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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1198–1201

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Pratt, Douglas

Titel/Untertitel:

Relational Deity. Hartshorne and Macquarrie on God.

Verlag:

Lanham: University Press of America 2002. 234 S. gr.8. Geb. US$ 56,00. ISBN 0-7618-2209-7.

Rezensent:

Norman P. Franke

Wenn Gott Gott für den Menschen und die Welt ist, in welcher Weise stellt sich dann Gottheit dar, wenn sie auf die wichtigen Attribute Freiheit, Gerechtigkeit, Zuwendung, erfülltes Leben befragt wird? Wie ist in einer Zeit angemessen theologisch von ihr zu sprechen, in der die geschichtliche und wissenschaftliche Entwicklung die monolithische Jenseitsmetaphysik der traditionellen westlichen Theologien in Frage stellt, wie ist sie mitteilbar?

In seinem Buch "Relational Deity - Hartshorne and Macquarrie on God" stellt der neuseeländische Pastor und Theologe Douglas Pratt sich den großen Fragen der westlichen Systematischen Theologie. Durch seine luzide Darstellungsweise in bester angelsächsischer Tradition und durch seine stupende Sachkenntnis ist P.s Buch hervorragend geeignet, wichtige Diskussionen der hierzulande immer noch relativ wenig rezipierten Systematischen Theologie Nordamerikas und des pazifischen Raumes bekannt zu machen. Bei aller Klarheit des Ausdrucks erfordert das Werk allerdings - dem hohen Niveau seiner Gedankenführung entsprechend - sehr gute englische Sprachkenntnisse, insbesondere fachsprachliche Kenntnisse aus dem Bereich der Religionsphilosophie.

In den beiden ersten Kapiteln entwickelt P. eine kritische Würdigung der neoklassischen Theologie von Charles Hartshorne und der existential-ontologischen von John Macquarrie, die beide in dem Versuch übereinkommen, gegenüber den traditionellen grandiosen Gottesbildern der platonisch-westlichen Tradition und ihrer Betonung von Gottes Absolutheit, Abstraktheit, Ewigkeit, Unwandelbarkeit, etc. ein Gottesverständnis zu entwickeln, das die Konkretheit, Aktualität, Kreativität, vor allem aber die Relationalität Gottes betont. Im dritten Kapitel seines Buches nimmt P. die von Hartshorne und Macquarrie übernommenen Positionen und Fragen auf, führt diese zusammen und stellt Ergänzungen und eigene Perspektiven zur Diskussion.

Dem theologischen "Götzendienst", welcher der reinen Absolutheit Gottes huldigt und der sich traditionell in Jenseitsmetaphysiken, Enthistorisierung des Göttlichen und hermeneutischem Idealismus ausdrückt, begegnet Hartshorne mit zwei grundlegenden Überlegungen, die er unter den Bezeichnungen Dipolarität (dipolarity) und Surrelativität (surrevalitivism) zusammenfasst. Hartshorne geht grundsätzlich davon aus, dass Gott nicht abseits der geschaffenen Welt existiert und dass Gottes Vollkommenheit nicht mit begrifflicher Perfektion zu verwechseln ist. Ein absolutes Sein "neben" oder "über" der Welt wäre ontologisch ebenso defizitär wie eine begriffliche Absolutheit leb- und das heißt beziehungslos wäre. Als Dipolarität Gottes versteht Hartshorne das gleichermaßen absolute und relative, das gleichermaßen abstrakte und konkrete Sein Gottes. Zwischen Absolutheit und Relativität, Abstraktheit und konkreter Aktualität besteht ein gleichsam innergöttlicher Zusammenhang, wobei Hartshorne - im Unterschied zur traditionellen christlichen Dogmatik - der Relativität und Konkretheit Gottes den Vorrang einräumt. Das relative und relationale Sein der Schöpfung als ein konkretes und als wichtigstes Sich-Einlassen Gottes auf und in die Welt, das mit historischem Materialismus oder Pantheismus nicht verwechselt werden darf, schließt das Werden der Welt in seiner existentiellen Notwendigkeit und seiner kontingenten Freiheit sowie seiner prospektiven Vollendung ein. Hartshorne charakterisiert die sich auf alles Seiende beziehende empathetische Anteilnahme Gottes als panentheistisch. Sie ist mehr als die Herablassung eines metaphyischen Gottes. In seiner vielfältigen und umfassenden Beziehung zur Welt und zum Menschen ist Gott personhaft, denn Personalität entsteht in Beziehungen, und als höchster, dem sozialen Leben zugewandten Personalität sind die Menschen auf Gott bezogen. Gottes Sein ist ein fortgesetztes In-Beziehung-Sein und die soziale Welt der Beziehungen gleichsam ein "Leib Gottes", in welchem Gott zu sich kommen will. Gottes Bezüglichkeit auf die menschliche Welt und ihr interaktives, schöpferisches Werden sind dabei nicht etwas, das Gott tut, sondern vielmehr etwas, das Gott ist.

