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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1105–1107

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Nicol, Martin

Titel/Untertitel:

Einander ins Bild setzen. Dramaturgische Homiletik.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002. 160 S. 8. Kart. Euro 23,90. ISBN 3-525-60289-8.

Rezensent:

Michael Meyer-Blanck

Eine durch die Homiletik in den USA inspirierte "Programmschrift" zur Erneuerung der homiletischen Aus- und Fortbildung in Deutschland legt der Erlanger Homiletiker vor, der in den letzten Jahren bereits mehrfach in Artikeln auf die amerikanische und frankophone Diskussion hingewiesen hatte. Ein Impuls, kein wissenschaftlich umfassend argumentierendes Werk will das kleine Buch sein; Ziel ist die konzertierte Aktion verschiedener Ausbildungsstätten in Sachen Predigt auch in Deutschland, hin zu einer künstlerischen, performativen, als "Ereignis" (so der theologische Schlüsselbegriff) verstandenen Predigt, die sich etwa an dem auch hierzulande bekannten Richard Lischer orientiert. Wie der Titel von Nicols Buch sagt, soll die so verstandene Predigt bildhaft sein und nicht begrifflich: "thinking in story" statt "thinking in ideas" (35) ist das Leitbild, musikalische, poetische, theatralische Künste sind die Bezüge: "Paradigma der Predigt ist nicht länger die akademische Vorlesung mit Thesen und Argumenten, sondern der Film mit seinen bewegten Bildern" (25). Die Predigt soll nicht Vorlesungen über Medikamente halten, sondern selbst Medikamente verabreichen, wird in Anlehnung an den Bostoner Prediger Phillips Brooks (1877) festgestellt (47).

Das Buch umfasst drei Kapitel: Nach dem programmatischen Abschnitt "Einander ins Bild setzen" (21-72) folgen Hinweise zur Gestaltung im Sinne einer dramaturgischen Homiletik (75- 133) und schließlich kurze Bemerkungen zur Predigtdidaktik (137-151), Literatur und Personenregister schließen sich an.

Theoretischer Fluchtpunkt ist die in der Rhetorik-Debatte innerhalb der Homiletik schon länger festgestellte besondere Bedeutung der Form der Predigt. Als der "homiletische Sündenfall" gilt N. die "Fiktion einer Trennung von Inhalt und Form" (26), denn es gibt keinen Inhalt an sich, der sich dann in eine bestimmte Form packen ließe (33). Entsprechend soll der homiletische Weg nicht "vom Text zur Predigt" führen, sondern es gilt im Ereignis der Predigt den Text zu entdecken (59). Eine wichtige Rolle spielt bei diesem Konzept die Liturgie als "Weg ins Geheimnis" (38-46), wobei jedoch nicht nur eine "religiöse", sondern auch eine "weltliche" und "politische" Predigt das Ziel ist (94-99). Besonders anregend sind die praktischen Vorschläge zum "Predigt machen", wobei in "Titel und Mittel" sowie schließlich in Szenen ("Moves & structure") vorgegangen werden soll (102-113), ferner die Hinweise zu dem in der Tat beeindruckenden amerikanischen Programm eines "Doctor of Ministry in Preaching", eine gemeinsame kirchliche wie akademische Anstrengung für die künstlerische Perfektion in Sachen Predigt, die von vielen Beteiligten viel Zeit (und auch Geld) erfordert.

Als grundlegende Zustimmung zum Impuls des Buches seien für die theoretische Weiterarbeit einige Anmerkungen und Rückfragen formuliert. Zunächst ist festzuhalten, dass die Form der Predigt allein so wenig überschätzt werden darf wie der Inhalt allein (das lehrt bereits die Erfahrung mit bisweilen zur mittelmäßigen Masche gewordenen erzählenden Predigten). So gibt es bekanntlich nicht nur schlechte Vorlesungen, sondern auch schlechte Filme, die einem mit billigen Effekten die Lebenszeit stehlen. Ebenso gibt es gute Vorlesungen, bei denen nicht gedruckte Information geboten wird, sondern die kommunikative Entwicklung eines Gedankens in der körperlichen Präsenz des Vortragenden. Semiotisch wie pneumatologisch möchte ich ferner hinter die These ein Fragezeichen setzen, dass nicht in Begriffen, sondern "nur in Bildern" von Gott geredet werden könne (68).

Hier sollte die Homiletik nicht einer analogen Engführung erliegen wie seinerzeit die Symboldidaktik, als verbürgten bestimmte Zeichengestalten (Symbole oder Metaphern) als solche und nicht vielmehr der Gebrauch der Zeichen das religiöse Verstehen. So gibt es m. E. auch einen metaphorischen Umgang mit Begriffen und einen langweilenden Umgang mit Metaphern (z. B. "sich ein Stück weit auf den Weg machen"). Auch das ungebrochene Plädoyer für die freie Rede auf der Kanzel (118 f.) sollte beim Vergleich mit dem Schauspieler nicht zu schnell sein und in Rechnung stellen, wie mühsam dieser einen langen, vielfach geformten und überarbeiteten und keineswegs alltagssprachlichen Text memoriert hat, bevor er frei vor das Publikum tritt. Mit peinlichen Extemporationen, die man manchmal als Predigt hören muss, hat das aber auch gar nichts gemeinsam!

Und schließlich eine vielleicht zu einfache Frage, die man aber gerade dann ernsthaft stellen wird, wenn man N.s Anliegen grundsätzlich gerne zustimmt: Ist das Performance-Modell aus dem "African American Preaching" direkt als Grundbild auf Deutschland übertragbar? So frage ich auf dem Hintergrund eigener Predigterfahrung in der Bürgerstadt Bonn, davor südlich von Bremerhaven und in den so verschiedenen, aber in gleicher Weise nüchternen Orten Loccum und Berlin. Wahrscheinlich muss man doch den Performance-Begriff etwas weiter fassen: Mindestens ist auch an das Ereigniswerden inneren religiösen Erlebens zu denken, das nicht notwendig an bestimmte, kulturell verwurzelte und darum nicht leicht übertragbare äußere Gestaltungen gebunden ist. Schließlich sind auch diejenigen Hörer nicht zu vergessen, bei denen sich religiöse Evidenz gerade (auch) über eine klare Diskursivität einstellt.

Die Fragen zeigen, welch fruchtbares Nachdenken die Begegnung mit der amerikanischen Homiletik bei uns auslösen kann. Martin Nicol ist darum gar nicht genug zu danken für die durch sein Buch eindringlich gestellte Frage: Warum lassen wir (bewusst gebrauchtes inklusives "Wir"!) uns in Deutschland die Predigt so wenig an wirklich attraktiven Fortbildungsprogrammen kosten?