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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1060–1062

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Crystall, Andreas

Titel/Untertitel:

Gustav Frenssen. Sein Weg vom Kulturprotestantismus zum Nationalsozialismus.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus 2002. 519 S. gr.8 = Religiöse Kulturen der Moderne, 10. Geb. Euro 69,00. ISBN 3-579-02609-7.

Rezensent:

Michael Basse

Gustav Frenssen (1863-1945) war einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit, dessen Verknüpfung religiöser und weltanschaulicher Vorstellungen sowohl in ihrer Entstehungs- als auch ihrer Wirkungsgeschichte von großem kirchengeschichtlichen Interesse ist. Die vorliegende Arbeit, eine Dissertation an der Kieler Theologischen Fakultät, liefert eine umfassende und sehr lesenswerte Biographie Frenssens, die dessen Entwicklung vom Kulturprotestantismus zum Nationalsozialismus erhellt.

In einem ersten Abschnitt wird zunächst der Werdegang "vom evangelischen Pastor zum völkisch-religiösen Schriftsteller" bis 1906 nachgezeichnet (37-268). Hier ist es vor allem die Prägung durch die liberale Theologie der "Christlichen Welt", mit der es Frenssen gelingt, seine Orientierungslosigkeit und "Predigtnot" (64) zu Beginn seiner Tätigkeit als Pfarrer in einem von allgemeinen Entkirchlichungstendenzen bestimmten Umfeld zu überwinden. Einen besonderen Akzent in seiner eklektischen Rezeption einer ethisch reduzierten Reich-Gottes-Theologie bildete die Anknüpfung an die zeitgenössischen "Germanisierungstendenzen" (83). Mit dem Roman "Die drei Getreuen" vollzog Frenssen 1898 eine "massive Ideologisierung des Heimatbegriffs" (112). 1899 bis 1902 erschien die dreibändige Sammlung von "Dorfpredigten", die ein unerwarteter literarischer Erfolg wurden und auch in der praktisch-theologischen Wissenschaft Anerkennung fanden, zumal sie für das homiletische Reformprogramm dieser Zeit zum Musterbeispiel moderner Predigt wurden, die in Wirklichkeit einer "antimodernistischen Grundstimmung" (150) Rechnung trug. Zielte Frenssen mit seiner Predigtsammlung in erster Linie auf die kirchlichen Außenseiter im ländlichen Milieu ab, so dienten dem eine "unkonventionelle Predigtsprache" (130) und eine soteriologisch reduzierte "Leben-Jesu-Theologie", die in Jesus vor allem den "Begründer sozialer Fürsorge" (131) sah und daraus die allgemeine Forderung tatkräftiger, mehr noch heldenhafter Weltgestaltung im nationalsozialen Geiste Naumanns und im Dienste des Kulturfortschritts ableitete.

Mit dem Roman "Jörn Uhl" landete Frenssen 1901 einen Bestseller, der es ihm finanziell ermöglichte, das Pfarramt niederzulegen. Die Grundidee dieses "religiösen Entwicklungsroman[s]" (161) besteht darin, persönliche und gesellschaftliche Probleme mit Hilfe einer "unkirchliche[n] Religiosität" (168) zu überwinden. Setzte Frenssen damit die Linie kulturprotestantischen Denkens fort, so wandte er sich zwischen 1903 und 1906 immer mehr vom Christentum ab und einer völkischen Religion zu. Richtungsweisend wurde sein Roman "Hilligenlei", mit dem Frenssen 1905 den Höhepunkt seiner öffentlichen Wirksamkeit erreichte. In dessen Zentrum steht eine "Popularisierung moderner Leben-Jesu-Theologie" (203), in der allein die Menschlichkeit Jesu betont und seine Lebensgeschichte psychologisierend entfaltet wird, um davon wiederum die Kirchengeschichte als Überfremdung abzuheben und - mit Ausnahme der "germanische[n] Großtat Luthers" (221) - zu verwerfen. Kultur- wie auch kirchengeschichtliche Bedeutung erlangte Frenssens Roman "Hilligenlei" dadurch, dass er "die Frage nach dem historischen Jesus erst in die deutschen Zeitungen [brachte]" und damit "zur Theologisierung der öffentlichen Diskussion bei[trug]" (231). Interessant sind auch die vielfältigen Reaktionen, die vom Vf. eingehend analysiert werden. Insbesondere die kritischen Stellungnahmen von den Vertretern der liberalen Theologie an dem Jesusbild des Romans sowie bestimmten Passagen, deren Ehe- und Sexualmoral als libertinistisch empfunden wurden, haben Frenssen dazu veranlasst, sich von der liberalen Theologie abzukehren und seine Anschauungen zu radikalisieren.

