Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1102–1105

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Meßner, Reinhard

Titel/Untertitel:

Einführung in die Liturgiewissenschaft.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 2001. 414 S. 8 = UTB für Wissenschaft, 2173. Kart. Euro 14,90. ISBN 3-506-99473-5 (Schöningh); 3-8252-2173-3 (UTB).

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Der Innsbrucker Liturgiewissenschaftler Reinhard Meßner legt hier eine Einführung in die Liturgiewissenschaft vor, die im Zusammenhang seiner Lehrtätigkeit an der katholisch-theologischen Fakultät entstanden ist. Der Titel des Buches könnte die Vermutung evozieren - zumal wenn man die anderen Werke M.s kennt -, dass es sich dabei um eine umfassende und zugleich ökumenisch orientierte Einführung in die Liturgiewissenschaft handelt. Doch das ist nicht der Fall, wie M. gleich zu Beginn seines Vorwortes darlegt. Er musste sich angesichts des gebotenen Buchumfangs - eine Einführung im Taschenbuchformat - auf wesentliche Gegenstände beschränken: Initiation (Taufe und Firmung) und Eucharistie bilden die Schwerpunkte, Tagzeitenliturgie und Osterfeier werden umfangreich, Trauung und Ordination dagegen knapp behandelt. Voraus geht eine kurze Abhandlung zur Frage, was denn Liturgiewissenschaft ist, mit einer anschließenden Einführung in die Quellen und grundlegende Literatur. Am Ende des Buches werden neben einem Register die ägyptische Basileios-Anaphora und 10 Schemata mitgegeben, die eine griffige Übersicht zur Struktur der biblischen Texte zur Taufe Jesu oder zu den Einsetzungsberichten, der Hochgebete oder verschiedener Tagzeitengebete bieten. Der Vf. musste sich auf die westlich-lateinische und römische Tradition beschränken - M. verweist wieder auf die Adressaten seiner Lehrtätigkeit: die Studierenden der katholischen Fakultät in Innsbruck -, was ihm nach eigenem Bekunden schwer gefallen ist (17), weil nach seiner Auffassung Liturgiewissenschaft "nur ökumenisch, unter Berücksichtigung aller kirchlichen Traditionsströme betrieben werden" (ebd.) kann. Dass M. dennoch durchaus die ökumenische Dimension der Liturgiewissenschaft im Blick hat, zeigt sich an zahlreichen und auch kritischen Anmerkungen zu liturgischen Entwicklungen.

M. legt zu Beginn dar, dass er - weil es keine allgemein anerkannte und konsensfähige Beschreibung oder gar eine Definition der Aufgaben seines Faches gibt - Liturgiewissenschaft als eine Quellenwissenschaft versteht, die von Quellen bzw. gottesdienstlichen Phänomenen ausgeht. Deshalb besteht ihre Vorgehensweise im Kommentieren von Quellen. So gesehen ist für M. Liturgiewissenschaft primär am Verstehen des christlichen Glaubens interessiert, so dass sie weniger eine praktisch-theologische als eine historisch-systematische Disziplin ist, die in der Mitgestaltung der Liturgiereform als einer ständigen Aufgabe der Kirche ihr Ziel findet. M. versucht nun, die praktisch-theologische Ausrichtung angesichts der Realität von Gottesdiensten in den Kirchen als eine kritische Funktion des Faches zu integrieren. So hat die Liturgiewissenschaft eine historische, systematische und kritische Dimension unter einem Thema: "den Glauben der Kirche oder die Kirche als glaubende." (26) Deshalb ist es nicht ihre Hauptaufgabe, an der Ausbildung einer gottesdienstlichen Handlungskompetenz zukünftiger Liturgen oder an der Erneuerung von Gottesdiensten mitzuwirken, sondern vielmehr den Glauben, wie er in Vergangenheit und Gegenwart gottesdienstliche Gestalt angenommen hat, theologisch zu reflektieren. Dieses Ergebnis, das aus der Verbindung von historischer und systematischer Perspektive gewonnen wurde, soll als Maßstab gegenüber gottesdienstlicher Praxis kritisch zur Geltung gebracht werden.

