übernahm sie damit nicht einfach entsprechende Positionen ihres Münsteraner Lehrers Karl Barth. Sie suchte vielmehr den Anschluss an das, was Martin Rang als "indirekte Verkündigung" bezeichnet hatte (63): Der Unterricht bereite auf die Predigt vor, er diene der Eingliederung der Kinder in das "Gesamtleben der christlichen Gemeinde". Bourbeck beschreibt dies Verfahren - in Abwandlung eines Ausdrucks des nationalsozialistischen Pädagogen Ernst Krieck - auch als "funktionale" kirchliche Erziehung und reflektiert zugleich auf deren Auswirkungen für die "Rolle des Unterrichtenden und der Schüler" (63).

Das Konzept, das sie 1937 in Leipzig und 1938 in Sieker anwendete, richtete sich ausschließlich an Personenkreise, die "aus der Mitte der Gemeinde" stammten: an freiwillige Helfer, an katechetisch geschulte Theologinnen und Theologen sowie an Personen, die bereits als Hauptamtliche im Dienst der Gemeinde standen, an die so genannten "mittleren Katecheten" (66). Die praktische Ausbildung in den zunächst drei-, später viermonatigen Kursen erfolgte als "Lernen in der Gemeinschaft", als Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Damit schaffte sie sich gewissermaßen die Voraussetzungen für ihr eigentliches religionspädagogisches Konzept. Dieses versteht sich als Absage an die Mittelpunktstellung des Menschen im Religionsunterricht, Bourbeck nennt hier Schleiermacher, Pestalozzi, Herbart, Ziller und Pfennigsdorf (68). Mit Hilfe des von Martin Rang entlehnten Begriffs der "Begegnung" versucht sie, die implizite Verkündigung des Wortes Gottes ins Zentrum der katechetischen Bemühungen zu stellen: "Hier haben wir endlich ein aus reformatorischer Theologie sich ergebendes Mittel, welches uns hilft, das Psychologisieren und Moralisieren der beiden Hauptrichtungen des 19. Jh. zu überwinden." (71) Behutsam arbeitet L.-M. heraus, dass sich Bourbecks Ansatz einer eindeutigen Zuordnung zu den Ende der 1930er Jahre diskutierten religionspädagogischen Konzepten entziehe. Verschiedene Schlüsselbegriffe - wie etwa Verkündigungskonzeption, reformatorisch, Funktion und Begegnung - hätten ihren Ansatz geprägt (79). Im Übrigen sei mit F. Rickers festzuhalten, dass Bourbeck, die der Bekennenden Kirche nahe stand, auch Autoren heranziehen konnte, die von der nationalsozialistischen Ideologie beeinflusst waren (82).

Zwischen 1939 und 1945 arbeitete Bourbeck im Evangelischen Diakonieverein Berlin-Zehlendorf (Kap. VIII-IX). Zwar gehörte zu ihrem Aufgabengebiet von Anfang an auch die Seelsorgetätigkeit, ihre Einsegnung als Vikarin erfolgte aber erst im Sommer 1940: Voraus ging das zweite theologische Examen ("Kolloquium") am 7.3.1940.

Neben ihren Reisetätigkeiten für den Diakonieverein sowie ihrer Unterrichtstätigkeit, der verschiedene Bibelbogen entsprangen, fand sie Zeit, sich mit dem Thema Literatur und Christentum zu beschäftigen. Eine bei Martin Doerne (Leipzig) angefertigte Dissertation legt Zeugnis von diesem Interesse ab. In ihrer Auseinandersetzung mit christlicher Literatur scheint sich dabei ein i. w. S. religionspädagogisches Interesse fortgesetzt zu haben: Sie näherte sich der Literatur nämlich "als Christin und Theologin, der daran liegt, die Botschaft des Evangeliums an Zeitgenossen weiterzugeben, die ihr distanziert gegenüberstehen." (101) Legte sie in ihrer Dissertation den Akzent auf "Schöpfung und Menschenbild", so ging es ihr in zwei weiteren selbstständigen Veröffentlichungen "um den Trost durch die Christusbotschaft" sowie "um die Struktur der Zeit" (103).

