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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1070 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Außermair, Josef [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Hans Asmussen im Kontext heutiger ökumenischer Theologie.

Verlag:

Münster-Hamburg-Berlin-London: LIT 2001. 158 S. gr.8 = Studien zur systematischen Theologie und Ethik, 24. Kart. Euro 20,90. ISBN 3-8258-4852-3.

Rezensent:

Folkert Rickers

Es steht außer Frage, dass es lohnenswert ist, sich zur Wiederkehr seines 100. Geburtstages eines Mannes zu erinnern, der in der Zeit des Dritten Reiches in der Bekennenden Kirche und in den ersten Nachkriegsjahren des kirchlichen Neubaus eine so bedeutsame kirchenpolitische Rolle gespielt hat. Aber dass dieses Datum mit dem Stichwort "Ökumene" verbunden wird, überrascht. Denn bisher ist Asmussen unter dem Gesichtspunkt ökumenischer Bedeutsamkeit nicht rezipiert worden; und auch nach der Lektüre des Buches gibt es dazu keinen wirklichen Anlass, jedenfalls nicht in einem unmittelbaren Sinn. Gewiss, Asmussen hat sich in Barmen 1934 und in der Zeit des Kirchenkampfes um die Annäherung von Lutheranern und Reformierten bemüht und an der "konfessionellen Zersplitterung der [evangelischen] Kirche" gelitten, wie Enno Konukiewitz, orientiert an seinem Buch von 1984, in einem lesenswerten biographischen Abriss über Asmussen dargestellt hat (16-45). Und ebenso gewiss gibt es bei ihm auch Ansatzpunkte zum Gespräch mit der katholischen Seite. Aber solche Bezüge bleiben allgemein; Asmussen war kein erklärter Ökumeniker, weder in Wort noch in kirchenpolitischem Handeln. Gleichwohl mag mittelbar einiges dafür sprechen, der von Asmussen "gefühlten Verpflichtung zur Nähe von katholischer und evangelischer Kirche ohne Identitätsverlust" (Einführung; 14) nachzugehen, wie dies insbesondere die Beiträge von Außenmair und Lenk aus katholischer Sicht versuchen.

Ohne Bezug zur ökumenischen Thematik ist der Beitrag von Gerhard Besier über das komplizierte Verhältnis zwischen den drei wohl bekanntesten Vertretern der Bekennenden Kirche Asmussen, Barth und Niemöller (46-78). Zwischen Barth und dem erklärten Lutheraner Asmussen habe es erhebliche Differenzen gegeben, zunächst theologische, dann aber auch theologisch-politische, die schließlich zum Bruch geführt hätten. Während Barth im ersten Gebot "eine implizite politische Absage an den Nationalsozialismus" (49) gesehen habe, habe Asmussen die Ausweitung der theologischen Argumentation in den politischen Raum hinein geradezu als "Verrat" (47) an Barmen und Dahlem gesehen. Den bekannten Brief Barths an Hromádka aus dem Jahre 1938 habe er mit anderen aus der BK als "schwere Entgleisungen" bewertet (68). So wenig wie andere habe Asmussen die nationalsozialistische Obrigkeit nach Röm 13 antasten lassen wollen (70). Ein "Widerstandsrecht" habe er schon gar nicht anerkennen können. Stattdessen habe er den Weg nach "innen" gesucht, habe Gottesdienst und Abendmahlssakrament "zur Mitte der Bekenntnistheologie" machen wollen (72). Mit Niemöller habe sich Asmussen erst nach 1946 endgültig überworfen (74). Dabei habe vor allem eine Rolle gespielt, wer bei Auftritten in Amerika auf ökumenischer Ebene als Repräsentant der BK habe gelten können. Asmussen habe nicht entfernt die Resonanz hervorrufen können wie Niemöller.