Die historische Liturgiewissenschaft rekonstruiert gottesdienstliche Wirklichkeit, z. B. vermittels liturgischer Texte, schriftlicher Formulare und Ordnungen, ritueller Handlungen, der Klanggestalt der Liturgie, des Kirchenraumes, die Frömmigkeits- und religiöse Mentalitätsgeschichte liefert im Kontext der Kirchengeschichte eminente Beiträge, so dass eine isolierte Ritengenetik das Ergebnis nicht allein sein kann. Die Geschichte zeigt also die Fülle von liturgischen Möglichkeiten wie auch ihre Pathologien auf, so dass es zu keiner unkritischen Bejahung der letzten und neuesten liturgischen Möglichkeiten kommen kann. Ist die historische Liturgiewissenschaft in dieser Weise Grund und Fundament der systematischen Liturgiewissenschaft, so kann sie in und unter den gottesdienstlichen Überlieferungen im Medium der Liturgie die eine Überlieferung des Evangeliums in den verschiedenen kulturellen und kirchlichen Kontexten erschließen. Denn mit der aktuellen Verlesung der Heiligen Schrift im Gottesdienst und mit dem Lobpreis und der Anbetung Gottes ereignet sich die rechte Beziehung zwischen Gott, Welt und Menschheit, das sich mit dem Gottesdienst ereignende Glaubensgeschehen ist unentbehrliche Quelle für die Theologie insgesamt.

Da M. Liturgiewissenschaft als Quellenwissenschaft versteht, bietet er konsequenterweise zu Beginn die schon genannte Einführung in die Quellenschriften, die bei den liturgischen Schriften der Alten Kirche einsetzt und bei den gegenwärtigen in Gebrauch befindlichen Messbüchern etc. aufhört. Die Heilige Schrift "bildet auch in der Liturgiewissenschaft die unerlässliche Basis und Norm jeden Liturgiekommentars." (32)

Das Kapitel über die Initiation beginnt - neben einer knappen Erklärung des Begriffs - mit einer Übersicht über die Bedeutung der Taufe und die Problematik heutiger Taufpraxis. M. erhebt die biblischen Quellen und macht sie zum Maßstab für seine vornehmlich historische Rekonstruktion der Taufpraxis. Dabei hebt er hervor, dass die altkirchliche Taufpraxis der Erwachsenentaufe die Eingliederung in die Kirche bzw. Gemeinde aus einem heidnischen Umfeld heraus bildete. Mit der Entwicklung im Mittelalter wurde sie zu einer Eingliederung in die Gesellschaft, die mit der Kirche fast deckungsgleich war. Das legitimierte die Kindertaufe, weil die getauften Kinder christlich aufwuchsen. In der zunehmend säkularisierten Gesellschaft wird diese Praxis fraglich, hinzu kommt eine verstärkt familiale Religiosität, die sich darüber hinaus mit der Initiation verbindet. So entwickelt sich die Kirche zunehmend zu einer religiösen Dienstleistungsgesellschaft, die gegen Kirchensteuern rituelle Handlungen verkauft. Auf diese Weise kann Kirche zwar noch lange bestehen, aber M. fragt kritisch an, ob diese Kirche noch Kirche Jesu Christi ist? Sollte auf diesem Hintergrund nicht viel mehr die Erwachseneninitiation wieder im Mittelpunkt stehen, so dass Taufe wieder mit Umkehr verbunden wird? Auch die Firmpraxis - die Firmung versteht M. als ein aus der ursprünglichen Taufpraxis herausgebrochenes Stück - ist zu hinterfragen, weil ihr die Teilnahme an der Eucharistie - Erstkommunion - vorausgeht. Da M. die dichteste Realisierung von Kirche in der Eucharistie sieht - wie er im folgenden Kapitel darlegt -, fragt sich, zu was denn die Firmung initiieren soll, da ja die Erstkommunion und damit die Teilnahme an der Eucharistie der Firmung vorausgeht. Erklären lässt sich diese Entwicklung nur dadurch, dass die höchste Form des Christseins im kirchlichen Amt angesehen wird und nicht in der Teilnahme an der Eucharistie.

Dem Kapitel Eucharistie wird eine eucharistische Ekklesiologie zu Grunde gelegt. Die biblischen Stellen des Abendmahls werden benannt und das urchristliche Herrenmahl wird als Christusanamnese beschrieben, dann die Messstruktur des Gottesdienstes in ihrer geschichtlichen Entwicklung, damit auch die Wortverkündigung sowie der Eröffnungs- und der Entlassungsteil des Gottesdienstes. Die Grundlegung für die Eucharistie ist fundamental für das Kirchenverständnis: Mit jeder eucharistischen Versammlung manifestiert sich Kirche als Ortskirche, die Gesamtkirche besteht nicht aus, sondern in den Ortskirchen. Ihre innere Struktur ist die einer Versammlung "gleichberechtigter Personen ohne innere Stufung im Christsein" (152). Das kirchliche Amt steht nicht über, sondern innerhalb dieser Struktur mit der Aufgabe, "die Ortskirche bei dem Mysterium Christi, anders gesagt: in der apostolischen Tradition und in Gemeinschaft mit den übrigen Ortskirchen zu halten." (ebd.)