Die längste Phase ihres beruflichen Lebens verbrachte Bourbeck im Johannesstift in Berlin-Spandau (Kap. X-XI), zunächst als Leiterin verschiedener schulischer Einrichtungen der Inneren Mission, dann als Studiendirektorin des Vikarinnenseminars der Evangelischen Kirche der Union. Hier setzte sie nicht nur ihre bisher gewonnenen Einsichten und praktischen Konzepte um, sondern widmete sich u. a. der im Zuge der ökumenischen Bewegung neu aufkommenden evangelischen Sozialethik. Auch nahm sie die Spannungen zwischen den Ost- und Westvikarinnen sensibel wahr. Dabei wandelte sich nun ihr ursprünglicher Ansatz, das "Lernen als Gemeinschaft", zu einer Dietrich Bonhoeffers ekklesiologischem Ansatz nachempfundenen "vita communis". Den späteren Einsatz der Vikarinnen sah sie allerdings "weniger im Gemeindepfarramt als vielmehr in zwischen- und überparochialen Arbeitsgebieten, z. B. in Berufsschulen" (161). Dabei ist festzuhalten, dass Bourbecks die Offenheit des seelsorgerlichen Gesprächs betonendes poimenisches Konzept im Wesentlichen durch die Ich-Du-Philosophie von Martin Buber beeinflusst war (188). Auch ließ sie sich in Grenzen auf psychotherapeutische Methoden ein (194). Insgesamt arbeitet L.-M. auch hier deutlich heraus, dass Bourbecks Konzept sich dem Versuch einer Einordnung in gängige zeitgenössische Konzepte entziehe.

Den Ruhestand verbrachte Bourbeck gemeinsam mit ihrer langjährigen Freundin Hildegard Ellenbeck in Bad Pyrmont (1961-1974/Kap. XII). Sie setzte ihr 1951 als Vorsitzende des Konvents Evangelischer Theologinnen Deutschlands begonnenes Engagement für die berufliche Perspektive der Theologinnen fort und bereitete verschiedene diesbezügliche Gesetze mit vor (202 ff.). Darüber hinaus blieb sie literarisch tätig.

Ein abschließendes XIII. Kapitel befasst sich mit der Lehrerin und Theologin Christine Bourbeck. Dabei stellt L.-M. heraus, dass über Bourbecks berufliches Leben weit mehr in Erfahrung zu bringen sei als über die Privatperson. Für ihre verschiedenen beruflichen Aufgaben habe sie sich in aller Regel erst nachträglich qualifiziert. Darüber hinaus ermutige der Lebenslauf der (praktischen) Theologin Bourbeck dazu, eigene Berufswege auch innerhalb der Kirche zu finden. Ein ausführlicher Quellenanhang, biographische Anhänge, ein Kurzlebenslauf von Christine Bourbeck sowie verschiedene Literatur- und Quellenverzeichnisse schließen sich an (225-288).

Insgesamt ist es L.-M. gelungen, ein eindrückliches Porträt von Christine Bourbeck zu zeichnen. Dazu trägt nicht allein die klug durchdachte Anlage der Arbeit bei - biographische (II-VI, VIII, X, XII) und thematische (VII, IX, XI) Kapitel alternieren. Auch die Recherchen sind im Einzelnen überaus sorgfältig und kenntnisreich durchgeführt: Besonders bestechen ihre Ausführungen zum Religionsunterricht im Dritten Reich (Kap. VII). Lediglich im XIII. (Ertrags-)Kapitel hätte man sich ein Verfahren gewünscht, das Bourbeck deutlicher in den Gesamtkontext der ersten Theologinnengenerationen - so etwa M. v. Tiling, C. Barth, E. Neuse, M. Weigle, L. Nold, A. Nopitsch - hineingestellt hätte. Es steht nämlich begründet zu vermuten, dass sich Bourbecks "Biographie" vor diesem Hintergrund als eine durchaus "normale" Theologinnenbiographie erwiesen hätte.