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Ausgabe:

November/2003

Spalte:

1141–1143

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Prien, Hans-Jürgen]

Titel/Untertitel:

Das Evangelium im Abendland und in der Neuen Welt. Studien zu Theologie, Gesellschaft und Geschichte. Zum 65. Geburtstag des Autors hrsg. von H.-M. Barth u. M. Zeuske.

Verlag:

Frankfurt/M.: Vervuert 2000. XXVII, 722 S. 8. 1 Porträt = Acta Coloniensia, 5. ISBN 3-89354-195-0.

Rezensent:

Wilhelm Hüffmeier

Dieser von H.-M. Barth und M. Zeuske aus Anlass des 65. Geburtstages von H.-J. Prien herausgegebene Band umfasst Aufsätze und Vorträge des Autors zwischen 1973 und 1998. Besonders aktiv war P., Verfasser einer fast 1.200 Seiten starken "Geschichte des Christentums in Lateinamerika" (1978), mit seiner Vortragstätigkeit in der Zeit um 1992 zum Gedenken an die Entdeckung Amerikas vor 500 Jahren. Von 1958 bis 1961 in San Salvador/El Salvador kaufmännisch und von 1969 bis 1973 in São Leopoldo, Brasilien, als Dozent für Kirchengeschichte tätig gewesen, ist P., zuletzt o. Professor für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte in Köln, im Spanischen wie im Portugiesischen zu Hause.

Die zu sieben Einheiten gruppierten insgesamt 27 Beiträge gelten in den Teilen III-VI (101-604) vier zentralen Themen lateinamerikanischer Christentumsgeschichte: 1. Conquista und Evangelisierung; 2. Volksfrömmigkeit und Synkretismus; 3. Überlebenskampf der indigenen Bevölkerung und 4. Protestantismus. Hinzu treten, gleichsam als Ausweise des erkenntnisleitenden Interesses des Autors, Beiträge zum hierarchiekritischen und zugleich ökumenisch weiten Kirchenbegriff des jungen Luther und zu den ökonomischen und sozialen Aspekten von Luthers Wirtschaftsethik (1-54) sowie zu den ethischen Impulsen der Befreiungstheologie (605-686). Eingefügt sind der Sammlung schließlich Aufsätze zur Gnadenlehre und zum "Katechismus" von 1529 des spanischen Theologen Francisco de Ossuna (69-100). Der dezidiert katholische "Katechismus" de Ossunas (ca. 1492-1541) ist übrigens als ganzer in deutscher Übersetzung abgedruckt, und es lohnt ein Vergleich mit Luthers Katechismen.

Bei den Beiträgen handelt es sich um Ergänzungen, Vertiefungen, vor allem aber um Anwendungen dessen, was P. zuerst in seiner Dissertation (1967) über "Francisco de Ossuna", dann in der Christentumsgeschichte Lateinamerikas und zuletzt in seiner 1992 erschienenen Monographie "Luthers Wirtschaftsethik" dargelegt hat.

Es ist immer wieder beklemmend zu lesen, wie wenig insgesamt die gewaltsame Unterwerfung und Ausbeutung Mittel- und Südamerikas, die Conquista, und die Evangelisierung (die spirituelle Conquista) klar getrennt und wie dabei die Bullen von Papst Alexander IV. von 1493 als Besitzübertragung der überseeischen Gebiete statt ausschließlich als Missionsauftrag gedeutet wurden (vgl. 167). Dass es in Brasilien weniger gewaltsam zugegangen sein soll als in Hispaniola, Peru oder in Mexiko, mit diesem Vorurteil räumt auch P. gründlich auf. Andererseits zeigt er mit Freude und Sympathie die rühmlichen Ausnahmen von der Regel, so etwa die friedliche Missionierung Guatemalas, die Jesuitenmission Paraguays, wo die Grundsätze von Bartholomé de Las Casas, der auf der strikten Trennung insistierte, wenigstens zum Teil erfolgreich gewesen sind. Andere, wie Manuel da Nóbrega in Brasilien, fingen als Idealisten an und haben sich der normativen Kraft des Faktischen, d. h. den Rahmenbedingungen des Kolonialunternehmens gebeugt oder wurden, wie der Portugiese Antonio Vieira im 17. Jh. im Nordosten Brasiliens, zum moralischen Protest geführt. Wieder andere, wie José de Acosta in Peru, haben sich von Anfang an in ihrer Theorie und ihrem Handeln dem Problem des Verhältnisses von Glauben und Kultur gestellt.

