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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1170 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Neuser, Wilhelm H.

Titel/Untertitel:

Evangelische Kirchengeschichte Westfalens im Grundriß.

Verlag:

Bielefeld: Luther-Verlag 2002. 253 S. gr.8. m. Ktn. = Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte, 22. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-7858-0443-1.

Rezensent:

Gerhard Graf

Mehr als in anderen Beispielen ist das vorgelegte Buch in zweifacher Hinsicht von Interesse. Es bietet durch seinen Inhalt nicht nur eine fesselnde Lektüre, sondern es fällt auch auf in der Art seines methodisch-didaktischen Vorgehens.

Es ist nach Ansicht des Vf.s dem Charakter eines "Grundrisses" geschuldet, dass in bewusster Kürze, ohne Fußnoten, mit wenigen, aber weiterführenden Literaturangaben und nur unter der Benutzung solcher Fakten, die auch folgenreich waren, der Ablauf von Geschichte dargeboten werden soll. Ungewohnt ist dabei auch die Maßnahme, dass am Anfang der größeren Abschnitte unter Ziffern mit Kleindruck bereits die Ergebnisse vorweggenommen werden. Das möchte nach Wunsch des Vf.s zur besseren Orientierung bei Wiederholungen dienen und erweist sich in diesem Sinn tatsächlich sehr bald für den Leser als ausgesprochen hilfreich.

Ebenfalls eine wichtige Funktion haben die beigefügten sechs Karten. Die letzte von ihnen hält die konfessionelle Situation von 1995 fest, die erste beschreibt dagegen den Raum Westfalen im 16. Jh. der damals aus 16 großen und kleinen Territorien bestand. Damit wird nicht nur klar, welchen langen Weg die evangelische Kirche Westfalens bis zur endgültigen Herausbildung einer eigenen Landeskirche zu gehen hatte. Verständlich wird so auch, dass zur Durchschaubarkeit dieses komplizierten Entwicklungsganges sich der Vf. rational gestalteter Ordnungsprinzipien bedienen musste.

Die gesamte Entwicklung von der Reformation bis zur selbständigen Kirchenordnung von 1953 wird in neun Kapiteln nachgezeichnet. Für jede Epoche - hier nur als Faktum zu nennen - wird dabei Bezeichnendes und, wie der deutschlandweite Vergleich belegt, auch unverwechselbar Westfälisches vorgestellt. Gezeigt wird zunächst die Reformation (zuerst Predigt und Singbewegung) in ihrer stufenweisen Ausbildung unter verschiedenen territorialen Bedingungen. Dann wird das reformierte Kirchentum behandelt. Es folgen die Auswirkungen des Westfälischen Friedens. Nach der Übernahme durch Preußen geschieht die territoriale Zusammenfassung als Provinzialkirche und die Einführung der Union. Die Erweckungsbewegung, zum Teil durch Herrnhuter ausgelöst, und die Zeiten des Kaiserreiches und der Weimarer Republik werden beschrieben. Herausragend ist der Kirchenkampf. Seine Impulse wirken hinein in die sich herausbildende evangelische Landeskirche.

Auch wer am Beginn der Lektüre einen formalen Vorbehalt hatte, ist schon wenig später angezogen durch die verkürzende und markante, so aber andererseits auch verdeutlichende Darstellung. In der Sachvermittlung lassen sich die einzelnen Kapitel nicht gegenseitig aufrechnen, jedes beansprucht gleichermaßen Aufmerksamkeit, und letztlich entscheidet das Wissensziel des Lesers, woran er am meisten Gefallen findet oder wo er sich auch einmal an gemachten Äußerungen reibt.

In den letzten Jahren sind etliche und sehr verschiedene Darstellungen von Landeskirchengeschichte erschienen: dickleibige, mehrbändige, mit Abbildungen geschmückte oder auch durch Abbildungen gestaltete. Der vorgelegte Grundriss bietet dazu eine weitere Variante. Wenn in ihm Abbildungen fehlen, so entspricht das seinem Genuss. Anders mag man urteilen, sofern darin lediglich nur geboten wird, was kirchengeschichtlich nicht ohne Folge war. Auch wenn in der evangelischen Kirchengeschichtsschreibung des 17. und 18. Jh.s in Westfalen eine große Lücke klafft (11) und wenn die Organischen Artikel aus der Franzosenzeit von 1806 bis 1813 bald in Vergessenheit gerieten (12), so sollten solche Zeiten gleichwohl doch einbezogen werden, weil sie, ob nun verblasst oder wenig behandelt, zumindest indirekt die Voraussetzung für das Handeln der folgenden Epoche darstellen. Unberücksichtigt bleibt hier - und auch bei anderer Gelegenheit - die Überlegung, inwieweit zusätzliche Faktoren, etwa Kirchenbau und -ausstattung oder Brauchtum und die Reflexion politischer Ereignisse eine Auskunft zu geben vermögen. Aber mit derartigen Erhebungen zur Zeit ist freilich ein Grundriss wohl schon überfordert.

Gewiss richtet sich das vorgelegte "Lehr- und Lernbuch" (so im Text auf dem Rückendeckel) zunächst an die Öffentlichkeit der westfälischen Landeskirche und allgemeiner an die Westfalens. Der methodische Ansatz und der Inhalt sind aber auch für andere Territorien anregend. Zum einen befördert das Bemühen um einen Grundriss ganz offensichtlich die klärende Durchdringung der eigenen Verhältnisse, zum anderen regt dieses Vorgehen aber auch an, das Spezifische der eigenen Landeskirche in einen vergleichenden Kontext mit der Geschichte anderer Landeskirchen zu stellen. Auch der notwendige Kontakt von deutscher Kirchengeschichts- und Territorialkirchengeschichtsschreibung wird damit einmal mehr deutlich.

Einige Corrigenda seien abschließend genannt: Die Literatur ist den Abschnitten nicht voran-, sondern vielmehr nachgestellt, 12; besser spricht man seit dem Hochmittelalter vom Bischof von Naumburg statt von Zeitz, der Bischof von Merseburg war durchaus auch Landesherr, beides 16; Preußen erhielt durch den Wiener Kongress von Sachsen weitaus mehr als den "Nordteil Sachsens (Magdeburg)", 136; auf S. 192 soll es wohl Betheler Anstalten heißen; die zufällige Stichprobe zu "Kiel" im Register bringt unter drei Angaben nur eine tatsächlich zutreffende.