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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1176–1179

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Wallraff, Martin

Titel/Untertitel:

Christus Verus Sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike.

Verlag:

Münster: Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung 2001. 248 S. 4. m. 19 Abb. im Anhang = Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 32. Geb. Euro 50,20. ISBN 3-402-08115-6.

Rezensent:

Michael Durst

Bei der hier zu besprechenden Arbeit Martin Wallraffs handelt es sich um eine Habilitationsschrift, die im Wintersemester 1999/2000 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Bonn angenommen wurde. Mit seiner Untersuchung knüpft W. vor allem an die religionsgeschichtlichen Forschungen des Bonner Altphilologen Hermann Usener über das Weihnachtsfest (1889) und diejenigen des katholischen Bonner Altkirchenhistorikers Franz Joseph Dölger (+ 1940) sowie seines Schülers Hugo Rahner an und führt diese fort. In bewusst religionsgeschichtlicher Perspektive untersucht er Einflüsse antiker Sonnenverehrung auf das Christentum und dessen Rückwirkung auf pagane Formen der Religiosität vom 3. bis zum 5. Jh.

Der kurze erste Teil der Arbeit (19-39) behandelt den "Hintergrund" bzw. die Vorgeschichte in zwei Kapiteln, "ohne einen eigenständigen Forschungsbeitrag zu leisten" (17). Die Durchsicht der biblischen (einschließlich der intertestamentarischen) Schriften und der ältesten christlichen Literatur (Kap. 1.1) ergibt, dass trotz gelegentlicher Verwendung von Sonnenmetaphorik die Sonne dort als religiöse Bezugsgröße nur eine marginale Rolle spielt. Sehr viel breiter gefächert sind dagegen die Anknüpfungspunkte für Sonnenkult und Sonnenverehrung in der paganen Kultur des Mittelmeerraumes (Kap. 2.2). W. nennt im Einzelnen die spätantike Astrologie, die Mysterienreligionen (vor allem den Mithraskult), die Politik (Kaiserideologie und Kaiser- bzw. Staatskult, Letzterer besonders unter den Kaisern Elagabal und Aurelian), den Neuplatonismus und die Magie.

Der umfangreiche zweite Teil (41-195) ist der "Auseinandersetzung" gewidmet, die mit den Apologeten im 2. Jh. einsetzt und die W. - thematisch geordnet - in sieben Kapiteln darstellt. Das erste behandelt "Die Sonne und die theologische Rede von Christus" (Kap. 2.1, 41-59). Obwohl die altchristlichen Autoren im Kontext der Schöpfungslehre die Sonne betont entdivinisieren und ihre Rolle als Geschöpf hervorheben, konnte die Sonne gleichwohl als Metapher für Gott herangezogen werden, der ja nach 1Joh 1,5 Licht ist. Etwas später wurden Sonnensymbolik und Sonnenmetaphorik - nicht zuletzt auf Grund von auf Christus gedeuteter alttestamentlicher Schriftstellen wie Sach 6,12 (LXX: ein Mann, dessen Name Aufgang ist) und besonders Mal 3,20 (= 4,2 LXX: die Sonne der Gerechtigkeit) - auf Christus übertragen, wodurch die im Johannesevangelium auf den Logos angewandte Lichtmetaphorik eine Ausweitung erfuhr. Die Sonnenmetaphorik diente in unterschiedlichen Schattierungen zur Verdeutlichung der überragenden Stellung sowie der Gottgleichheit Christi, aber auch als Analogie und Bild für die Auferstehung. Sie erlaubte es andererseits zugleich, scharf an der Differenz zwischen der realen geschöpflichen Sonne und der geistigen Sonne Jesus Christus festzuhalten. Mit Recht stellt W. mehrfach fest, dass die Grenze des Metaphorischen nie im Sinne einer "Ontologisierung" wie bei anderen christologischen Hoheitstiteln überschritten wurde (44 Anm. 48; 52; 59). Deshalb wird man den von W. verwendeten Begriffen "Sonnenstrahlchristologie" und "Sol-Christologie" eher mit einigem Vorbehalt begegnen.

