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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1181 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Bitskey, István

Titel/Untertitel:

Konfessionen und literarische Gattungen der frühen Neuzeit in Ungarn. Beiträge zur mitteleuropäischen vergleichenden Kulturgeschichte.

Verlag:

Frankfurt a. M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1999. 209 S. 8. m. 1 Kte. = Debrecener Studien zur Literatur, 4. Kart. Euro 33,20. ISBN 3-631-34543-7.

Rezensent:

Markus Hein

"Dieses Buch möchte keine Kirchengeschichte sein", so beginnt der Autor seine Abhandlung, um fortzufahren: "und auch keine Literaturgeschichte." (9). Damit hat B., Nestor der ungarischen Literaturgeschichtsforschung der frühen Neuzeit in Debrecen, die beiden Pole benannt, zwischen denen sich seine Forschungen bewegen und die auch den Rahmen für die vorliegende Untersuchung abgeben. Das Forschungsparadigma der "Konfessionalisierung" aufgreifend wird danach gefragt, "wie sich innerhalb der literarischen Gattungen das Ideengebäude der einzelnen Konfessionen ausprägte, die zur Reformationszeit entstanden", nach der "literarisch formbildenden Wirkung konfessionellen Denkens" (9). Im Mittelpunkt steht Ungarn - exemplarisch für die kulturelle Vielfalt des Karpatenbeckens. Die politischen Gegensätzlichkeiten innerhalb des in drei Machtsphären geteilten Ungarn im 16. Jh. waren dabei der "Aufnahme von unterschiedlichen geistigen Einflüssen ... höchst förderlich" (10) - ein Grund auch für die sich herausbildende konfessionelle Vielfalt. B. will die sowohl auf dem Gebiet der Kirchengeschichte wie auch auf dem Gebiet der Literaturgeschichte in den 90er Jahren entstandenen Forschungsergebnisse zur Verflechtung von Konfessionalität und Literatur in Ungarn in der frühen Neuzeit zusammenführen und so für das je andere Fach nutzbar machen, Literatur als die Äußerungsform, die die Wirkungen der reformatorischen Bewegungen am intensivsten begleitete und deren Ergebnisse heute noch am vollständigsten aus den Wirren der Geschichte überliefert sind.

Es wird in sechs Abschnitten chronologisch vorgegangen: I. Reformation und Konfessionsbildung im Karpatenraum; II. Konfessionalisierung als humanistisches Erbe; III. Die katholische Antwort und die Verbindungen mit Rom; IV. Späthumanistische und frühbarocke Ideen in literarischen Formen; V. Der Übergang vom Konfessionalismus zum nationalen Heldengedicht und VI. Konfessionelle Reform und literarische Erscheinungsweisen.

In dem für sein Vorhaben recht knappen Band beschäftigt sich B. zunächst mit der Ausbreitung der Reformation in Ungarn, die einherging mit der Herausbildung einer "neuen Gattung muttersprachlichen Dichtens", in sich die mittelalterliche Vaganten-Lyrik, die bilderreiche Sprache des Alten Testamentes und die "scharfe, manchmal ironische Gesellschaftskritik der deutschen Reformation" (20 f.) vereinend. Nicht nur der "ungarische Luther", Mathias Devai Biro, sondern auch der "praeceptor hungariae", Leonhard Stöckel, sind eng mit der Wittenberger Reformation verbunden. Als Beispiel wird János Sylvester angeführt, der in der Widmung zu seiner ungarischen Ausgabe des Neues Testamentes 1545 zum ersten Mal quantitierende Dichtung in ungarischer Sprache schuf und seine gute philologische Ausbildung in Wittenberg erhalten hatte. Die hohe Wirksamkeit des Lehrens Melanchthons und sein Einfluss in Ungarn sorgten für eine unwillkürliche Vermischung der beiden reformatorischen Richtungen in Ungarn (27).

B. geht der Frage nach, "was an der radikalen Strömung [des Antitrinitarismus. M. H.] förderte die Entwicklung des Literatur- und Buchwesens in Ungarn? Was brachte der theologische Radikalismus für das religiöse und kulturelle Leben des Landes mit sich? Welche literarischen Gattungen traten infolge dieser Bewegungen in Ungarn in Erscheinung?" (31) Am Beispiel Gáspár Heltais (42-47) - deutsch, altgläubig geboren (Siebenbürger Sachse), katholischer Priester, Schüler Luthers und Melanchthons, Wechsel zur helvetischen Richtung, Übertritt zu Antitrinitariern, Druckereibesitzer und Schriftsteller - kann B. u. a. zeigen, wie die Zugehörigkeit auch die Inanspruchnahme und den Charakter der verschiedenen Literaturgattungen prägte und formte.

Einen großen Schub erhielt die ungarische Sprache durch Péter Pázmány, den "ungarischen Cicero-Kardinal" (99). Er war nicht nur ein ausgezeichneter Prediger, sondern band durch seine Habsburgtreue Ungarn fest an den römischen Katholizismus. Für B. sind es nicht seine Streitschriften gegen die reformatorische Seite, sondern seine Predigten, die "die wichtigste Gattung innerhalb seines literarischen Schaffens" darstellen, weil ihre ethischen Themen "im Alltagsleben anwendbar" sind und "eine moralische Lehre, die Anspruch auf Vollständigkeit erhebt", enthalten.

In kurzen Abschnitten wird schließlich die Zeit bis zum Josephinismus skizziert und die Verbindungen zu den europäischen Bewegungen wie dem Pietismus, dem Puritanismus und Kansenismus werden deutlich, doch lässt die Kürze nicht noch einmal eine ausführlichere literarische Betrachtung zu wie in den beiden Kapiteln vorher.

Wenn B. zu Beginn seines Nachwortes schreibt, am Ende des "Überblicks über religiöse Ideen und literarische Erscheinungsformen im Ungarn der frühen Neuzeit" (165) angelangt zu sein, so entspricht dies dem Buch eher als der eigentliche Titel. Nur vereinzelt findet sich wirklich die enge auch inhaltliche Verknüpfung von Konfession und Literatur. Deutlich jedoch macht die Untersuchung, wie eng verknüpft Literatur und religiöse Entwicklungen sind. Dieses Forschungsfeld, das die Möglichkeit bietet, mit Hilfe der Untersuchung der je eigenen Sprache und Literatur auch die länderspezifischen Eigenheiten von religiösen und konfessionellen Prägungen besser verstehen zu können, bedarf weiterer intensiver Bearbeitung. Ein guter Einstieg dafür ist das hier vorgestellte Buch, das neben einer Zeittafel, einer Karte, einem Ortsnamenschlüssel und einem Register auch die originalsprachliche Fassung der im Buch in deutscher Übersetzung gebotenen Texte bringt.