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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1055 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Cassidy-Welch, Megan

Titel/Untertitel:

Monastic Spaces and their Meanings. Thirteenth-Century English Cistercian Monasteries.

Verlag:

Turnhout: Brepols 2001. XVI, 293 S. m. zahlr. Abb. gr.8 = Medieval Church Studies, 1. Geb. Euro 50,00. ISBN 2-503-51089-2.

Rezensent:

Peter Dinzelbacher

Bei diesem Buch handelt es sich um eine 1994 an der University of Melbourne eingereichte Dissertation, die - methodisch sinnvoll - auf Grund eines eng umschriebenen Untersuchungsgebietes, nämlich den in Yorkshire gelegenen Zisterzen des 12. und vor allem 13. Jh.s der mentalitätsgeschichtlichen Frage nachgeht, wie die monastischen Räume in jener Epoche gesehen wurden. Dabei kommen sowohl funktionelle, spirituelle als auch baugeschichtliche Perspektiven zum Tragen. Freilich ist die Wahl gerade dieser Klosterlandschaft, die zugegebenermaßen auch aus persönlichen Gründen erfolgte und mit eigenen Aufnahmen illustriert wurde, nicht besonders glücklich, da alle diese Klöster, deren berühmteste Fountains und Rievaulx sind, bekanntlich in der Reformationszeit in Ruinen verwandelt wurden. Manches Architektonische hätte sich an den wesentlich besser erhaltenen kontinentalen Beispielen klarer zeigen lassen.

Nach der Einleitung, die theoretische Erörterungen zum Klosterraum (Foucault u. a.) sowie die Präsentation der Quellen enthält, werden in acht Kapiteln die zisterziensischen Raumerfahrungen besprochen, wobei sich die Verfasserin immer wieder gern zu interessanten und kenntnisreichen, in ihrer Breite zum Verständnis des jeweiligen Themas allerdings keineswegs substantiellen Digressionen verleiten lässt: (1) Die Umgrenzungen behandelt die konkreten Ummauerungen der Zisterzen und ihre Transgression in der Erinnerung etwa an das vergangene Weltleben. Ein Exkurs bespricht die Meditationstechniken und -inhalte im Orden. Kapitel (2) präsentiert den Kreuzgang als Architekturform, seine funktionellen Aspekte (z. B. bei der Fußwaschung, bei Prozessionen), seine metaphorische Qualifizierung als vorweggenommenes Paradies. Dem folgt ein Kapitel zur Kirche (3), einerseits zur materiellen (Baugeschichte, visuelles und akustisches Erlebnis), andererseits zu ihren Bedeutungen in symbolischer und spiritueller Hinsicht (etwa auch als Ort von Marienerscheinungen). In Abschnitt (4) werden wir ins Kapitelhaus geführt, dessen Funktionen ausführlich diskutiert werden: Regellesung, Toten-Memoria, Disziplinierung (sog. Schuldkapitel mit Bestrafung durch Geißelung). Besonderes Interesse zeigt die Vfn. am Infirmitorium (5), das eine Abschweifung zur Medizingeschichte des Mittelalters erlaubt und auch die Einbeziehung des Modethemas Körperlichkeit. Trotz der offiziellen Ablehnung ärztlicher Tätigkeit für Mönche u. a. durch Bernhard von Clairvaux gab es faktisch in mehreren Klöstern des Ordens praktizierende Mediziner. Von den Räumen der Chormönche streng getrennt waren die der Laienbrüder (6). Cassidy-Welch rollt hier einmal mehr den Status der Konversen auf, versucht an Beispielen ihre Mentalität zu skizzieren, behandelt relativ eingehend ihre (in der Forschung hinsichtlich der Frequenz sehr unterschiedlich eingeschätzten) Revolten, wogegen sie leider nur kurz auf die Grangien eingeht, die oft weit vom Kloster entfernten Wirtschaftsgebäude, welche doch für sehr viele Laienbrüder den täglichen Lebensraum darstellten. Unter Überschreitungen des klösterlichen Raumes durch Apostasie und Grenzverletzung (7) finden sich Erörterungen zur Definition dieses Verbrechens, den Motiven der Klosterflucht, der Reaktion der Ordens- und Konventsleitung, wobei eine englische Besonderheit darin gelegen zu haben scheint, dass man sich gern an die öffentliche Gewalt wandte, also die königlichen Sheriffs die Entsprungenen einfangen ließ. Hierzu ist ein bemerkenswertes Dokument unter dem Titel De Apostata Capiendo erhalten. Doch versuchten manche Äbte auch, Unzufriedene eher mit Zugeständnissen zu halten, da die Schande über die "fugitivi" immer als besonders peinlich empfunden wurde. Tod, Bestattung und Totengedenken bilden füglich das Schlusskapitel (8). Es geht also um die Sterberiten, die Begräbnisplätze, die Erscheinungen Verstorbener, die liturgische Commemoria. Der kurzen Zusammenfassung folgen Literaturverzeichnis und Register.

Da die hochmittelalterlichen Zisterzienser einen so ungemein beliebten Forschungsgegenstand darstellen, stößt man natürlich oft genug auf bereits Bekanntes. Doch ist die hier verfolgte Perspektive neu und gut geeignet, die Mentalität der Ordensangehörigen zu verdeutlichen, die Darstellungsweise wirkt lebendig. Ein Manko bildet freilich die stetige Unterrepräsentation deutschsprachiger Arbeiten; Jens Rüffer, Orbis Cisterciensis. Zur Geschichte der monastischen ästhetischen Kultur im 12. Jh. (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser 6, Lukas-Verlag, Berlin 1999, 508 S.), kam vielleicht zu spät, um berücksichtigt zu werden, behandelt aber genau für denselben nordenglischen Bereich teilweise ähnliche Fragestellungen. Druckfehler wie "Bemerke" statt "Bemerkungen" (181 u. ö.) sprechen für sich, ebenso die Abwesenheit einschlägiger monastischer Studien, etwa der von Johannes Jaeger (Klosterleben im Mittelalter, Würzburg 1903) oder Johannes Bühler (detto, Leipzig 1923, Repr. 1989) oder mentalitätsgeschichtlicher Arbeiten wie P. Dinzelbacher (Hrsg.), Europäische Mentalitätsgeschichte, Stuttgart 1993 (Kapitel über die mittelalterliche Raumauffassung). Doch ist diese Unterschätzung der deutschsprachigen Mittelalter-Forschung für anglophone Publikationen ganz allgemein habituell. Leider wurde auch das vierbändige Opus maius von G. G. Coulton, Fife Centuries of Religion, Cambridge 1923/50, das doch gerade für die Zisterzienser so viel Material beibringt, nicht benutzt.

Zusammenfassend beurteilt, kann die Arbeit als thematisch bemerkenswert bezeichnet werden und als fachlich kompetent durchgeführt; neben den gedruckten hat C.-W. sogar auch einige unpublizierte Texte herangezogen. Nicht behandelt wurden die Zisterzienserinnen, da die Vfn. meint, nur eine eigene Studie könne ihre Raumerfahrung adäquat beschreiben. Man darf auf diesen hoffentlich verwirklicht werdenden Ergänzungsband gespannt sein.