Das folgende Kapitel (2.2, 60-88) behandelt die christliche Gebetsostung, deren Ursprünge im Dunkeln liegen, die aber möglicherweise aus dem Judentum übernommen wurde, für das neben der Gebetsausrichtung nach Jerusalem auch eine solche gen Osten bezeugt ist. W. zeigt die Gebetsostung für die Hauptbereiche Individualgebet, Taufe, Gemeindegebet, Kirchbau und Bestattung auf und bespricht die Motive ihrer theologischen Deutung, unter denen das christologisch-eschatologische dominiert.

Kapitel 2.3 (89-109) befasst sich mit der "Sonne und dem christlichen Sonn-Tag". Die Siebentagewoche und die Benennung der Wochentage nach den Planeten, die sich im römischen Reich im Laufe des 1. und 2. Jh.s durchsetzten, führten zu einer Koinzidenz von christlichem Herrentag und dem dies Solis der Planetenwoche. Die sich somit anbietenden Anknüpfungspunkte für eine christologisch bestimmte Sonnen- und Lichtmetaphorik, die für eine Theologie des christlichen Herrentages fruchtbar gemacht werden konnten, wurden jedoch nur zögernd und eher spärlich aufgegriffen, wahrscheinlich weil der dies Solis untrennbar mit den Planetennamen der übrigen Wochentage zusammenhing, für die eine interpretatio Christiana nicht möglich war. Einerseits fanden die mit heidnischen Göttern verbundenen Planetennamen der Wochentage keinen Eingang in den kirchlichen Sprachgebrauch; andererseits waren Versuche, die populären Planetennamen durch den kirchlichen Sprachgebrauch zu verdrängen, in welchem die auf den Herrentag (dies dominica) folgenden Wochentage mit einer Ordinalzahl (feria secunda, tertia usw.) bezeichnet wurden, von vornherein aussichtslos. Konstantins Gesetz über die allgemeine Sonntagsruhe von 321, das nicht nur den Christen, sondern einem breiteren religiösen Spektrum entgegen- und zugute kam, ermöglichte christlicherseits die Deutung, dass der christliche Sonn- bzw. Herrentag an die Stelle des jüdischen Sabbats getreten und das Sabbatgebot auf den Sonntag zu beziehen sei.

"Die Sonne als Interpretament des Osterfestes" ist Gegenstand des Kapitels 2.4 (110-125). Hatte das Osterfest ursprünglich (außer dem kalendarischen) keinen solaren Bezug, so wurden seit dem 2. Jh. Tod und Auferstehung Christi mit Untergang und Aufgang der Sonne parallelisiert, und unter Einbeziehung der Lichtmetaphorik (Christus als wahres Licht, als Licht der Welt) erscheint spätestens seit konstantinischer Zeit der auferstandene Christus als die "Ostersonne", die aufgegangene "Sonne der Gerechtigkeit". Die Verfinsterung der Sonne beim Tod Jesu (Mt 27,45; Mk 15,33; Lk 23,44 f.), die das Geschehen als ein kosmisches erscheinen lässt, bot für diese Interpretation ebenso einen Ansatzpunkt wie die liturgische Lichtfeier in der Osternacht. Auch das Taufgeschehen erfuhr seine Deutung unter Einbeziehung der Licht- und Sonnenmetaphorik.

Im folgenden Kapitel (2.5, 126-143), das "Die Sonne und das christliche Staatsdenken" überschrieben ist, zeigt W. auf, dass es unter Konstantin zu einer bewussten und politisch gewollten "Kontamination von Christentum und Sonnenkult" (142) kam. Erst nach 324 schieben sich christliche Elemente deutlich in den Vordergrund, ohne dass der Kaiser aber auf heidnisch-solare Motive verzichtet hätte (z. B. als Helios stilisierte Statue Konstantins mit Strahlenkranz in der "christlichen" Hauptstadt Konstantinopel, Konsekrationsmünze Konstantins). Die Ideologie vom "Sonnenkaisertum" Konstantins wird von Eusebius von Caesarea aufgegriffen, indem er Konstantin mit der Sonne parallelisiert (wohl kaum identifiziert, wie W., 138, meint), jedoch nicht ohne sich auch kritisch zur Verehrung der Sonne zu äußern. Nachwirkungen dieser sonnenbezogenen Kaiserideologie lassen sich bei Konstantins Nachfolgern (einschließlich Julian Apostata) und im christlichen Kaisertum in Byzanz fassen.

