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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1048–1050

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, P. u. Ch. Heil

Titel/Untertitel:

Die Spruchquelle Q. Studienausgabe Griechisch und Deutsch. Griechischer Text nach der "Critical Edition of Q" des Internatial Q Project, hrsg. v. J. M. Robinson u. a.

Verlag:

Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft; Leuven: Peeters 2002. 185 S. 8. Kart. Euro 19,90. ISBN 3-534-16484-9 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft).

Rezensent:

Jens Schröter

Die vorliegende "Studienausgabe" stellt eine auf den deutschsprachigen Raum zugeschnittene Kurzversion der "Critical Edition of Q" (2000) dar, in der das "International Q Project" seinen (gegenüber den Publikationen in JBL 1990-1995 und 1997 an einigen Stellen modifizierten) Rekonstruktionsvorschlag eines Q-Textes vorgelegt hatte. Der griechische Text wurde aus dieser Ausgabe übernommen und mit einer überarbeiteten deutschen Übersetzung versehen. Voran steht eine von Heil verfasste Einleitung in die Q-Hypothese, ein ausführlicher Anmerkungsteil von Hoffmann erläutert Alternativen der Rekonstruktion. Beigefügt sind des Weiteren eine Q-Konkordanz, die von John S. Kloppenborg Verbin erstellt und von Hoffmann für diese Ausgabe bearbeitet wurde, sowie eine Bibliographie.

Gegenüber der von James M. Robinson verfassten "History of Q Research" in der "Critical Edition" zeichnet sich die hier vorgelegte Einleitung durch mehr Ausgewogenheit aus. Sowohl im Blick auf die Gattungsfrage als auch auf diejenige der Entstehung von Q werden Alternativen genannt. Dies entspricht dem Forschungsstand, da beide Fragen zurzeit völlig offen sind.

Bedenken stellen sich gleichwohl ein, wenn das entscheidende Merkmal der Q-Forschung in der Herausarbeitung eines eigenen Stranges der frühchristlichen Verkündigung gesehen wird. Schon die Überschrift "Die Worte Jesu aus Q, dem Markusevangelium oder die Christusverkündigung des Paulus?" stellt eine schiefe Alternative auf, und wenn die Bedeutung der "Entdeckung" von Q darin gesehen wird, eine "einlinige romantisch-harmonische Entfaltung des christlichen Glaubens" falsifiziert zu haben, fragt man sich, gegen wen hier eigentlich polemisiert wird. Dass das Postulat einer derartigen Einheit ein historisch unzulängliches Konstrukt wäre, ist auch unabhängig von der Q-Hypothese seit dem Aufkommen der historisch-kritischen Bibelwissenschaft evident und keineswegs erst durch die neuere Q-Forschung herausgearbeitet worden. In der eigenartigen Gegenüberstellung hier antiochenisch-paulinischer Bereich- dort Q (das alleine einen Zugang zur "Geschichte und Theologie der frühen palästinischen Jesus-Bewegung" ermögliche) kommt nur ungenügend zum Ausdruck, dass die synoptischen Evangelien keineswegs einfach dem ersteren zugerechnet und auf diese Weise Q gegenübergestellt werden können. Viel näher liegt es, die Synoptiker als Entwürfe eines theologiegeschichtlich weitgehend eigenständigen Bereiches zu beurteilen, zu dem auch Q gehört. Forschungspositionen, die nicht an der These einer von der sonstigen urchristlichen Entwicklung ungetrübten Spruchsammlung orientiert sind und über das Verhältnis des MkEv zum paulinischen Bereich anders urteilen, werden wohl nicht zufällig übergangen.

In der Textpräsentation wird der (re)konstruierte Q-Text, einschließlich einiger Parallelen aus Mk und dem EvThom, geboten. Dass es sich dabei nur um eine Hypothese über Umfang und Wortlaut der zu Q zu rechnenden Texte handeln kann, wird durch ein System verschiedener Sigla (etwas irreführend "textkritische Zeichen" genannt) hervorgehoben, die den jeweils angenommenen Wahrscheinlichkeitsgrad des Q-Textes anzeigen. In den Anmerkungen von Hoffmann werden sodann die Differenzen zwischen den Herausgebern der "Critical Edition" (James M. Robinson, John S. Kloppenborg Verbin, Paul Hoffmann) diskutiert. Diese Erläuterungen führen in die Debatte um die Rekonstruktionsmöglichkeiten von Q-Texten sowie in diejenige über umstrittene Q-Texte ein und stellen auf diese Weise vor Augen, dass die Urteile über viele Detailfragen in der gegenwärtigen Q-Forschung - nicht nur zwischen den drei Genannten - differieren. Wie etwa die Diskussion um die Frage, ob Q einen Bericht von der Taufe Jesu enthalten hat, zeigt, handelt es sich dabei mitunter um für das Profil von Q durchaus Gewichtiges.