Ähnlich argumentiert M. auch bei der Abhandlung der Tagzeitengebete. Er fragt nach für Glaubende angemessenen Formen des täglichen Gebets in der heutigen Zeit, in der es schwieriger wird, im christlichen Glauben zu leben. Die derzeitige Form des täglichen Gebets ist am monastischen Offizium orientiert, das kathedrale - gemeindliche - Offizium dagegen ist weitgehend verloren gegangen. Das tägliche Gebet ist also im Klosterleben und kaum noch im Gemeindeleben zu finden. M. verweist auf die jüdischen Wurzeln des Gebets und legt dar, dass das Gebet aus der Schriftlesung und ihrer Meditation entsteht. So kann auch heute noch neben der Pflege des monastischen Offiziums ein gemeindliches Tagzeitengebet, z. B. am Morgen und Abend, gepflegt werden, das die Elemente Hören auf die Heilige Schrift, Psalmen, Hymnen und Lieder sowie rituelle Handlungen (z. B. Luzernar, Prozession) beinhaltet.

Das Kapitel zur Osterfeier ist weitgehend historisch gefasst. Es setzt ein beim jüdischen Pesachfest, nimmt die neutestamentlichen Texte auf und geht auf die Gestalt der frühchristlichen Osterfeier ein, damit auch auf das Ostertriduum und die Heilige Woche, dann auf Himmelfahrt und Pfingsten. M. erörtert einige kritische Tendenzen der westlichen Osterfrömmigkeit, durch die es zum Doppeltriduum und zur Auflösung der Pentekoste kommen konnte. Dies führt er zurück auf die mittelalterliche und auch neuzeitliche Passionsfrömmigkeit, die sich auf die menschlichen Stationen des Lebens und Leidens Jesu konzentriert, die affektiv zur imitatio Christi in der eigenen christlichen Existenz angeeignet werden. Entsprechend gewinnen die Soteriologie und die Inkarnation an Bedeutung und der auferstandene und erhöhte Christus tritt in den Hintergrund. Damit gewinnt auch das Weihnachtsfest als Beginn des menschlichen Lebens Jesu an Bedeutung, so dass es in der westlichen Tradition faktisch zum Hauptfest im Kirchenjahr wird. Zum Abschluss des Kapitels würdigt M. die Bemühungen um die Wiederentdeckung des Osterfestes im 20. Jh.

Im folgenden Kapitel über die Ordination stellt M. heraus, dass es mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu einer nicht zu überschätzenden Kurskorrektur im Amtsverständnis gekommen ist: Das Amt wird nicht vom Priestertum, sondern vom Bischofsamt her verstanden, so wie es sich in der Alten Kirche herausgebildet hatte. Der Bischof leitete eine Ortskirche mit Presbytern und Diakonen, war damit einem heutigen Stadtpfarrer ähnlicher als dem Bischof einer Großdiözese. Im Mittelalter wurde die Ordination durch die Übergabe von Kelch und Patene vollzogen, weil der wichtigste Dienst des Priesters in der Darbringung des Messopfers für Lebende und Tote bestand. Doch mit dem Konzil ist wieder die biblische Grundlage für die Ordination durch Handauflegung und Gebet in den Mittelpunkt gerückt worden.

Im Kapitel zur Trauung stellt M. die Konsenserklärung der Brautleute als Rechtsakt und den Brautleutesegen als Segensakt heraus. Er kommentiert die Texte des gültigen Trauungsrituals, insbesondere die für den Gebets- und Segensakt. Dass die Ehe für die römisch-katholische Kirche ein Sakrament ist, erwähnt er nur am Rande.

Es ist den Studierenden der katholischen Fakultät in Innsbruck zu wünschen, dass sie sich auf Grund der Lehrtätigkeit von M. auch mit weiteren Themenbereichen der Liturgiewissenschaft befassen können. Und es ist zu wünschen, dass M. dazu einen weiteren Band in ebenso konzentrierter wie präziser Beschreibung mit Quellenangaben und umsichtigen Sekundärliteraturangaben für eine fortzusetzende Erarbeitung des gebotenen Stoffes veröffentlichen kann, so dass auch andere an der Liturgiewissenschaft interessierte Personen an der Diskussion um ein angemessenes Selbstverständnis des Faches und an der Würdigung und Bewertung des Materials teilnehmen können.