P. weist R. C. Nevilles Kritik an Hartshornes theologischem Prozessdenken zurück, die Gottes rückhaltloses Eintreten in die creatio continua der Welt, als einen orientierungslosen Ablauf missversteht. Für P. wird dieses Prozessdenken nicht vom Standpunkt des platonischem Idealismus oder eines prä-deterministischen Kreativismus, sondern von der Einsicht der engagierten göttlichen Dipolarität in der Welt richtig bestimmbar. Gottes Hoheit und Güte ist in der Welt und muss nicht aus ihr herausprozessiert werden. Auch Colin Guntons rechtfertigungstheologischer Einwand, dass von einem relationalen werdenden Gott keine freie Gnade zu erwarten sei, will P. nicht gelten lassen; vielmehr aktualisiere Hartshornes Theologie gerade das Gnadengeschenk, das sich in der anregenden und antwortenden Bezüglichkeit des höchsten Wesens ausdrückt, welches sich in die Relativität und Relationalität des tatsächlichen menschlichen Lebens einlässt.

Das hohe Abstraktionsniveau Hartshornes und Macquarries und die gleichfalls nur selten mit Beispielen aus der theologischen Praxis illustrierte kritische Paraphrase ihrer Theologeme durch P. sind gleichermaßen Stärke und Grenze des Buches. An Hartshornes Theologie wird dies besonders deutlich, neigt seine philosophische Argumentationsweise doch gelegentlich den von ihm zu Recht kritisierten Positionen theologischer Absolutheit und kognitiver Abgezogenheit zu. Daraus ergibt sich ein Form- Inhalt-Problem, welches darin besteht, dass trotz aller Einprägsamkeit seiner theologischen Neubewertung der Relationalität Gottes in der Welt seine theologische Sprache, die stark von formal- und prädikatenlogischen Operationen geprägt ist, mitunter hinter eben dieser neu gewürdigten Relationalität zurückbleibt. Denn ist nicht eine der wichtigsten Äußerungen der Relationalität der Dialog? Und kommt die kreative Dialogizität, der Hartshorne das Wort redet, nicht in der personhaften, oft gerade auch poetischen Sprachbegegnung zustande? In diesem Sinne möchte man wünschen, dass die neoklassische Theologie Hartshorne sich auch stilistisch an der Ich-Du-Dialogizität Martin Bubers, die Hartshorne bewundert, noch stärker orientiert.

Überzeugend kritisiert P. mit Hartshorne den Missbrauch der hybriden absolutistischen Würdeformeln statischer und weltentrückter metaphysischer Gottesdoktrinen, von denen weltlicher Herrscherabsolutismus traditionell seine Machtansprüche ableiten will. In diesem Zusammenhang wäre freilich ein verstärktes Eingehen auch auf die feministische Kritik männlicher Gottes- und Herrschaftskonstruktionen angebracht. Wie sich überhaupt die Frage stellt, ob die Geschichte und Struktur relationaler Gottesbilder nicht gerade durch gender-theoretische und kulturwissenschaftliche Arbeiten weitere Impulse erhalten kann.

