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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

914 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kuld, Lothar

Titel/Untertitel:

Glaube in Lebensgeschichten. Ein Beitrag zur theologischen Autobiographieforschung.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1997. 288 S. gr. 80. ISBN 3-17-014228- 3.

Rezensent:

Friedrich Schweitzer

Das 1995 von der (Katholischen) Theologischen Fakultät Freiburg als Habilitationsschrift angenommene Buch läßt seinen Zusammenhang mit den in der Regel stark formalisierten Ansprüchen akademischer Verfahren erfreulich wenig erkennen. Die durchweg gut zu lesende Darstellung entspricht auch im Stil ihrem Gegenstand lebensgeschichtlicher Erzählungen.

Der Aufbau ist klar und durchsichtig: Der erste Hauptteil referiert den Stand der Diskussion zur theologischen Würdigung "autobiographischer Erzählhaltung" einerseits und zu "Glaubensgeschichte und Lebenslauf in entwicklungstheoretischer Sicht" andererseits. In beiden Fällen geht es weniger um eine umfassende Rekonstruktion der Zusammenhänge als um eine knappe Konturierung der entsprechenden Fragestellungen zwischen Autobiographie, Theologie und Entwicklungspsychologie, die dann in der vorliegenden Untersuchung selbst aufgenommen werden.

Der zweite Hauptteil, der das eigentliche Herzstück der Arbeit bildet, bietet in fünf Kapiteln Interpretationen zu "Entwicklungsgeschichten des Glaubens". Als exemplarische Beispiele werden, jeweils anhand zentraler autobiographischer Texte, Augustinus, John Bunyan, John Henry Newman, Thomas Merton und Tilmann Moser vorgestellt. Die Texte dieser Autoren werden zunächst als literarische Zeugnisse interpretiert und dann in eine theologische und psychologische Perspektive gerückt, wobei verschiedene entwicklungspsychologische Schulen bzw. Theorien zum Zuge kommen. Der Vf. weiß um die angesichts des historischen Abstands zwischen einem Teil dieser Texte und den modernen Entwicklungstheorien erforderliche Vorsicht und läßt bei seinen Deutungen eine angemessene Zurückhaltung walten.

Der Schlußteil des Buches faßt (auf knapp 20 Seiten) die Hauptergebnisse zusammen. Leitende These ist dabei die "Interdependenz von Glaubensgeschichte, Entwicklungsstufen und Lebensphasen in der religiösen Selbstbeschreibung". Glaube in lebensgeschichtlicher Darstellung soll sowohl als "Fakt" als auch als retrospektive "Konstruktion" begriffen werden. Weiterhin plädiert der Vf. für eine Wiedergewinnung des Bekehrungsbegriffes als eines unerläßlichen theologischen Interpretaments - allerdings zu Recht nicht einfach im Sinne eines "Bruchs" im Leben, sondern als "Einheit einer scheinbar in sich selbst gegenläufigen Bewegung: daß ein Mensch im Glaubensakt sein ganzes Leben gleichsam einsammelt und ganz bei sich selbst ist und zugleich dafür eintritt, dieses Ich vollständig an das Geheimnis Gottes hinzugeben, - diese Bewegung rhythmisiert jede Glaubensgeschichte und gehört zum Paradox christlicher Autobiographie: ein Selbst zu beschreiben, das aufgegeben zu haben, gerade das ,neue’ Leben vom ,alten’ unterscheidet" (255). - Im Blick auf die entwicklungspsychologische Rekonstruktion von Glaubensgeschichten kommt der Vf. zu dem Ergebnis, daß insbesondere strukturgenetische Theorien von der Lebensgeschichte abstrahieren. Ihre Stärke sieht er gleichwohl darin, daß sie eine Wahrnehmung von "Transformationen" und "religiösen Entwicklungsniveaus" in autobiographischen Darstellungen erlauben. Ein nur noch angedeutetes Modell zur Verbindung von "Stufe, Entwicklungsgeschichte, Lebensphase" beschließt das Buch.

Zwei kleinere, aber ärgerliche Fehler sind zu monieren. Der Methodist J. W. Fowler wird als Baptist bezeichnet, wobei aus dieser Fehlzuordnung auch noch Folgerungen für dessen Entwicklungsverständnis gezogen werden sollen (203). Der Tübinger evangelische Theologe E. Herms wird in seinem Offenbarungsverständnis als "evangelikal" bezeichnet (257) - eine Fehlwahrnehmung, die sich angesichts von Herms’ Veröffentlichungen von selbst verbietet.

Dennoch handelt es sich insgesamt um einen gelungenen Beitrag zum Verhältnis von Lebensgeschichte, Glaubensgeschichte und Religionspsychologie, der allerdings auch die Notwendigkeit der Weiterarbeit anzeigt. Was z. B. bedeuten die - vom Vf. nicht berücksichtigten - Arbeiten Fowlers zum Verhältnis von Biographie, Ethik, Zeitgeschichte und Entwicklungspsychologie? Oder welche Konsequenzen wären aus der Aufnahme narrativer Theorien u.a. P. Ricoeurs für das Thema zu ziehen? Welche - ggf. auch im Verhältnis zu früheren Äußerungen des Autors neuen - religionspädagogischen Folgerungen ergeben sich aus der beschriebenen Verbindung von Lebensgeschichte, Glaubensgeschichte, Theologie und Psychologie?

So markiert das Buch eher eine Etappe in der Diskussion als schon deren Abschluß. Sein Hauptverdienst liegt in einer Verschränkung von Biographie und Theologie, die diese Diskussion gewiß bereichern kann.