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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1149 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lim, Johnston T. K.

Titel/Untertitel:

Grace in the Midst of Judgement. Grappling with Genesis 1-11.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 2002. XII, 262 S. gr.8 = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 314. Lw. Euro 68,00. ISBN 3-11-017420-0.

Rezensent:

Horst Seebass

In 15 Kapiteln hat der Vf. seine Gedanken zu Gen 1-11 niedergelegt: 1. Situating the Thesis; 2. Contemporary Hermeneutics; 3. The Hermeneutic of Reading; 4. Towards a Theological Reading; 5. Narrativity and Historiography; 6. The Creation; 7. Adam and Eve; 8. Cain and Abel; 9. Noah and the Flood; 10. The Tower of Babel; 11. Genesis 1-11 and the Old Testament; 12. A Theology of Genesis 1-11; 13. Contemporary Significance of the Text; 14. Conclusion; 15. Postscript. Die beiden letzten Kapitel umfassen je nur 2 Seiten - das letzte erklärt den Ausdruck "grapple" in der Unterschrift des Titels: Der Vf. habe ähnlich wie Jakob in Gen 32,23 ff. um die Theologie seines Textes gerungen ("to grapple" wie "to wrestle"). Man hat keinen Anlass, diese Selbstaussage in Zweifel zu ziehen. Nur gehört sein Buch nicht zum Genre alttestamentlicher Wissenschaft, sondern zum Genre der Vermittlung biblischer Traditionen an eine glaubensbereite "Community", zu der der Vf. sich mehrfach bekennt. Solche Vermittlung ist eine ehrenwerte, bitter nötige Aufgabe, und der Rez. kann nur bedauern, dass er aus der Ferne die Situation im ostasiatisch-pazifischen Raum, zu dem nicht nur sein Ort Singapur, sondern wohl auch das den Ph. D. verleihende "Department of Religion of the University of Queensland" in Australien gehört, nicht angemessen zu würdigen vermag. Aber die alttestamentliche Wissenschaft kann bei der Lektüre dieses Werkes wohl kaum etwas lernen.

Im 1. Kap. erklärt der Vf. auf 21 Seiten, dass er die historisch-kritische Methode für erledigt hält und ihr insbesondere ein "theological reading" nicht überzeugend gelungen sei. Da er Autoren zitiert, die mit ihr arbeiten, ist ihm bekannt, dass viele ihrer Nutzer z. T. gründlich theologisch arbeiten. Aber an solcher Differenzierung ist er nicht interessiert. Das 2. Kap. lässt sich auf einen Wirrwarr gegenwärtiger hermeneutischer Theorien ein, kommt aber letzten Endes auf die Kritiken von James Barr und John Barton an solchen zurück - konnte man das nicht kürzer haben? Das 3. Kap. "The Hermeneutics of Reading" erläutert Ähnliches wie das, was einst Rudolf Bultmann auf den Begriff des Vorverständnisses gebracht hatte, will aber als einzig hilfreich die Leseweise einer dem Wort Gottes verpflichteten Gemeinschaft herausstellen. Das 4. Kap. stellt also ein "theological reading" vor, dessen Kern darin besteht, dass die Texte zweifellos eine theologische Lesung verlangen. Kap. 5 will darauf hinaus, dass Gen 1-11 trotz der in den Texten enthaltenen Listen zum narrativen Genre zähle und dass deren narratio im Rahmen damaliger kultureller Vorgaben Historiographie beabsichtige. Den fünf theoretischen Kapiteln folgen fünf des "theological reading". Der Vf. nimmt 1,1-2,25 als Einheit "Creation". 3,1-24 wird in einem eigenen Kapitel behandelt, "Kain und Abel" erfassen 4,1-5,31, Noah und die Flut 6,1- 10,32, der Turmbau zu Babel 11,1-32. Dass der Vf. in diesen Kapiteln "Grace in the Midst of Judgement" findet, ist sicher richtig, wenn auch für die wissenschaftliche Debatte nicht mehr besonders überraschend. Hat der Rez. anfangs noch Anmerkungen zu Einzelheiten machen wollen (z. B. 107: was versteht der Vf. unter dem israelitischen Monotheismus?, 114: 1,5 redet nicht vom 1. Tag, sondern vom Tag eins; 169: der Vf. bemerkt, dass 6,1-4 von menschlicher Schuld nichts weiß, was seine theologische Deutung aber nicht brauchen kann; theologisch viel zu wenig zu 1,1-2,3 und zu 6,5-9,16), so gibt er das auf, weil es dem Vf. viel zu selten um Details geht, wie schon seine Abgrenzungen vermuten lassen. Solches setzt sich im 11. Kap. fort, wo die Bedeutung von Gen 1-11 für den Rest des Alten Testaments mehr vorausgesetzt als nachgewiesen wird (dies gilt zumal für Gen 3, aber auch für das Motiv "Schöpfung"). Kap. 12 "A Theology of Gen 1-11" sammelt viel Gedankengut, das in jüngerer Zeit aus diesen Kapiteln abgeleitet worden ist, ohne zunächst streng herauszuarbeiten, was die Texte selbst sagen.

In dem 13. Kap. "Contemporary Significance" hätte der Rez. als historisch-kritischer Pietist eine substantielle Auseinandersetzung mit wichtigen antibiblischen Zeitströmungen erwartet, da der Vf. sie anspricht; aber er setzt ihnen nur nichtargumentativ sein "theological reading" entgegen. Zu den Kapiteln 14. 15 s. o. So hat leider der Rez. nichts zum Alten Testament und seiner Theologie einschließlich von Gen 1-11 neu gelernt - außer Literaturhinweisen, da in der Überfülle an Literatur zu Gen 1-11 auch dem Aufmerksamen manches gelegentlich entgehen kann.

Dies Werk hätte nicht in der einst ehrwürdigen Reihe der Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft erscheinen dürfen. Selbst bei den Voraussetzungen des Vf.s wäre viel Präziseres, eben rigoros Alttestamentliches zu Gen 1-11 zu sagen gewesen. Hat der Vf. dies nicht verspielt, weil er alle Historisch-Kritischen für nicht kommunikationswürdig hält?