Die weiteren Beiträge des Bandes sind systematisch-theologischen Themen mit ökumenischem Bezug gewidmet. Josef Außenmaier ist um den Kirchenbegriff von Asmussen bemüht (79-96). Aufruhend auf der "Denkform einer ontologischen Theologie" (80) sowie einem Kirchenverständnis im Sinne "einer seinshaft-sakramentalen Anteilnahme an Christus im Heiligen Geist" ("Mysterium") komme bei Asmussen "eine Dreidimensionalität der Kirche" (82-83) zum Tragen. Zum einen habe er betonen wollen, dass Kirche nicht erst 1517 begonnen habe ("geschichtliche Dimension"). Zum anderen habe er auf die Konfessionen als Gesamtrepräsentanz von Kirche verwiesen ("Breitendimension"). Zum dritten habe er nachdrücklich ins Bewusstsein heben wollen, dass Kirche sich konstituiere in der "Zusammenfassung der unzähligen Zeugen der Jahrhunderte" ("Höhendimension"). Weiter nimmt der Autor das Abendmahls- und Amtsverständnis von Asmussen in den Blick und sieht in ihm Anschlussmöglichkeiten für das ökumenische Gespräch. Selbst dem Petrusamt gegenüber habe er sich aufgeschlossen gezeigt, sich dabei ebenso gegen die "katholische Selbstsicherheit" wendend wie gegen die "vorschnelle Ablehnung" evangelischerseits (95).

Aus dem Kontext der finnischen Lutherforschung macht Juha Pihkala den Versuch, Asmussens ökumenische Bedeutung zu ermitteln (97-109). Dabei konzentriert er sich auf den Gedanken der "realen Anwesenheit des Heilands und seines Erlösungswerks" (99), in dem er einen wesentlichen Aspekt der Theologie Asmussens meint, erkennen zu können. Der Glaube selbst sei bei ihm stark realpräsentisch geprägt, und zwar sowohl im Hinblick auf das Sakraments- wie auf das Wortverständnis. "So wie Gott real in Christus anwesend ist, obwohl er ein wahrer Mensch war, so kann auch Christus in jedem Glaubenden real anwesend sein" - resümiert der Autor (vgl. auch Außenmair, 85-86), damit auf die relativ große Nähe von Asmussen und der finnischen Lutherforschung verweisend. Auch er sieht hier Anschlussmöglichkeiten für den ökumenischen Dialog.

Dem historischen Sachverhalt begrifflich am nächsten kommt sicher der praktische Theologe Georg Zenk, wenn er wohltuend zurückhaltend auf "ökumenische Impulse" im theologischen Denken von Asmussen verweist (110-136). Der Autor geht dabei den "katholisierenden Neigungen" (Konukiewitz, 35) nach, die bei Asmussen schon in den 30er Jahren, besonders aber in der Zeit nach 1945 zu beobachten seien. "Ökumenische Impulse" sieht der Autor - ähnlich wie schon Außermair - in der Rechtfertigungslehre, im Kirchen-, Sakraments- und Amtsverständnis, aber auch in bestimmten Frömmigkeitsformen. Zunächst, d. h. ab 1933, habe Asmussen eine entschieden lutherisch-theologische Position eingenommen, dann aber immer stärker Elemente aufgenommen, die der katholischen Position nahe kommen, ohne den Boden des Luthertums damit grundsätzlich verlassen zu haben: "Asmussen fordert als Selbstkorrektur der Kirche das volle Ernstnehmen der menschlichen geistig-leiblichen Ganzheit, eine grundsätzliche Anthropologie der kirchlichen Vollzüge" (117). Das komme etwa darin zum Ausdruck, dass er den konsekrierten Elementen beim Abendmahl wegen der realen Gegenwart Christi mehr Bedeutung zumesse, als dass sie lediglich Stoffe sind (119). Analog gelte das auch für die Handauflegung bei der Ordination (122), für die Geste des Bekreuzigens, der er besondere Beachtung schenke (130) oder für Heiligenfeste, über die er mit sich reden lassen wolle (132). Auch in der Marienverehrung zeige er sich gleichsam katholisch offen (133-136).

Asmussens "katholisierende Neigungen", besonders auch in liturgischer Hinsicht, waren schon den Zeitgenossen aufgefallen (35). Sie standen im Zusammenhang einer Theologie, die in spiritueller Weise am Heil des Einzelnen orientiert war, einen wie auch immer gearteten "Weltauftrag des Christen" aber strikt ablehnte (130-131). Nur mittelbar wird man in einem solchen theologischen Entwurf heute den Ansatz für eine ökumenische Verständigung erkennen können.