Auch die Stellung der Dialektischen Theologie zur relationalen Theologie könnte noch ausführlicher und differenzierter dargestellt werden. Hartshorne hat sich an ihr ein gutes Stück abgearbeitet; Macquarrie hat sich in einem seiner Werke eigens mit der Dialektischen Theologie auseinander gesetzt. Gerade mit Karl Barth, dessen Gottesbegriff P. im Vorwort gewissermaßen als Kontrast zu Hartshornes involviertem und relationalem Gottesverständnis erwähnt, lassen sich m. E. jedoch wichtige und berechtigte Einwände gegen eine völlige Verweltlichung Gottes, vor allem die theopolitische Inanspruchnahme Gottes auch in christlicher Tradition formulieren. Denn Karl Barths bewusst nicht in der Geschichte aufgehender und prinzipiell "anderer", das heißt menschlichem - auch theopolitischem - Kalkül unverfügbarer Gott war ja nicht zuletzt eine Antwort auf Geschichtstheologien im deutschen Nationalsozialismus, die in der extremsten Form, in der Volks-Nomos-Lehre, eine Identifikation ihrer Gotteskonstruktion mit nationaler Geschichtsbildung meinten vornehmen zu können. Die Haltung der Dialektischen Theologie im Widerstand war die Umkehrung des "Gott mit uns" auf den Koppelschlössern - die Umkehrung der Aussage in die Frage nämlich, die lautete: Sind wir mit Gott? Vielleicht ist der Modus der Frage in jeglicher Systematischen Theologie zu stärken. Von ihr aus scheint dann leichter klärbar, wie die judeo-christlichen Überlieferungen des Exodus, der Propheten und der Imitatio Christi als wirksame Formen des göttlichen Engagements in der Geschichte aufzufassen und zu beerben sind. Geschichts-, sozial- und naturtheologische Ansätze sind wohl nur dann vor Missbrauch gefeit, wenn sie ihre eigenen Bedingungen und Grenzen mitreflektieren, sich nicht selbst mit Gott verwechseln und Menschen zu Gerechtigkeit und selbstloser Liebe befreien.

Macquarries Theologie des Seins und des Heiligen Wesens (Being, Holy Being) verdankt sich, wie P. zeigt, nicht unwesentlich seiner Heidegger-Rezeption. Das existentielle Verwundern über das Sein des Menschen und der Dinge in der Welt (existence of beings) wird zur Voraussetzung und zum Analogon des schlechthinnigen Seins (Being). Menschliche Existenz ist wesentlich ein "Herausstehen" aus der Nichtexistenz, dem Nichts. Theistischer Glaube ist daher zunächst ein Vertrauen in die Geschöpflichkeit des Seins, die stets eine relationale, mit anderen Geschöpfen verbundene Existenzform ist. Das Gewahrwerden, die Offenbarung, dass zu leben auf den gemeinsamen dynamischen Seinsgrund verweist, der nicht nur da ist, sondern pluriformes Sein und interaktives Einzelsein auch ermöglicht (let-be) und sich als Lebensenergie und Manifestation des Seins darstellt, führt Macquarrie zu einer sprachlichen Reflexion, die über eine existenzphilosophische Erfassung dieser Zusammenhänge in eine christlich-theologische übergeht. Dem lebensermöglichenden Sein werden die traditionellen Attribute der Trinität angetragen. Das Heilige Wesen (Holy Being) wird analog zu Gott dem Vater mit der Urschöpfung und der kontinuierlichen Schöpfung identifiziert (Primordial Being), in der Sohnschaft erweist sich die menschliche, auch sprachliche Expressivität Gottes in seiner höchsten realen Beziehungskraft (Expres- sive Being), der Geist wirkt in der verbindenden Relationalität des Seins, vor allem zwischen den Menschen und den Menschen und Gott (Unitive Being).

Für Macquarrie wird die menschliche Teilhabe am Heiligen Wesen mit Joh 10,10 zu einer Einladung zu einem Leben in Fülle, in welchem der Mensch am Mysterium der göttlichen Schöpfung mitwirkt. Seine höchste Ausprägung findet sie in der selbstlosen Lebensförderung der Mitmenschen, in der Agape. Dabei geht Macquarries Imago-Dei-Theologie nicht auf eine passive Abbild-Funktion, sondern auf aktive Partizipation am göttlichen Sein. Gott ist in seinem Sein auf die Mitproduktivität der Welt angewiesen.