Unter der Überschrift "Die Sonne in der christlichen Kunst" (Kapitel 2.6, 144-173) untersucht W. Sonnendarstellungen und solare Motive in frühchristlicher Kunst und Ikonographie. Strahlenkranz und Nimbus, ursprünglich Attribute von Lichtgottheiten und besonders des Sonnengottes, hielten über die Kaiserikonographie Einzug in die christliche Kunst als Attribute Christi, der Apostel und später der Heiligen. Eng mit dem Nimbus verwandt ist die Mandorla bzw. die Gloriole. Darstellungen von "nimbierten" oder mit Lichtzonen umgebenen Kreuzen und Christogrammen evozieren ebenfalls solare Konnotationen und weisen auf das Licht Christi als "Sonne der Gerechtigkeit". Deutlich zu greifen ist die Anknüpfung an die pagane Ikonographie bei zwar seltenen, aber bereits vorkonstantinisch belegten Christus-Helios-Darstellungen bzw. christlichen Helios-Darstellungen, die für eine Deutung auf Christus offen sind. Darstellungen von Sonne und Mond neben dem Kreuz auf Passionssarkophagen und in erst spät auftretenden Kreuzigungsszenen sind ebenfalls paganer und imperialer Ikonographie entlehnt; sie haben keine pagan-religiöse Konnotation, sondern drücken den kosmischen Charakter des Geschehens aus. Solare Motivik wirkt ferner in christlichen Bildern des Zodiakus nach, der in literarischen Quellen in Parallele zum Apostelkreis gesetzt wird. Einflüsse paganer Helios-Ikonographie lassen sich ferner für christliche Himmelfahrtsdarstellungen (Elias oder Christus auf der Biga oder Quadriga) vermuten und schließlich ist der Strahlenkranz des Vogels Phönix ebenfalls der Sonnensymbolik zugehörig.

Das letzte Kapitel des zweiten Teils (2.7, 174-195) ist dem Zusammenhang von Sonne und christlichem Weihnachtsfest gewidmet. Unter Aurelian (274?), spätestens aber in konstantinischer Zeit wurde der pagane Sonnenwendtag am 25. Dezember als Dies natalis Solis invicti, für den sich keine älteren Wurzeln finden lassen, in den römischen Festkalender eingefügt. Parallel dazu, jedoch nicht in nachweisbarer Abhängigkeit davon oder Konkurrenz dazu, kam unter Konstantin in Rom das christliche Weihnachtsfest am 25. Dezember auf, an dem die Geburt Christi als Aufgang der "wahren Sonne" bzw. der "Sonne der Gerechtigkeit" gefeiert wurde. Seit Konstantius II. breitete es sich auch im Osten aus, wo sich infolgedessen der Festinhalt des 6. Januar, an dem dort bisher die Geburt Christi gefeiert wurde, auf die Anbetung der Magier, die Taufe Jesu und die Hochzeit von Kana verschob. Auch die Sonnenmotivik verlagerte sich vom 6. Januar auf den 25. Dezember.

Eine Zusammenfassung des Ergebnisses (197-205), Literaturverzeichnis (207-231), drei Register (233-248) und acht teils farbige Tafeln mit 19 Abbildungen beschließen das Werk. Es ist gut lesbar und bietet einen umfassenden, facettenreichen Überblick über das Thema "Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike". W. korrigiert, modifiziert und nuanciert ältere Forschungsergebnisse bzw. Sichtweisen und leistet damit einen wertvollen Forschungsbeitrag.