Diese Relativierung des abgedruckten Textes macht deutlich, dass die Entscheidungen für einen bestimmten Q-Text auch weiterhin der sorgfältigen Analyse und Argumentation bedürfen und durch den hier vorgelegten Textvorschlag keineswegs als erledigt zu betrachten sind. Das Vorwort spricht darum auch völlig zu Recht von "eine[r] Rekonstruktion" des Q-Textes und unterscheidet sich damit von der ausführlichen Ausgabe, deren Titel "The Critical Edition of Q" dem hypothetischen Charakter ihres Inhalts nicht gerecht wird.

Eine nicht unwichtige Frage bei einer solchen Ausgabe ist, ob die Praxis, die Q-Texte nach der Reihenfolge, in der sie bei Lk begegnen, anzuführen, nicht dazu angetan ist, ein falsches Bild zu vermitteln und eine Abstufung nach dem Grad der Sicherheit, mit der diese Texte zu einer gemeinsamen Quelle gerechnet werden können, nicht sachgemäßer wäre. Wenn Hoffmann etwa die redaktionelle Einbindung des Gastmahlgleichnisses, dessen Zugehörigkeit zu Q ohnehin nicht eindeutig ist, durch Mt und Lk darlegt, dann folgt daraus, dass sich über den Ort des Gleichnisses in Q kaum etwas Konsensfähiges ausmachen lässt. Die Anführung nach der lk Zählung hat hier, wie bei etlichen weiteren Texten, keinerlei Erkenntniswert.

Zieht man des Weiteren in Betracht, dass der Grad an Übereinstimmung zwischen Mt und Lk in den zu Q gerechneten Texten sehr unterschiedlich ist - und die Rekonstruktionen entsprechend mehr oder weniger sicher sind -, wäre die Präsentation der Mt- und Lk-Texte, auf denen der jeweilige Vorschlag eines Q-Textes beruht, für den Nachvollzug der Rekonstruktionsvorschläge und die Auseinandersetzung mit diesen - und somit für die Benutzbarkeit des Bandes in Lehrveranstaltungen - ein deutlicher Vorteil gewesen.

Kaum einsichtig ist die Auswahl der Parallelen. Dass Mk-Texte herangezogen wurden, leuchtet noch ein, weniger dagegen, warum ansonsten ausschließlich (!) Worte aus dem EvThom bzw. den POxy 1; 654 und 655 als Analogien begegnen. Handelt es sich bei diesen Papyri um ältere Fassungen des EvThom (bei den beiden ersteren ist dies sicher), dann werden hier verschiedene Versionen einer Schrift angeführt, wogegen andere Analogien (etwa aus Jak, Did, 2 Klem) völlig fehlen! Zum Lichtwort (Q 11,34 f.) wird sogar eine "Parallele" aus POxy 655 zitiert, von der auf dem Papyrus nur wenige Buchstaben erhalten sind. Durch diese Auswahl wird suggeriert, dass gerade das EvThom bzw. die drei genannten Papyri entscheidende Erkenntnisse für Q liefern würden - eine These, die nicht begründet wird und in der Forschung sehr umstritten ist. In einer "Studienausgabe" ist dies ein durchaus problematisches Vorgehen.

Die Konkordanz ist für die Benutzung dieses Textes hilfreich. Bei anderen Entscheidungen über Q-Texte wäre sie freilich entsprechend zu modifizieren.

Die handliche, erschwingliche Ausgabe ist im deutschsprachigen Raum die erste ihrer Art seit Athanasius Polags "Fragmenta Q". Dies ist zweifellos verdienstvoll und wird die Diskussion um Q über den engeren Kreis der Spezialisten hinaus einem breiteren Publikum zugänglich machen. Die genannten Defizite machen gleichwohl deutlich, dass die Aufgabe einer Darstellung von Wert und Grenzen der Q-Hypothese, einschließlich der mit einiger Wahrscheinlichkeit zu Q zu rechnenden Texte, durch diese Ausgabe noch nicht als befriedigend gelöst bezeichnet werden kann.