Auch die hochgradig existential-philosophische Sprache Macquarries hat ihm manche kritische Fragen hinsichtlich der Konkretion, Stimmigkeit und theologischen Kompatibilität seiner Vorstellungen eingetragen, die P. einfühlsam referiert. Wenn Gott mehr ist als ein uranfänglicher Seinsgrund und eine Matrix aller Seinsbeziehungen in der Welt, jedoch nicht in der Substanz der Geschöpflichkeit aufgeht und auch keine bestimmbare Personalität entwickelt und dennoch wichtige Attribute der christlichen Tradition zulässt, was ist Gott dann, wie ist Gott zu denken? P. fragt mit Alistair Kee nach der möglichen "entative confusion", die nicht nur Auswirkungen auf die Kohärenz von Macquarries Gottesbegriff hat, sondern gerade auch aus der Perspektive geschichts- und sozialtheologischer Anfragen verstärkt wird. Denn die natur- und menschheitsgeschichtliche Bilanz des gelungenen Miteinanderlebens - und es reicht, hier nur die Moderne zu betrachten - ist keine gute. Umsomehr ergibt sich die Frage, welche Stellung Gott in diesem Szenario hat: Ist Gott evolutionärer und gesellschaftlicher Entwicklung ausgeliefert? Steht Gott ihr partiell gegenüber - wie P. meint, der von einer reziproken, aber nicht symmetrischen Beziehung ausgeht - und wenn ja, wie? Und vom Menschen aus gesehen: Welcher konkrete Umgang mit dem Sein, vor allem mit dem mitmenschlichen, welche kreativen Vorbilder und Vorstellungen, sind notwendig, damit aus reinem Da- und Sosein erfülltes Leben wird? Doch selbst die schöpferische Einbildungskraft und die hohen Formen menschlicher Sozialität können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass Sein nicht nur im Horizont des Lebens, sondern auch des Todes steht. Individuell und auch kollektiv: Im Horizont der verbrecherischen Geschichte unserer Zeiten und ihres Leids wird die Brisanz der Fragen nach dem Sein und der Macht Gottes auch über das Leben hinaus existentiell forciert.

In dem Abschlusskapitel "Relational Deity" führt P. das Denken Hartshornes und Macquarries zusammen: Hartshornes relationales Sich-Einlassen Gottes in das Werden der Welt und Macquarries Relationalität des göttlichen Seins erscheinen weithin als komplementär. In einigen weiteren theologischen Überlegungen entwickelt P. diese Komplementarität; er zeigt u. a., 1) dass die Identität Gottes aus der ontologischen und begrifflichen Beziehungsfähigkeit Gottes zu bestimmen sei, 2) dass das Sprechen über Gott die Beziehung der Sprechenden und die konkrete Teilnahme an einer Welt der Beziehungen einbegreifen muss, 3) dass ein Nachdenken über das Sein Gottes als lebensermöglichendes die konkreten Relationen alles Seienden im Verhältnis des Werdens integral erfordere, 4) dass die soziale und theologische Existenz des Menschen allgemein und dass das christliche Imago-Dei-Axiom insbesondere existentiell und symbolisch auf die Analogie göttlicher und menschlicher Kreativität und Relativität deuten und 5) dass die traditionellen theologischen Attribute Gottes mit mehr hermeneutischem und sozialem Gewinn und mehr praktischer Nachzollziehbarkeit auf Gottes Relationalität denn auf seine "Substanz" auszulegen sind. Die Lebenszugewandtheit Gottes, die P. mit Hartshorne und Macquarrie entwirft, und die sich wesentlich in der Welt der Beziehungen auswirkt, bedeutet "nicht ein raum-zeitliches Eingeschlossensein Gottes in der Welt, sondern eine Hoheit und eine ontologische Intimität des relationalen göttlichen Seins". Diese relationale Dimension Gottes in der medial aufgerüsteten, aber kommunikativ immer häufiger gestörten und existentiell gefährdeten Welt in mitteilsamer und anregender Weise zur theologischen Sprache gebracht zu haben, ist das Verdienst von P.s wichtiger Arbeit.