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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1075 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Hart, John W.

Titel/Untertitel:

Karl Barth vs. Emil Brunner. The Formation and Dissolution of a Theological Alliance, 1916-1936.

Verlag:

New York-Washington-Baltimore-Bern-Frankfurt a. M.-Berlin-Brussels-Vienna-Oxford: Lang 2001. IX, 262 S. gr.8 = Issues in Systematic Theology, 6. Geb. Euro 65,30. ISBN 0-8204-4505-3.

Rezensent:

Eberhard Busch

Angesichts des "vs." (= versus) schon im Titel der Arbeit fragt man sich, ob die komplizierte Beziehung der beiden bekannten Schweizer Theologen im 20. Jh. wirklich auf einen bloßen Schlagabtausch reduziert werden soll. Der wird nun in einer wohlgeordneten Darstellung von sechs Phasen in der Zeit zwischen 1916-1936 vom Vf. vorgeführt. Wohlgeordnet! - das ist besonders hervorzuheben. Der Vf. trägt jeweils für einen kürzeren Zeitraum vor, was die beiden Theologen da im Unterschied zum anderen theologisch beschäftigte und was sie demgemäß gegeneinander vortrugen. Die Übersichtlichkeit wird perfekt, indem er jeden Abschnitt mit einem Summary und das letzte Kapitel mit einer Konklusion abschließt.

Höhepunkt ist dabei selbstverständlich der Streit um die natürliche Theologie im Jahr 1934 (149-167). Den zeitlich schon teilweise parallel laufenden Streit um das Verhältnis zur Oxford-Gruppenbewegung stellt der Vf. vor unter dem Titel: "The End of Relationship" (177-200). Aber es ist ein Verdienst der Arbeit, dass sie den Beginn der Auseinandersetzung zwischen den beiden Theologen wesentlich früher ansetzt: "The Battle Lines are Drawn" (119), bevor es zur "Schlacht" kommt. Und so führt der Vf. vor, wie die beiden sich verschieden mit der theologischen Vorzeit, namentlich mit Schleiermacher, beschäftigten, wie verschieden sie ihre theologische Lehraufgabe verstanden ("Dogmatic vs. Philosophical Theology", 65) und wie die Dissonanz durch Brunners Auffassung über eine Eristik und zur Ethik neuen Stoff bekam.

Der Vf. vertritt in seinen Darbietungen insbesondere zwei Thesen und kündigt sie gleich zu Anfang seines Buchs selbst an als "important contributions to Barth studies" (2). Die erste These lautet, dass die beiden wenigstens in dem untersuchten Zeitraum, bei allen Gedankenfortschritten sich theologisch nicht gewandelt haben. "The issues which divided Barth and Brunner remained constant throughout their twenty year relationship". Die zweite These: Barths Verwerfung der natürlichen Theologie sei nicht politisch begründet gewesen (gegen F.-W. Marquardt), sondern nur rein theologisch - was damit begründet wird, dass Barth diese Verwerfung schon vor Auftreten der Nazis formuliert habe.

Das alles ist vorgetragen mit dem ehrlichen Willen, beiden Theologen gerecht zu werden. Den Vf. sehe ich dabei über ihnen stehen - nicht eigentlich als ein Schiedsrichter, sondern als einer, der den beiden je für einige Minuten das Wort erteilt und ihnen in dieser Zeit zuhört, bevor er dann dem anderen sein Ohr gönnt. Als einer, der wie der Verfasser dieser Zeilen, jene beiden noch als Zeitgenossen erlebt hat, ist man erstaunt, wie man sich gerade mit ihnen derart als ein jenseits der verhandelten Fragen stehender Unparteiischer aufführen und aus dem theologischen Grundsatzstreit nahezu ganz heraushalten kann. Nun ja, es ist nun einmal die wesentliche These des Buchs, die es detailliert darlegt: "that Barth and Brunner represent fundamentally different ways of doing theology" - und das, wie der Vf. sagt, verwunderlicherweise so, obwohl es schwierig sein würde, je noch einmal zwei andere Theologen zu nennen, die sich derart nahestanden (218).

Aber inwiefern doch fundamental verschieden? Für Barth ist Offenbarung "defined exclusively through the second article", für Brunner ist sie "determined by the second article, but it presupposes the first article". Für Barth ist die Dialektik "radical", für Brunner ist sie hingegen "critical". Für Barth bedeutet sie "actualism", für Brunner "there is a real givenness". Und hier gibt der Worterteilende auch einmal eine gewisse Kritik zu erkennen, nach beiden Seiten: Barth stand so in der Gefahr des "monism" und Brunner in der des "dualism" (209). Aber nein, ganz, ganz zuletzt gibt der Vf. doch seine Neutralität auf und erklärt, nun eigentlich völlig überraschend: dass das Barth von Brunner Trennende ihn trenne "from every theologian", und zwar in der gesamten Theologiegeschichte. Warum? Wegen der Radikalität ihrer Christozentrik, wegen ihres Aktualismus und wegen der reformatorischen "solas", gemeint ist natürlich: sola gratia, sola fide (219).

Das überrascht in der Tat. Denn zuvor war die Theologie Barths im Ganzen noch und noch festgelegt worden auf seine frühe Formel "Gott ist Gott". Und das so sehr, dass der Vf. übersieht, dass für Barth z. B. die Theologie keine Alternative zur Anthropologie war (214 f.) und die Christologie keine Alternative zur Schöpfungslehre, aber auch das sola gratia keine zur Wahrnehmung menschlicher Verantwortung. Man wird, wie ich glaube, den Unterschied zwischen Barth und Brunner überhaupt nicht sehen, wenn man solche Gegensätze auftut. Und nun wäre es doch gut gewesen, wenn der Vf. die Beschäftigung mit dem Verhältnis der beiden Theologen nicht 1936 abgebrochen hätte. Es hätte in diesem Zusammenhang dann die leidenschaftliche Debatte 1941 zwischen Barth und Brunner über das Verständnis Israels behandelt werden müssen, wo Brunner in schrecklicher "Radikalität" für die Verworfenheit der nicht-christusgläubigen Juden focht. Und es wäre ebenso nötig gewesen, den Streit über die christlich angemessene Stellungnahme zur politischen Frage des Kommunismus im Jahre 1948 zu besprechen: "Theologische Existenz heute". Das hätte nicht zuletzt auch den Nutzen gehabt zu sehen, dass die Theologie Barths oder sagen wir besser: der in ihr bedachte Gott nicht dem Leben der Menschen so abgewandt ist, wie mit jener zum Überdruss und nicht gerade verständnisvoll zitierten Formel "Gott ist Gott" suggeriert wird.