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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

912–914

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Engel, Klaus

Titel/Untertitel:

Meditation. 1: History and Present Time. 2: Empirical Research and Theory. (Erweiterte Übersetzung von Meditation: Geschichte; Systematik; Forschung, Theorie, 320 S.)

Verlag:

Frankfurt/M.: Lang 1997. 243 S. u. 178 S. 8. Lw. DM 75,- u. 69,-. ISBN 3-631-31600-3 u. 3-631-31690-9.

Rezensent:

Josef Sudbrack

Gerade wegen ihrer radikalen Einseitigkeit ist diese Untersuchung des Bochumer Professors für Psychosomatik für Religionspsychologie und auch theologische Systematik wichtig. Engel will Praktiken und Erfahrungen der Meditation "objektivieren", von der Glaubensüberzeugung loslösen und in empirisch überprüfbare Daten bzw. produzierbare Prozesse überführen: "Die theoretischen Vorausssetzungen im Reich der Religion sind erheblich, oft steht zumindest am Anfang (des Meditierens) der Glaube, manchmal auch ein ganzes System von Glaubenssätzen (Dogmen) oder die Notwendigkeit, Institutionen anzuerkennen. Gerade damit versperren sie aber vielen Menschen einen ersten Zugang. In den Yoga-Systemen steht am Anfang die Übung, es folgt ein Erleben, und danach ist jedem freigestellt, die erlebten Phänomene in ein bestimmtes System einzuordnen" (I, 135; dt. 71). Meditation wird definiert als beziehungsloses In-sich-Ruhen des Subjekts, als "die Einheit, die Überwindung der Subjekt-Objekt-Spaltung" (I,12; dt. 12). "Der Primärprozeß, der tiefe Grund der Seele kennt keine Grenzen, keine Spaltungen, sondern in ihm herrscht Einheit" (II, 253; dt. 253).

Ein historischer Überblick geht dem in verschiedenen Kulturen nach; dabei genügen für das "Abendland" (= Christentum) biographische Hinweise aus zwei (schlecht konsultierten, vgl. zu Eckhart) Werken. Neu eingefügt ist der Überblick über "Eminent Figures of the Meditative Movement of the Present" (I, 65-1345) mit Personen wie Bhagwan Rajnesh-Osho und Sri Chinmoy und auch (als alleinige Vertreter für Zen!) zwei katholischen Patres, Enomsiya-Lassalle SJ und Joh. Kopp SAC. E. vergißt dabei, daß Lassalle in der kurz vor seinem Tode erschienenen Selbstbiographie die Notwendigkeit der Missionierung Japans betonte und daß Kopp in einem Rundfunkgespräch energisch unterstrich, daß erst in der freien Entscheidung die Zen-Erfahrung Gott berühre. Eine interessante Schematisierung der Yoga-Systeme nach H. U. Rieker läßt Körper-Seele-Geist und Wissen-Wollen-Handeln ineinandergreifen. Die buddhistische Erfahrung in sich wird kurz berührt, aber im "Zen-Buddhistischen Weg" breit dargestellt (nach den Patres!). Nach zwei modernen Ansätzen (E. Fromm, I. H. Schultz) unterscheidet die Schlußfolgerung (mit einigen Erlebnisberichten) anhand der Gipfelerfahrungen zwei Grundtypen der meditativen Einheitserfahrung: Samadhi (mit geschlossenen Augen, Yoga), "Einspitzigkeit", "single-pointedness" des Geistes, introvertiert, und Satori (mit offenen Augen, Zen) im Wachbewußtsein, "Cosmic Consiousness", extrovertiert (I, 205; dt. 153). Hinzu kommen einige Kleinigkeiten (Sexualität in christlichen Sekten I, 161), in denen beide Fassungen differieren.

Der 2. Band stellt die "empirische Meditationsforschung" vor, "die mit physiologischen Methoden wie Elektro-Encephalogramm oder Galvanischen Hauptwiderstand meditative Phänomene zu objektivieren sucht". Diese ",Theorie-unabhängige’ Meditationsforschung" (II, 11, dt. 169) faßt breite Forschungsarbeit auf verschiedensten Gebieten zusammen (was hier nicht resümiert werden kann). Das Ergebnis ist: Man kann die meditative Innenerfahrung (= hermeneutisch) mittels äußerer Meßdaten (= empirisch) integral (trotz einigen Verkürzungen) erfassen. E. zitiert die Feststellung Scharfetters, "daß an der Authentizität der ,mystikformen’ positiven Ich-Auflösung und Alleinheitserfahrung unter LSD nicht mit Fug gezweifelt werden darf", daß also die meditative/mystische Erfahrung mit den entsprechenden Drogenerfahrungen substantiell identisch ist. Das Englische ist hier genauer (II, 41 f.; dt. 199). Ein lesenswertes Kapitel (II, 7; dt. 6) entwirft aufgrund der Empirie "Theoretische Modelle der Meditation". Neu sind in der englischen Übersetzung (II, 103-175; dt. 268-277) die breite tabellarische Übersicht für weitere Forschungen.

Diese empirische Reduktion der Meditationserfahrung auf meßbare Daten soll "die Grundlage für eine empirische Theologie" darstellen; denn die Meditation kann "eigentlich als deren (d. h. der religiösen Systeme) Zentrum und Essenz betrachtet werden". "Die Theologie (wird) aus der Tradierung von Glaubenssätzen heraus in eine überprüfbare Wissenschaft überführt." "Diejenigen Phänomene, die früher als das Absolute usw. bezeichnet wurden, (können) der empirischen Erfahrung und Überprüfung" zugeführt werden, sind "überprüfbares Ergebnis experimentellen Vorgehens". "Die Meditationsforschung ermutigt uns, je weiter sie fortschreitet, desto mehr zu dem Satz: Gott lebt, gestern haben wir ihn erfahren" (II, 101; dt. 267f.).

Nach den Zitaten erübrigt sich wohl eine theologische Stellungnahme. Hinzuweisen ist auf den kaum anders als fahrlässig zu bezeichnenden Umgang mit der christlichen Tradition (auch mit dem Jesusgebet der Ostkirche). Wichtiger am empirischen Aufweis E.s ist, daß diese Weise der Meditation, die normalerweise als "ungegenständlich" bezeichnet wird, in sich betrachtet empirisch zu objektivieren und immer mehr zu operationalisieren, also mit unpersönlichen "technischen" Mitteln zu produzieren ist: "Zunehmend legen wir jedoch wie in einem Experiment, Ausgangsbedingungen, Durchführungsbedingungen und Ergebniskriterien fest (a. a. O.)". Die Erfahrung der "ungegenständlichen" Meditation läßt sich technisch (Biofeedback) oder biologisch (Drogen, vgl. Timothee Leary, Stanislav Grof) produzieren. Huxleys "Brave new World" mit der Soma-Droge droht. Die christliche und auch humane Konsequenz muß lauten: Wenn Meditieren nicht in technischer Inhumanität versinken soll, darf diese Art der Meditation nicht das Ganze ausmachen. Daß aber Meditation mehr und Tieferes beinhaltet, hätte E. von der christlichen Tradition und seinen beiden Zeugen zur Zen-Meditation lernen können.