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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1187–1189

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Masser, Karin

Titel/Untertitel:

Christóbal de Gentil de Rojas y Spinola O. F. M. und der lutherische Abt Gerardus Wolterius Molanus. Ein Beitrag zur Geschichte der Unionsbestrebungen der katholischen und evangelischen Kirche im 17. Jahrhundert.

Verlag:

Münster: Aschendorff 2002. 525 S. gr.8 = Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 145. Kart. Euro 64,00. ISBN 3-402-03809-9.

Rezensent:

Wolf-Friedrich Schäufele

Unter den in der frühen Neuzeit unternommenen Bestrebungen, die katholische Kirche und die Kirchen der Reformation zu vereinigen, gilt den Verhandlungen zwischen dem Bischof von Tina (seit 1685 von Wiener Neustadt) Cristóbal (spanisch nur so!) de Rojas y Spinola und dem hannoverschen Kirchendirektor Gerard Wolter Molanus das besondere Interesse der Forschung. Mit der anzuzeigenden Innsbrucker theologischen Dissertation liegt nun erstmals eine umfangreiche monographische Darstellung dieses Unionsversuchs vor.

Die sachliche Mitte der Untersuchung bildet der so genannte Unionskonvent von Hannover, eine Reihe vertraulicher Verhandlungen zwischen Rojas (so die korrekte Kurzform; die Vfn. spricht mit der älteren Literatur von "Spinola", vgl. S. 40 Anm. 72), Molanus und mehreren anderen lutherischen Theologen, die 1683 auf Geheiß des braunschweigischen Herzogs Ernst August stattfanden. Konzentrierte sich die Forschung früher vor allem auf den (meist überschätzten) Anteil, den Leibniz an dem Vorhaben nahm, so wird neuerdings die Führungsrolle von Rojas und Molanus hervorgehoben. Dementsprechend wählt auch die Vfn. einen stark personalisierten Zugang zu ihrem Thema. Fast die ganze erste Hälfte der Untersuchung ist - in kritischem Anschluss an die Arbeiten von Weidemann und Miller/Spielman - der Darstellung der Biographien und des beruflichen und theologischen Werdegangs der beiden Hauptakteure bis 1683 gewidmet (Kap. 2: Rojas, Kap. 3: Molanus). Man könnte ein solches Verfahren für bedenklich halten, zumal die Unionsversuche in der zweiten Hälfte des 17. Jh.s vielleicht noch stärker als zuvor in den Kontext politischer Interessen eingebunden waren; die Frage der kirchlichen Einheit stellte sich nicht zuerst als eine theologisch, sondern "als eine politisch zu lösende Aufgabe" (65). Die Vfn. trägt dem jedoch Rechnung, indem sie im 1. Kapitel grob das politische und religiöse Selbstverständnis des Hauses Habsburg, den Gallikanismus und das neue französische Staatsdenken und die religionspolitischen Verhältnisse im Reich skizziert. Auch in den folgenden Kapiteln sind die politischen Hintergründe durchgängig berücksichtigt.

Letztlich gibt es zu dem biographischen Ansatz der Vfn. wenigstens im Falle von Rojas keine Alternative. Der spanische Bischof sah in der Kirchenunion seine Lebensaufgabe, und es ist seiner Beharrlichkeit und seinem Einfallsreichtum zu verdanken, wenn er bei den vielfältigen diplomatischen Missionen, die ihn im Auftrag des Kaisers an die Höfe der Reichsfürsten, nach Spanien und Ungarn führten, immer wieder auch die Unionsfrage zur Sprache bringen konnte. Dabei stand er fest auf dem Boden des Tridentinums; sein Ziel konnte nur eine "Reunion" sein, die Rückführung der Protestanten in die römische Kirche (23.103.128 f.). Vom Kaiser meist nur indirekt zu Religionsverhandlungen bevollmächtigt, von der Kurie, der er sich durch geschönte Berichte zu empfehlen suchte, niemals förmlich legitimiert und von den Nuntien beargwöhnt, führte Rojas seine Unionsgespräche faktisch als Privatmann, was ihm seine protestantischen Gesprächspartner auch wiederholt vorhielten.

