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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1058–1060

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Kirstein, Klaus-Peter

Titel/Untertitel:

Die lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Von der Eroberung der Heiligen Stadt durch die Kreuzfahrer 1099 bis zum Ende der Kreuzfahrerstaaten 1291.

Verlag:

Berlin: Duncker & Humblot 2002. 683 S. m. 1 Abb. gr.8 = Berliner Historische Studien, 35. Ordensstudien XVI. Kart. Euro 88,00. ISBN 3-428-09964-8.

Rezensent:

Friedhelm Winkelmann

Wie schon die in ThLZ 127 (2002), 524 ff. besprochene Studie von Johannes Pahlitzsch über "Graeci und Suriani im Palästina der Kreuzfahrerzeit" ist auch die vorliegende Dissertation im Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin entstanden. Beide Bücher behandeln unter unterschiedlichem Blickwinkel mit der Konzentration auf Palästina ein zentrales Thema der Kirchengeschichte der Kreuzfahrerzeit, ergänzen sich und vertiefen unser Wissen über die gegensätzlichen kirchenpolitischen Ziele der von den Kreuzzügen tangierten Institutionen und Kräfte und über die schwerwiegenden Folgen für die weiteren Beziehungen zwischen der lateinischen, den orthodoxen und den vorchalkedonischen Kirchen.

Während Pahlitzsch aus orientalischen und griechischen Handschriften neues Material erschließen konnte, durchforstet Kirstein im Wesentlichen die Fülle der bekannten Quellen und die fast erdrückende Masse der Forschungsliteratur (deren Verzeichnis umfasst die S. 522-662). Leider ist seine Bewertung der für dieses Thema heranzuziehenden Quellen nur sehr allgemein und viel zu knapp geraten (44-50). Der Bezug auf seine spezielle Fragestellung wird nicht genügend herausgearbeitet. Vor allem über die Ergiebigkeit der Urkunden, der Rechtsquellen und ganz besonders der sphragistischen, numismatischen und archäologischen Quellen hätte man gern genauere Informationen erhalten. Und da der Vf. auf ein Register der verwerteten Quellen verzichtet hat, lässt es sich nur mühsam überprüfen, ob überhaupt und wie viele neue Aspekte die Sachreste erschließen.

Die Quellen- und Forschungslage lässt zurzeit keine umfassende und in befriedigender Weise abgesicherte Darstellung einer Geschichte des lateinischen Patriarchats von Jerusalem im Rahmen aller unterschiedlichen kirchlichen Denominationen und staatlichen Institutionen und deren kirchenpolitischen Bestrebungen im Nahen Osten der Kreuzfahrerzeit zu. Aus diesem Grunde beschränkt sich K. richtig auf die Erhebung der Nachrichten, die uns über die einzelnen lateinischen Patriarchen von Jerusalem in der Zeitspanne von der Eroberung der Heiligen Stadt durch die Kreuzritter im Jahre 1099 bis zum IV. Laterankonzil (1215) überliefert sind. Es handelt sich also im Wesentlichen um eine prosopographische Arbeit, die sich in methodischer Hinsicht Jürgen Petersohn anschließt, der Prosopographie als eine Materialauswertung unter unterschiedlichen Aspekten definierte (ZHF 2 [1975], 1-5), und die sich folglich den von Stefan Weinfurter für eine Neuauflage der "Series episcoporum" (hrsg. v. P. B. Gams, Rom 1879/Regensburg 1886) entwickelten prosopographischen Kriterienkatalog zum Vorbild nimmt.

K. behandelt also (91-447) für jeden der Patriarchen jeweils in einem ersten Abschnitt die uns überlieferten biographischen Angaben zum Inhaber des Amtes und in einem zweiten Abschnitt dessen Wirken, das er folgendermaßen rubriziert: Verhältnis zum König/Königtum von Jerusalem, zum Papst, zum ortsansässigen Klerus, zu den kirchlichen und politischen Mächten in Antiochien und Konstantinopel, zu den Orden und Kongregationen im Heiligen Land, zu den anderen christlichen Kirchen, zu Reisen der Patriarchen, zum literarischen oder künstlerischen Schaffen oder zur Bautätigkeit des Patriarchen.

Sehr detailliert und mit bewundernswertem Fleiß werden die Quellen ausgeschöpft und wird die Forschungsliteratur kritisch ausgewertet. Mit großem Gewinn arbeitet man diesen Hauptteil des Buches durch, in dem man - wie der Vf. im Vorwort selbstironisch sagt - fast mehr erfährt, als man erfahren wollte. Leider wird aber durch die jeweilige Zweiteilung und die Aufsplitterung der Informationen in die einzelnen Rubriken der historische Zusammenhang nicht so ersichtlich, wie es für ein tieferes Verständnis nötig wäre, und wie man es von einer solchen Studie erwartete, und wie es der Vf. auch durchaus leisten könnte. Das ist ihm wohl auch selbst bewusst geworden, und so hat er eine kurze Zusammenfassung versucht, in der er unter der Überschrift "Wesenszüge des lateinischen Patriarchats von Jerusalem" die wichtigsten Ergebnisse der einzelnen Rubriken hervorhebt (448- 506). Das ist nützlich, führt aber über die Rubrizierung auch nicht hinaus und kann die eigentliche methodische Schwäche des Grundansatzes der Konzeption der Arbeit nicht beheben.

Soweit ich es überprüft habe, ist die Ausschöpfung der Quellen gründlich und zuverlässig. Weitgehend förderlich ist der kritische Umgang mit der Forschungsliteratur. Wenn der Vf. die Grenzen der okzidentalen Mediaevistik überschreitet, ist das Gebotene allerdings nicht immer befriedigend. Das gilt für die orientalischen Nationalkirchen, Byzanz und die Bemerkungen zu patristischen Problemen. Auf die Aspekte der historischen Geographie (517-521, nur einige aus älteren Werken übernommene Karten ohne Hinweise auf weitere Informationen) und die Aufschlüsselung durch Register (663-683, nur ein einziges, nicht genügend differenziertes Register) ist leider nicht die notwendige Mühe verwendet worden.