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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1147–1149

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kottsieper, Ingo [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Aramäisches Wörterbuch.

Verlag:

Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 2001. 128 Sp. 4 = Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament. Bd. IX, Lfg. 1. Kart. Euro 34,00. ISBN 3-17-015616-0.

Rezensent:

Christa Müller-Kessler

Ein aramäisches Wörterbuch im Rahmen des "Theologischen Wörterbuchs zum Alten Testament". Was ist das? Ohne Vorwort, nur vom Umschlagtext der Rückseite aus zu erahnen, bleibt das Ziel des Unternehmens und die Zielgruppe der Rezensentin doch weitgehend ein Rätsel. Schließlich liegt strictu sensu kein eigentliches Wörterbuch vor, sondern eine bunte Mischung aus philologischen und inhaltlichen Kommentaren zu ausgewählten Begriffen in den biblisch-aramäischen Quellen. Nach Lektüre der einzelnen Beiträge zu Lfg. IX, I (ab - bnh) kam der Rez. unwillkürlich eine frühere, sicherlich sehr scharf formulierte, aber im Kern doch zutreffende Definition des Aramaisten Jonas Greenfield (J. C. Greenfield, "Philological Observations on the Deir 'Alla Inscription", in: J. Hoftijzer/G. van der Kooij [Hrsg.], The Balaam Text from Deir 'Alla Re-evaluated: Proceedings of the International Symposium Leiden, 1989. Leiden 1991, 109- 120) in Erinnerung: "I admit to having felt a good deal of alienation. My feeling was that beside the editor of the text, there were only two others, among those who had written, who could lay claim to being an Aramaist. For an Aramaist is not one who teaches a course in Biblical Aramaic every few years and piddles with some Aramaic inscriptions; he is rather a scholar for whom Aramaic is one of the main focuses of his attention."

Von einer Einheitlichkeit und Ausgewogenheit der Lemmata kann leider keine Rede sein. Dazu trägt auch ihre unsystematische Anordnung bei. Während noch einigermaßen verständlich ist, dass unter 'îlan "Baum" auch einzelne Baumarten sprachlich und inhaltlich abgehandelt werden, führt die Auflistung von inhaltlich so unterschiedlichen Begriffen wie 'sh (sic!), hartom und kas/sdaj unter 'asap zu einem inhaltlichen Durcheinander. Neben einigen nüchternen und soliden Beiträgen (z. B. Beyer) finden sich doch zahlreiche Stichworte, in denen eher das jeweilige Spezialgebiet des Autors herausragt und sich oft große Lücken auftun. Akkadisch trainierte Autoren zitieren z. B. extensiv die akkadische Literatur, bei anderen fehlt sie wiederum völlig. Gelegentlich werden eklektisch und je nach vorhandener semitistischer Ausbildung unterschiedlich weit ausgreifende Etymologien, oft ohne große inhaltliche Relevanz für das Lemma, geboten, während andererseits ganze Teilbereiche des Aramäischen fehlen. Wie leider derzeit generell zu beklagen ist, fehlt in vielen Beiträgen die primäre Textkenntnis von aramäischen Dialekten, die nicht bequem durch neuere Wörterbücher aufgearbeitet sind. Dazu gehören viele der mittelaramäischen und späteren Dialekte, insbesonders das östlichere Aramäisch (Babylonisch-Talmudisch-Aramäisch, Standard-Literarisch-Babylonisch-Aramäisch), aber auch bis vor kurzem das Samaritanisch- und Galiläisch-Aramäische. Es kann nicht genügen, für das Mandäische allein das inzwischen revisionsbedürftige "Mandaic Dictionary" zu zitieren oder undifferenziert von Jüdisch-Aramäisch zu sprechen, ein Begriff der (nach einem Zitat eines Kollegen) sich zu den einzelnen Dialekten wie "Butter" zu "Milchprodukten" verhält.

Diese Kritik gilt leider auch für den offensichtlich teilweise überforderten Herausgeber, der anscheinend entsprechende Defizite der Beiträge durch zahlreiche, oft extensive Einschübe zu kompensieren suchte, die aber vielfach in einer ebenso einseitigen Präsentation seiner eigenen Spezialgebiete (Aiqar; Teilbereiche der Nordwest-Semitistik) gipfeln. Einem Theologen, der keine eigenen sprachlichen Voraussetzungen mitbringt, werden vielfach extrem subjektive, wissenschaftlichen Konsens vortäuschende Interpretationen einzelner Textpassagen vorgesetzt, z.T. banal belehrend wie etwa bei 'kl (27), dass vielfach den "modernen Wohlstandsgesellschaften" das Verständnis für den "Aspekt der Ernährung" abgeht. Die häufig einseitige Ausrichtung allein auf den Bereich der Nordwest-Semitistik, auf Palästina mit Qumran, teilweise unter Einbeziehung der Südsemitistik, muss zwangsläufig einem Theologen ein völlig falsches Bild vermitteln. Das Reichsaramäische in Ägypten ist, wie auch Einschläge im Biblisch-Aramäischen zeigen, primär einmal mesopotamischer Import; im Osten wurzeln viele der Begriffe. Wenn z. B. unter 'rah auf 'rh mlk' in Elephantine eingegangen wird, so ist dies natürlich auch unter dem Aspekt der Existenz von Königsstraßen im kontemporären Babylonien zu sehen. Was soll z. B. der isolierte Vermerk zur syrischen Literatur (93) und zu Abraham ohne Berücksichtigung der gnostischen Texte, von m'n(') 'sy' und mandäischen Einleitungsphrasen - auch in nicht mandäischen Zaubertexten - wie mry(') 'sw't' 'sy' rb' drhmy "Herr der Heilungen, der große Heiler der Barmherzigkeit". Eine subtile semantische Diskussion mit Schlussfolgerungen wie z. B. bei 'æssar, dass dies eher "als magischer Fachbegriff für entmachten" denn als "binden" im konkreten Sinne zu verstehen sei (72), hätte sich mit einem Blick auf die Abbildungen gefesselter Dämonen auf aramäischen Zauberschalen relativieren lassen.

In einem kühnen Survey der Götterwelt der gesamten Region unter dem Lemma ælah, bei dem das eigentlich aramäische Element oft unklar bleibt, finden wir als einen der Schwerpunkte des Autors die Kulte von Palmyra. Der zentralbabylonisch-aramäische Anteil bzw. die von Ost nach West ausstrahlende Götterwelt des zentralen Mesopotamien einschließlich des südmesopotamischen Raumes wird seltsam negiert; ein hierfür wichtiger Aufsatz wie der von Stephanie Dalley, "Bel at Palmyra and Elsewhere in the Parthian Period", Aram 7, 1995, 137-151, in dem auf den einseitigen Blickwickel der bisherigen Forschung eingegangen wird, ist nicht zitiert. Und kein Wort über die Götter Assur in Assur, über Issar/Issar und Nergal in Hatra, Marduk in Tarsos, über Nanai u. a., alles längst von Aramäern verehrte, ehemalige babylonische Götter. Geographische Termini werden oft wild durcheinander gebraucht. Da wird das nordsyrische Arpad einfach für Mittelsyrien reklamiert (43) oder das nordmesopotamische Harran für Nordsyrien (39).