Anders Molanus: Als Schüler Calixts persönlich von der Möglichkeit eines konfessionellen Ausgleichs überzeugt, trat er gleichwohl erst auf Anordnung seines Landesherrn und in amtlicher Funktion als hannoverscher Kirchendirektor in die Unionsverhandlungen ein. Das Ideal eines evangelischen Mönchtums, das er als Abt des lutherischen Stifts Loccum verfolgte, ist für seinen theologischen Standpunkt aufschlussreich, aber kaum als "Brückenschlag zwischen den Konfessionen" (23) zu werten. Ebenso wenig wie Rojas kann Molanus als bedeutender theologischer Denker gelten. Die Einschätzung der Vfn., er habe "eine Vermittlung zwischen Calixtinischer und lutherisch-orthodoxer Systematik" (171) beabsichtigt, geht zu weit; die Darstellung seiner - gut Calixtischen - Schriftlehre ist fehlerhaft (172-174; die assistentia des Hl. Geistes verbürgt selbstverständlich die vollständige Irrtumsfreiheit der Bibel!).

Das 4. Kapitel ist der näheren Vorgeschichte des Hannoveraner Unionskonvents und der Analyse der beiden grundlegenden Unionsschriften gewidmet: der "Regulae" des Rojas und der von Molanus als Entgegnung verfassten "Methodus".

Beide stimmen darin überein, dass zunächst unter genau festgelegten Bedingungen eine Präliminarunion geschlossen werden soll; mit der autoritativen Entscheidung der Lehrkontroversen durch ein allgemeines Konzil kann dann die endgültige Union hergestellt werden. War die Präliminarunion bei Rojas letztlich als Eingliederung der Protestanten in die römische Kirche auf der Grundlage eines weitgehenden Lehrkonsenses konzipiert, so knüpfte Molanus ihre Möglichkeit stärker an bestimmte Zugeständnisse beider Seiten. Alle weiteren Verhandlungen, die die Vfn. im 5. und 6. Kapitel im Zusammenhang des weiteren Lebensganges der Hauptpersonen darstellt, knüpften in der einen oder anderen Weise an diese beiden Unionsvorschläge an. Dabei wurde bald deutlich, dass die Positionen von Anfang an unvereinbar gewesen waren. Als entscheidende Differenzpunkte erwiesen sich die Anerkennung des göttlichen Rechts des päpstlichen Primats und die Frage einer Suspendierung der Dekrete des Tridentinums. Überdies sahen sich sowohl Rojas als auch Molanus Anfeindungen aus dem eigenen Lager ausgesetzt.

Die These der Vfn., "die gravierende, alles entscheidende Schwäche des theologischen Fundaments der beiden Unionsvorschläge" habe im beiderseitigen formalen Bekenntnis zum Literalsinn der Hl. Schrift gelegen (431.435), ist für den Rez. nicht nachvollziehbar.

Ausgeblendet bleiben mögliche Verbindungen zu anderen Unionsversuchen der Zeit: Wie stand Molanus zu den Erklärungen seiner Rintelner Universitätskollegen auf dem Kasseler Religionsgespräch von 1661? Spielten bei Rojas' Mission am Mainzer Hof Johann Philipps von Schönborn (85-88) dessen Unionsbestrebungen eine Rolle? Was für Beziehungen bestanden zwischen Molanus und den Brüdern Walenburch? Welcher Art waren die Kontakte zwischen Rojas und Dionysius von Werl und anderen katholischen Missionaren (327 f.330 Anm. 103, 355)? War für die Verbindung von Rojas mit den Bartholomäern (324 f.) die Unionsfrage von Bedeutung?

Insgesamt bietet die vorliegende Arbeit einen nützlichen und materialreichen Überblick über diesen bedeutenden Unionsversuch. Sie führt jedoch nicht wesentlich über den bisherigen Forschungsstand hinaus und erschließt auch keine neuen Quellen. Die einschlägigen Aufsätze des Sammelbandes "Union - Konversion - Toleranz" (hg. von Heinz Duchhardt und Gerhard May, Mainz 2000) sind nicht mehr berücksichtigt. Hilfreich ist der Abdruck von 14 bislang nur schwer zugänglichen Quellentexten im Anhang der Arbeit, darunter die "Regulae" und der "Methodus"; die (unkommentierte) Wiedergabe folgt allerdings nicht der handschriftlichen Überlieferung, sondern späteren Drucken.

Das Fehlen von Registern ist angesichts des Detailreichtums des Buches zu bedauern. Eine größere Zahl von Druckfehlern, grammatischen Inkongruenzen und unklaren oder missverständlichen Formulierungen (z. B. Kapitelüberschrift S. 26: "Der Katholizismus als sinnfälliger Ausdruck des römischen Papsttums") erschwert die Lektüre; hinzu kommt eine Anzahl kleinerer sachlicher Fehler (z. B. 177.180: audientia - nicht: audentia! - episcopalis; 261.267: "Romanenses" sind die Katholiken, nicht "die romanischen Staaten"; 85: in Rojas' Schreiben vom 3.3.1663 ist "de Maguncia" Angabe des Abfassungsortes, nicht Namensbestandteil des Empfängers).