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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1053–1055

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Avvakumov, Georgij

Titel/Untertitel:

Die Entstehung des Unionsgedankens. Die lateinische Theologie des Hochmittelalters in der Auseinandersetzung mit dem Ritus der Ostkirche.

Verlag:

Berlin: Akademie Verlag 2002. 433 S. gr.8 = Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie, 47. Geb. Euro 64,80. ISBN 3-05-003715-6.

Rezensent:

Peter Gemeinhardt

Zwischen den Kirchen der griechischen und der lateinischen Tradition bestehen nicht nur Differenzen dogmatischer und ekklesiologischer Art. Zumindest im Hochmittelalter besaß der eucharistische Ritus einen ebenso großen Streitwert: "Die Azymenfrage enthält ja die Summe der christlichen Religion", stellte Patriarch Johannes Oxeites von Antiochien um 1100 kritisch zum Gebrauch ungesäuerten Brotes (griech. azymon) in der lateinischen Kirche fest. Diesen Streitwert versucht die vorliegende, 2001 von der Münchner Katholisch-Theologischen Fakultät angenommene Dissertation für den Zeitraum vom 11. bis 13. Jh. präzise zu bestimmen.

Neben den Azymen behandelt der Vf. als "ostkirchliche Herausforderung" (29-217) auch die wenig beachteten Kontroversen um die Beimischung von Wasser zum eucharistischen Wein und um die angemessene Taufformel (die Griechen formulierten passivisch: "Getauft wird der Knecht Gottes N. N. ..."). In einem zweiten Schritt wird grundsätzlich nach den "lateinischen Zugängen zur Eigenart der Ostkirche" gefragt (221-371). Ein Nachwort (373-381) widmet sich den ökumenischen Implikationen der Thematik für die bis heute prekäre Lage der "unierten Ostkirchen" zwischen Orthodoxie und Katholizismus- eine Frage, die den Vf. als katholischen Russen des byzantinischen Ritus in besonderer Weise betrifft.

Die Arbeit zeigt solide Kenntnis der lateinischen, griechischen und slavischen Quellen und der einschlägigen Literatur; die Untersuchung von Mahlon H. Smith (And Taking Bread... Cerularius and the Azyme Controversy of 1054 [ThH 47, 1978]) verdiente allerdings eine qualifiziertere Auseinandersetzung (so ist der Versuch einer Chronologie des prozymitischen Schrifttums von 1053/54 keineswegs "völlig verfehlt" [88 Anm. 9]; der Vf. arbeitet selbst mit einem impliziten Stemma, vgl. 115). Ein Register der herangezogenen Quellenschriften hätte gerade die Lektüre der systematisch angelegten Passagen sehr erleichtert.

Nach einem Überblick über die "biblischen und patristischen Grundlagen" der Kontroverse (29-49) wird deren Ausbruch in den Jahren 1053/54 analysiert (50-86). In systematischer Perspektive werden die polemischen Schriften der Griechen und der Lateiner zur Azymenfrage behandelt (87-116.117-160), ebenso zur Wasserbeimischung (161-198), die auch die Praxis der armenischen Kirche betraf, und zur Taufformel (199-217). Problematisch ist, dass hierfür bereits Texte des 11.-13. Jh.s ausgewertet werden, jedoch erst danach der historische Kontext dieser Kontroversliteratur (221-302) skizziert wird, woran sich wiederum eine systematische Analyse der "Reflexion der Lateiner" über die Legitimität des griechischen Ritus an sich anschließt (303-371).