In einem zweiten Abschnitt wird die Zeit von 1906 bis 1933 betrachtet (269-415). Sind die Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges als "Frenssens religiöse Ruhejahre" (268) zu betrachten, so weist die Propagandaschrift "Ein Brief" aus dem Kriegsjahr 1916 bereits eine große Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut auf. Frenssens Wirken in den Anfangsjahren der Weimarer Republik ist dann aber doch bemerkenswert. Zwar dominierte weiterhin ein völkisch-religiöses Denken, aber Frenssen zollte auch dem Zeitgeist Tribut. Wenn der Vf. hier allerdings Frenssen eine "demokratische Mäßigung" (303) und eine "einschneidende Perspektivenkorrektur" (326) attestieren will, so werden dabei die diffizilen politischen und soziokulturellen Verhältnisse dieser Zeit nicht genügend berücksichtigt und wird zugleich Frenssens Opportunismus zu wenig Gewicht beigemessen. Hier gar von "demokratischen Werken" (442) zu sprechen, lässt sich nicht einmal durch die Abgrenzung zu Frenssens Weltanschauungsschriften nach 1933 rechtfertigen. Wollte Frenssen sich "als Demokrat erkennbar machen" (316), so war es nur insoweit ein "Bekenntnis zur neuen politischen Ordnung" (ebd.), als diese in autoritäre Strukturen überführt und damit letztlich aufgelöst werden sollte. Und auch das Bekenntnis zu einem Humanismus, der sich auf Goethe berief, sowie die "ins Internationale geweitete religiöse Botschaft" (326) erweisen sich bei näherer Betrachtung als Hülsen, die mit ganz anderen Inhalten wie dem der Rassenzucht und der Vision von Deutschlands "zukünftige[r] Führungsrolle in Europa" (327) gefüllt waren. Frenssens Berichten von seiner Amerikareise im Jahr 1922 ist zwar eine "beachtliche Wahrnehmungsweite" (339) nicht abzusprechen, jedoch müssen sie sowohl im Blick auf die deutschamerikanischen Initiatoren dieser Reise gelesen werden als auch im Rahmen der Bilder und Vorstellungen von Amerika, die in der deutschen Öffentlichkeit der 1920er Jahre existierten und mit denen auch außenpolitische sowie wirtschaftliche Interessen verbunden waren. Schließlich sollte auch die Bedeutung, die dem Christentum in Frenssens kleineren, milieugeschichtlich interessanten Arbeiten aus den späten Weimarer Jahren beigemessen wird, nicht überschätzt werden, zumal auch hier bestimmte Prestige- und Existenzfragen eine Rolle gespielt haben. So ist dem Vf. zwar darin zuzustimmen, dass die Jahre bis 1933 nicht einfach als Wegbereitung der nationalsozialistischen Phase in Frenssens Lebens- und Werkgeschichte zu verstehen sind, aber gerade weil hier - wie in dieser Umbruchzeit überhaupt - vieles äußerst "disparat" (379) war, müssen die persönliche Orientierungssuche wie auch nüchternes Kalkül stärker in Betracht gezogen werden.

Im Schlussteil wird "Frenssens Werdegang und Wirken im Dritten Reich" dargestellt (417-495). Es waren vor allem seine "Bauernromantik" (422) und sein religiös-geschichtstheologisches Denken, worin sich eine weitgehende Affinität zur nationalsozialistischen Ideologie zeigte. Frenssen ließ sich auch deshalb propagandistisch vereinnahmen, weil ihm die erneute öffentliche Wertschätzung gut tat und ihn von Existenzängsten befreite. Zu den Deutschen Christen gab es keine Verbindung, wohl aber seit 1935 zur "Deutschen Glaubensbewegung", auch wenn Frenssen niemals deren Mitglied wurde. Sein eigenes "Glaubensbekenntnis" (449) hat Frenssen dann 1936 mit seinem Werk "Der Glaube der Nordmark" vorgelegt, in dem "antichristliche Polemik" (452) mit der Stilisierung der eigenen Biographie einherging. Mit seinen diffusen religiösen und rassen- ideologischen Ansichten gelangte Frenssen ein letztes Mal zu Ansehen, bis er wenige Tage vor dem Ende Hitlers, der von ihm zur Heilsgestalt verklärt wurde, starb und auf dem "Wodansberg" bei Windbergen beigesetzt wurde.