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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1175 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Sudbrack, Josef

Titel/Untertitel:

Trunken vom hell-lichten Dunkel des Absoluten. Dionysius der Areopagite und die Poesie der Gotteserfahrung.

Verlag:

Freiburg: Johannes Verlag Einsiedeln 2001. 323 S. 8. Geb. Euro 20,00. ISBN 3-89411-367-7.

Rezensent:

Karl-Adolf Bauer

Dieser bibliophil ansprechend gestaltete Band bietet in seinem ersten Teil eine Einführung in die poetische Mystik des Aeropagiten Dionysios, in deren Mitte dessen Buch "Theologia Mystika" in unverkürzter Neuübersetzung steht, die "gerade in ihrer strengen Wörtlichkeit die poetische Gestalt des griechischen Originals" (11) aufscheinen lassen möchte. Es ist das Anliegen der negativen Theologie des Dionysios, von Gott eher sagen zu können, was er nicht ist, als was er ist, das in die Nähe zur Poesie führt, die ihrerseits das "rational-sachliche Alltagsreden" übersteigt, "um das eigentlich-Gemeinte aufscheinen zu lassen" (12). Im zweiten Teil stellt der Vf. andere poetische Texte der Jahrhunderte vom mythischen Ursprung bis zur Moderne neben den Text der "Theologia Mystika". So will er vermeiden, dass das "apophatisch-negative" Erfahren und Sprechen von Gott in Abstraktion abgleitet. Das bedeutet positiv: "Das Göttliche ist jenseits allen Begreifens und reicht doch in das menschliche Begreifen und Erfahren hinein" (12). Im dritten Teil schließlich denkt der Vf. der Frage nach, welchen Grad an Realität Symbol und Bild, poetische Form und künstlerischer Inhalt haben. Diese Frage scheint ihm von Gewicht im Gespräch sowohl mit den Religionen als auch mit der modernen Religiosität.

Der Vf. bringt überzeugend das zwar "wenig geschichtliche, aber hochpoetische Weltbild" (103) des Areopagiten zum Leuchten. In der Begegnung mit dessen Texten empfindet man deutlich, dass den Lesenden gegenüber einer Zeit, in der "von den höchsten Dingen auch nur mit kleiner und schwächlicher Betrachtung irgend etwas erschauen zu können ... höchste Lust" (so Thomas v. A., Summa c. G. I, 8) war, heute eher an der Vergewisserung des Glaubens angesichts der Dissonanzen des Lebens und der Zeit gelegen ist. Zugleich macht er auf die durch den neuplatonischen Einfluss mitbedingte Grenze der Denkform des Areopagiten aufmerksam: "Sie verlegt den Akzent, den die Bibel eher auf den Endpunkt der Geschichte setzt ..., zeitlos in die Erfahrung der Gegenwart." (51) Offen bleibt in der Darstellung, ob die Mystik des Aeropagiten eine die Geschichte übersteigende Erfahrung oder eine von der Hoffnung auf die Zukunft in Vollendung geprägte Prolepse ist. Mystik wäre dann eine Erfahrung des Zieles auf dem Wege, gleichsam ein Vorgeschmack (Röm 8,23) der Ewigkeit in der Zeit, der zwar tröstet und stärkt, nicht aber zufrieden und satt macht, vielmehr eher den Hunger und Durst nach der Erfüllung der Verheißungen wach werden lässt. Beides sieht der Vf. "biblisch fundiert" (51). Diese Ambivalenz im Verständnis der mystischen Erfahrung des Areopagiten klingt im Buch mehrfach wieder an - besonders eindrücklich etwa im Zusammenhang einer Interpretation von Texten Hans Arps (203 ff.), Paul Celans (212 ff.) und Eva Zellers (219 ff.). Denn in den Texten der Genannten wird die bei Dionysios und in anderen mystischen Texten uns begegnende "Harmonie des Ganzen" (149) vom "Erleben des Bösen" (219) zutiefst in Frage gestellt. Zwar wird hier wie da "eine Gottesvorstellung, die Gott in die Hantierbarkeit des menschlichen Vorwitzes herunterzerrt" (219) zerschlagen. Dass beide - sowohl die negative Theologie des Areopagiten als auch die von der Erfahrung des Bösen provozierten Texte aus der Literatur - die Sprache der Poesie aufgreifen, rückt sie einander näher. Diese Nähe hat der Vf. überzeugend dargetan. Doch wie verhalten sich die von der negativen Theologie geprägte und die von der Erfahrung des Bösen gezeichnete Gottesvorstellung zueinander? Erscheint nicht die Erfahrung der Sinnlosigkeit des modernen Menschen im Lichte der Mystik des Areopagiten noch "zu verständlich" zu sein (vgl. 226)? Kommt die fragweise erwogene Interpretation des Freitodes von Paul Celan als Ausdruck des Mutes, auf dem Wasser zu gehen, nicht doch zu schnell (vgl. 223)? Meldet sich hier nicht latent jene Verachtung der Welt an, die "doch stets im Neuplatonismus lauert" (235)? Das sind Fragen, die vor allem den zweiten und dritten Teil des Bandes durchziehen und deren explizite Exposition und Klärung man sich wünscht. Damit deutet sich auch die vom Vf. selbst empfundene Grenze (vgl. 13) seiner Darstellung an: Vieles wird in zuweilen aphoristischer, stets den Lesenden anregenden und ins Fragen versetzender Weise angesprochen, dessen eingehendere Diskussion man dann vermisst. Gleichwohl: Dieser Band verwickelt, über die verlässliche Einführung in das Werk des Areopagiten hinaus, über Jahrhunderte hinweg ins Gespräch mit Texten, Erfahrungen und Fragen, dem sich niemand entziehen kann, der nach der Klärung seiner eigenen Lebens- und Glaubenserfahrung sucht.