Dass und wie die geschichtliche und die theologische Entwicklung der Azymendiskussion zusammenhängen, wird nur en passant deutlich, so etwa an der Disputation zwischen Griechen und Mendikanten in Nikaia und Nymphaion 1234 (263-280): Hier tritt in paradigmatischer Weise die Verflechtung von rituellen und dogmatischen Fragen (Azymen und Filioque) zu Tage, vor allem aber die Betonung der Primatsfrage durch die römischen Gesprächsteilnehmer (vgl. 271), die uns auch schon im libellus Leos IX. an Michael Kerullarios begegnet (63 f.) und sich im Lauf der Zeit als zentrale Streitfrage etablierte; die Griechen reagierten darauf mit dem Verweis auf die konziliare Tradition der Kirche: Der Gebrauch von Azymen sei bereits durch Can. App. 70 als "judaisierend" (u. ö., vgl. 41) verboten worden- ein Kanon, den der Westen nie rezipiert hatte (127). Die richtige Einsicht, dass seit dem 12. Jh. "die Diskussion der Azymen ... im Licht der Primatsproblematik" erfolgte (245), wird leider nicht konsequent ausgewertet; so erst würde einsichtig, warum die päpstliche Politik der Duldung des griechischen Ritus im 13. Jh. so wenig mit der scharfen theologischen Kritik der griechischen Eucharistie zu tun hatte (vgl. 352 f. u. ö.). Die im ersten Teil der Studie detailliert entfalteten Argumentationen pro und contra Azymen - zentriert um die exegetische Frage, ob Jesus ein Passamahl mit ungesäuertem Brot (so die Synoptiker) oder ein anderes Mahl mit Brot aus Sauerteig gefeiert habe (so Johannes) - wurden im Hochmittelalter zunehmend als beiderseits feststehendes Arsenal der Polemik genutzt (287), deren Anlass eher das Filioque und der Primat bildeten (vgl. 312 f.).

Das Interesse des Vf.s richtet sich vor allem auf die "theologische Reflexion" der Lateiner "über das Problem des Anders-Seins der Griechen" (304). Aus divergenten ekklesiologischen, sakramententheologischen und historischen Bewertungen des griechischen Ritus ergeben sich hier drei Modelle des Umgangs: Missbilligung verdiente der griechische Ritus vor allem nach Papst Innozenz III., dessen intransigente Position den Großteil der Theologie des 13. Jh.s prägte. Die römische Politik wurde dagegen im selben Zeitraum vom Prinzip der Duldung geprägt (vgl. das IV. Lateranum 1215); interessanterweise gingen damit beide Strömungen vom selben Papst aus! Dass aber die Einheit der Kirche auch bei Anerkennung der kulturellen Vielfalt ihrer Lebensformen bestehen bleiben könne ("diversa, non adversa"), fand pointierten Ausdruck bei Thomas von Aquin: Die Griechen dürften ihre consuetudo nicht nur bewahren, sondern seien dazu sogar verpflichtet, da innerhalb der einen Universalkirche "verschiedene Rituskirchen" existierten - für den Vf. "eine klassische Formulierung des Unionsgedankens" (370).

Diese "weise Bereitschaft des Aquinaten, einen Fremden in seiner Fremdartigkeit zu akzeptieren" (371) sei durch das Florentinum rezipiert worden, das die Streitpunkte der Azymen und der Taufformel "offiziell im Sinne der Anerkennung der östlichen Eigenart für gelöst erklärt" habe (375). Das belege, dass die Lateiner "im kulturellen Bereich eher zu Zugeständnissen bereit waren", während die Griechen "auf die Reinheit der Ritusbeobachtung fixiert" gewesen seien (378). "Der neutrale Beobachter" (gibt es den in historicis?) müsse eine Asymmetrie konstatieren, insofern die Lateiner ihre gelegentliche (!) Intoleranz nie zum Programm erhoben, die Byzantiner dagegen "die ablehnende Haltung gegenüber den Azymen unnachgiebig gepflegt" hätten (ebd.). Die scholastische Formulierung des Unionsgedankens gehe damit faktisch dem neuzeitlichen Toleranzgedanken voraus - dessen kirchlicher Ausdruck die Existenz der "unierten" Kirchen sei (380).

Hier vermag ich nur noch bedingt zu folgen: Dass der Anerkennungsgedanke nur von wenigen Scholastikern formuliert wurde, zeigt die vorliegende Studie selbst (346-353). Die Union von Florenz als Exempel dieser Anerkennung zu präsentieren, heißt verkennen, dass es derartige Zugeständnisse Roms eben nur geben konnte, wenn "die Frage nach der Autorität der Kirche im Sinne des päpstlichen Primats entschieden" wurde (378). Damit steht aber die "kulturelle Anerkennung" im Zeichen des transkulturellen Wahrheitsanspruchs: Erst von hier aus erschließt sich die römische "Toleranz" bezüglich der Azymen, und nur aus dieser Autoritätsproblematik wird die "Entstehung des Unionsgedankens" historisch plausibel. In der Ausblendung dieses Problemzusammenhangs liegt das große Manko der ansonsten kenntnisreichen und instruktiven Arbeit.