Der Vergleich der Missionstheorien von de Las Casas, da Nóbrega und de Acosta (273-292; vgl. auch 207-292: Einleitung und Kommentar zu de Las Casas' Missionsschrift "De unico vocationis modo omnium gentium ad veram religionem") ist ebenso informativ und aufschlussreich wie der Aufsatz über "Hernan Cortés' Rechtfertigung seiner Eroberung Mexikos und der spanischen Conquista Amerikas" (183-206). Die Beiträge zur lateinamerikanischen Volksfrömmigkeit (Heiligenverehrung, Marienfrömmigkeit, Patriarchalismus, Wunderglaube) zeigen, wie deren theologische Durchdringung den Weg finden musste, von dem "von Gewaltsamkeiten begleiteten Missionsprozess" mit der "weitgehenden Verweigerung" kultureller Anpassungen (352) hin zu einer neuerlichen Offenheit gegenüber synkretistischer Volksfrömmigkeit, die - so die Bischofskonferenz von Puebla 1979 - freilich "durch die ständige Begegnung mit der Verkündigung des Evangeliums verändert und gereinigt" (353) werden muss.

In ähnlich differenzierender Weise stellt sich P. dem Problem des "Überlebenskampfes der indigenen Bevölkerung" mit Beiträgen zu Indianerbildern, Indianerpolitik, Indianermission und Indianerschutz, besonders in Brasilien. Was die Anfänge der Conquista angeht, teilt P. die Meinung von G. Gutierrez u.a., dass die tragischen Vorgänge in Hispaniola "heute als Genozid" bezeichnet würden (175), und widerspricht Relativierungen dieses Urteils von katholischer Seite.

Was schließlich den Protestantismus angeht, so liegt hier von P.s Tätigkeit in Brasilien her ein Schwerpunkt auf Aspekten des Weges der evangelischen Einwanderer im Süden Brasiliens von einer deutschen Volkstumskirche zu einer Kirche im brasilianischen Kontext, zugleich stellt er sich neueren Entwicklungen, vor allem im Bereich des pentekostalen und des aufstiegsorientierten neopentekostalen Protestantismus, wodurch das katholische Monopol in Südamerika zerbrochen ist.

Dass P. als evangelisch-lutherischer Theologe auf die Christentumsgeschichte Südamerikas blickt, wird an keiner Stelle verschleiert, ebenso wenig wie die Sympathie für die befreiungstheologische Kirchengeschichtsschreibung. Dabei erkennt P. auch die Grenzen der Befreiungstheologie, die allzu sehr auf Volksbewegung, Evolution von Unten setzte und zum Teil einem dem Marxismus inhärenten optimistischen Fortschrittsglauben verhaftet war. Dagegen weist er mit Recht darauf hin, dass es in Südamerika so etwas wie den Typ der "Staatsklasse" gibt, jener "Führungsschicht einer Nation", die "eine öffentliche Ordnung schafft und durchsetzt, die zugunsten eigener Macht und eigener Privilegien die Menschenrechte weiterer Bevölkerungskreise nicht respektiert" (684).

Insgesamt merkt man, dass P.s Forschungen eben aus den 70er und 80er Jahren stammen. Der Bedeutungsverlust der Befreiungstheologie kündigt sich an, ebenso die Ausbreitung neuer problematischer Formen des Protestantismus wie etwa "Die universale Kirche des Reiches Gottes". Die Entwicklungen sind an diesen Stellen inzwischen sehr viel weiter gegangen. Zwar dürfte sich P.s Kritik am Kapitalismus mit der südamerikanischen, vor allen Dingen etwa von evangelischen Kirchen in Argentinien und Brasilien formulierten Kritik am Neoliberalismus treffen. Den ethischen Diskurs, den neuerdings auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds pflegen, übergeht er. Doch das relativiert den positiven Gesamteindruck, den diese Aufsatzsammlung wegen der enormen Detailkenntnisse und hilfreichen Durchblicke, vor allem aber in Hinsicht auf die souveräne Bewältigung eines gewaltigen fremdsprachlichen Stoffes hinterlässt.