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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1088–1090

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hennecke, Susanne

Titel/Untertitel:

Der vergessene Schleier. Versuch eines theologischen Gesprächs zwischen Luce Irigaray und Karl Barth.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2001. XIX, 298 S. 8. Kart. Euro 39,95. ISBN 3-579-05319-1.

Rezensent:

Eberhard Busch

Susanne Hennecke wagt sich in ihrem Buch an ein Projekt, bei dem man von vornherein zweifeln möchte, ob das gelingen kann. Sie sucht die radikale, nicht-christliche, ja, wie sie sich selbst versteht: antichristliche Feministin Luce Irigaray und den von Feministinnen zuhauf als antifeministisch angeklagten Verfasser der "Kirchlichen Dogmatik" Karl Barth "ins Gespräch zu bringen", wie sie vielfach versichert, bzw. "sie aufeinander zu beziehen" (XVI.XVIII usf.).

Sie agiert dabei betont nicht als Richterin, sondern als Interpretin, die beide geduldig anhört - und die doch mehr sein will als das: eine Theologin, die gleichsam Barth als Vater und Irigaray als Mutter schätzt, die diese beiden leider Getrennten zu versöhnen sucht und die deshalb in freier Eigentätigkeit das von beiden Ererbte zu bedenken unternimmt. Das kann sie nur durchführen mit einem kräftigen Mut zur Überinterpretation, indem sie "weiterdenkt": nämlich Barth auf der Linie von Friedrich-Wilhelm Marquardt und Irigaray unter Hinterfragung der religiösen Tabus der Feministinnen. So ganz sicher scheint sich die Vfn. nicht zu sein, ob sie dabei nicht beide hinter sich lässt- fast auf jeder Seite steht, oft mehrfach, ein "m. E.". Gleichwohl ist sie überzeugt, dass der von ihr gezeigte Weg gegangen werden muss.

Wie kann das gelingen? Mit dem kryptischen Titel "Der vergessene Schleier" ist das gnadenlose Absehen vom weiblichen Subjekt gemeint und ist die Hoffnung auf einen zukünftigen Hochzeitsschleier bei der Paarung von Mann und Frau in gleichberechtigter sexueller Differenz anvisiert (15.72). Es wäre diesem Paar zu gönnen, dass ihm auch einmal eine Tochter geschenkt würde, was, soweit ich sehe, in dem Buch nicht vorkommt; wie auch das nicht gesehen wird, dass die Mütter doch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Erziehung ihrer Kinder haben.

Aber wie dem auch sei, die Vfn. wiederholt in immer neuen Variationen Irigarays Ablehnung des christlichen Glaubensbekenntnisses wegen dessen "Phallozentrismus". Denn das Credo schließe in seinem 1. Artikel durch den Glauben an Gott den Vater das "Mütterlich-Weibliche" aus und verhülle, dass doch nicht ein Vater Gott ist, sondern "die Frau als Mutter ... das Leben ermöglicht hat." In seinem 2. Artikel sage es, dass Gott, weil in einem Sohn, nur "für den männlichen Teil der Menschheit" gekommen sei und dessen Opfer "das Opfer der Frau völlig in Vergessenheit" gesetzt habe (16). Kurz, so erweist sich das Reich Christi "für Frauen als Reich des Todes" (16). Ein männlicher Erlöser kann Frauen nicht nur nicht erlösen, er behindert deren Erlösung (35). Symbol dafür ist die blutflüssige Frau in Lk 8 (45.66.145 usw.), die anscheinend heute immer noch weiterleidet, unter Absehen davon, dass Jesus sie doch geheilt hat. Denn der (Männer?-)"Glaube an diesen Herrn erweist sich ... als Götzendienst" (48). Da der Ursprung des "christlich-ernsthaften Glaubens ... ein Muttermord" ist (70 f.), erhebt Irigaray "die Forderung nach einer weiblichen Offenbarung als Grundlage der Ermöglichung einer wahrhaftigen gläubigen weiblichen Existenz" (74). Es geht um eine Offenbarung, in der die gekreuzt stehenden Lippenpaare der Frau (24.45) oder denn die ihr Herz unter Blütenblättern verbergende Rose (58.189) eine wichtige Rolle spielen müssen - und vor allem, statt Christus, ein Haufen von geschlechtslosen Engeln.

Aber was hat das nun mit Karl Barth zu tun? - das vor allem ist die Frage der Vfn. "Auf den ersten Blick", so hören wir erstaunt, treffen wir da auf "entgegengesetzte Standpunkte" (48). Aber bei näherem Hinsehen, so ist die Vfn. überzeugt, finden wir erhebliche Kompatibilitäten zwischen den beiden. Wie denn? Etwa in Barths Lehre von Mann und Frau? O nein, deren Lektüre bricht sie, wie unter Feministinnen sonst üblich, nach wenigen Seiten als hoffnungslos ab, so dass sie nicht, so wenig wie jene anderen, zu der den ganzen Gedankengang beleuchtenden Stelle vorstößt, an der Barth vom "Primat der Frauen" gegenüber den Männern spricht (Kirchl. Dogm. III/4, 195). Die Nähe zwischen den beiden liegt in der Sicht der Vfn. an einem anderen und tiefer reichenden Punkt: in einer strukturellen "Übereinstimmung" des Denkens durch die Vorstellung von einer großen Wende von einem alten, vergehenden und einem neuen, kommenden Äon - auch wenn beide sich darin unterscheiden, dass es "bei Barth ... Jesus Christus, bei Irigaray ein zukünftiges Weibliches" (65 f.), bzw. "ein Gesetz" (182) ist, an dem sich dieses Grundlegende festmacht. Die Vfn. bemerkt, "ich selbst schätze zwar Barths gesamtbiblischen Ansatz", schließt sich aber auch "dem Irigarayschen Angriff ... gern an" (181). Nun, die Pointe des ganzen Gedankenspiels ist offenbar der derart angestrebte Nachweis, dass Irigarays Feminismus nicht als "Alternative zur Christologie" aufzufassen sei, sondern als "alternative Christologie" (66).

Diese Pointe überrascht, nachdem ja in den Ausführungen der Vfn. es mit Händen zu greifen ist, dass Frau Irigaray entschieden das Erstere verficht. Die letztere Lesart ist wohl Frau Henneckes Wunschvorstellung. Es gibt zwei Möglichkeiten, mit dieser ihrer Vorstellung umzugehen. Entweder - und das wäre die unerfreuliche Variante - sollte damit gesagt werden: Die genannten beiden Konzeptionen meinen es irgendwie, ja, irgendwie gleich, und es ist dabei relativ gleich-gültig, ob man dasselbe mit Christus oder ohne Christus sagt. Diese These würde nicht nur jenen beiden nicht gerecht werden; sie würde vor allem das Christusbekenntnis der Kirche aufs Spiel setzen und preisgeben. Oder - und das wäre die erhellende Variante - die Vfn. will einen Weg zeigen, wie die Konzeption der Nichtchristin in der Christenheit und also unter der Voraussetzung des Glaubens an den in Jesus Christus ein für allemal offenbaren Gott ernst genommen werden darf und soll. Sie darf und soll es in der Entdeckung, dass die - nicht immer, aber oft - in der Kirche übersehene, übergangene oder missachtete Frau in Christus schon beachtet, schon geachtet, schon geliebt ist. Von da aus und darum kommt in der Kirche der Frau ihre eigene, aber ebenbürtige Rolle im Verhältnis zum Mann zu. Beabsichtigt oder nicht, es ist ein Verdienst der Arbeit, vor dieses Entweder-Oder zu stellen.