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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1107–1109

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wessely, Christian, u. Gerhard Larcher [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ritus - Kult - Virtualität.

Verlag:

Regensburg: Pustet; Graz-Wien: Styria 2000. 202 S. gr. 8 plus CD-Rom = Theologie im kulturellen Dialog; 5. Geb. Euro 29,90. ISBN 3-7917-1693-X.

Rezensent:

Sabine Bobert

Theologische Medienarbeit geht auf Kosten der Substanz - dies war noch die Überzeugung von Theologen wie Eberhard Jüngel. Die katholischen Kollegen vom Grazer Institut für Fundamentaltheologie sind vom Gegenteil überzeugt: Gerade das Ignorieren der Medien führt auf Dauer zum theologischen Substanzverlust. "Gerade wenn die theologische Grundlagenforschung die Medien und vor allem ihre Implikationen außer Acht läßt, läuft sie Gefahr, der veränderten Sprech- und Hörsituation, aber auch der veränderten Seins-Situation nicht mehr gerecht zu werden und damit an Substanz zu verlieren." (10)

Der vorliegende Band bündelt Konferenzbeiträge zum Buchtitel-Thema. Bereits auf der Referenten-Ebene wurde der Dialog mit der zeitgenössischen Informationsphilosophie aufgenommen. Heftig diskutierte Vertreter wie Michael Heim ("The metaphysics of virtual reality", 1993; "Virtual Realism", 1998) und Stephen Talbott ("The future does not compute", 1995) waren zugegen.

Wichtige Anstöße bieten vor allem die Beiträge von Franz Böhmisch über "Digitale Genesis", von Elisabeth Kraus über "Virtualität und Religiosität in der Science Fiction", von Elisabeth List zu philosophiegeschichtlichen Hintergründen von cyberplatonism und von Beate Grossegger über den faktischen (statt von Erwachsenen fiktionalisierten) Umgang Jugendlicher mit Neuen Medien.

Teilhard de Chardins medienphilosophischer Revival: Franz Böhmisch leistet aus alttestamentlicher (und fundamentaltheologischer) Perspektive einen wichtigen Beitrag darin, dass er wichtige theologische Anknüpfungspunkte für den Dialog mit Medienphilosophien des Cyberspace herausstellt ("Digitale Genesis", 135-151). Hierzu zählt ein Wahrnehmen, wie die Theologie Teilhard de Chardins in säkularisierter Form medienphilosophisch Karriere gemacht hat. Eine zentrale Rolle spielt dabei Teilhards Begriff der "Noosphäre" (vgl. 138 f.). Medientheoretiker wie Marshall McLuhan und dessen Schüler Walter J. Ong, SJ, adaptierten dieses Konzept und legten damit den Grundstein für die Esoterik der Digitalszene. McLuhan spricht von einer "kosmische[n] Membran, die sich durch die elektrische Erweiterung unserer verschiedenen Sinne rund um den Globus gelegt hat. Diese Hinausstellung unserer Sinne schuf das, was Teilhard de Chardin die Noosphäre nennt: ein technisches Gehirn für die Welt." ("Die Gutenberg-Galaxis", zitiert bei Böhmisch, 138 f.).

Der entleiblichte Geist = Gott? Böhmisch und der Medienphilosoph Michael Heim profilieren für eine weitere theologische Diskussion den Begriff "Avatar" unter verschiedenen Aspekten. Avatare sind animierte Grafiken, mit deren Hilfe Surfer in kommunikativ-vernetzten 3-D-Umwelten in Echtzeit inkarnieren können. Die theologische Herausforderung ist bereits durch die Begriffswahl vorgegeben. Denn: "Im Hinduismus bezeichnet er das Gestaltwerden der Götter. Das Verb avatâra meint den Herabstieg eines Gottes, insbesondere von Wischnu in Gestalt des Krischna. Diese Bezeichnung für die Emanation des Gottes Wischnu, die auf Erden wandelt, stand Pate für die Benennung eines Stellvertreters des Menschen im Netz" (Böhmisch, 137). Theologisch bündeln sich bereits terminologisch im Begriff Avatar Anfragen aus der Gotteslehre und der Anthropologie: Ist der entleiblichte (und perfektionierte) Geist Gott?

Nötige Weiterarbeit: Das Buch lädt inhaltlich und formal zur Weiterarbeit ein. Schon die Beiträge haben recht unterschiedliche Form und Qualität - vom quellenbezogenen Grundsatzartikel bis zum kommentierten Thesenpapier oder Essay. Wegweisend wird am ehesten die theologische Spurenaufnahme und Verlinkung zwischen medienphilosophischem und theologischem Diskurs sein wie bei den Leitbegriffen von Teilhards/ McLuhans Noosphäre/Noosphere, Avatar und philosophiegeschichtlichen Grundlagen.

Dabei geht mir das Buch jedoch nicht weit genug. Denn es wird wie bei den ersten Dialogversuchen zwischen Humanwissenschaften und Theologie in der Evangelischen Theologie im 20. Jh. unterstellt, die Theologie sei die kritisch erhabene und die Medienphilosophie die degeneriert zu korrigierende Seite. Die riesige (neu-)platonistische und rationalistische Altlast, mit der sich die Theologie bis einschließlich des Deutschen Idealismus vollgesogen hat, und mit der sie zeitgenössisch immer noch stark liiert ist, wird dabei übersehen. Mit diesem Balken vor der eigenen Stirn wird die Chance zur Selbstkorrektur im Dialog vertan, und es bleibt die apologetische Tendenz zu monologisch-belehrenden Kommentaren.

Ein kurzschlüssiger Verweis bei exkarnatorischen Trends im Netz auf das christliche Dogma von der Inkarnation und die Wertschätzung des Leibes in 1Kor 15 wirkt angesichts theologisch fundamental gewordener Reflexionsdualismen von Geist vs. Fleisch und bevorzugter Definitionen des Menschen über die Ratio billig. Die Bemühungen der Feministischen Theologie um die Rehabilitierung der Leiblichkeit in der Theologie und die gesellschaftliche Kontextualisierung jeglichen reflektierenden "Geistes" sprechen hierbei Bände.

Eine Frucht bringende Diskussion wird erst mit einer Bereitschaft zur Infragestellung auch jahrhundertealter theologischer Reflexionsformen und mit einer medienphilosophisch kritisch inspirierten relecture der eigenen Quellen beginnen. Hierzu können medienphilosophische Infragestellungen alter Dualismen wie Subjekt/Objekt, Natur/Kultur, Materie/Geist, belebt/ unbelebt etc. entscheidende Anstöße geben (vgl. Donna Haraway, "Simians, Cyborgs and Women. The Reinvention of Na-ture").

Die Weiterarbeit mit dem Buch wird technisch durch eine CD-Rom erleichtert, die auf allen gängigen PC-Plattformen läuft. Sie enthält 5-10-minütige Videomitschnitte der Hauptreferate, den Volltext des Buches (in Form ungesicherter PDF-Files), englische Originaltexte sowie von der Buchgestalt abweichende Referattexte.