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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1043–1046

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kalms, Jürgen U.

Titel/Untertitel:

Der Sturz des Gottesfeindes. Traditionsgeschichtliche Studien zu Apokalypse 12.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2001. XII, 300 S. gr.8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 93. Geb. Euro 59,00. ISBN 3-7887-1859-5.

Rezensent:

Michael Bachmann

Bei dem zu besprechenden Buch handelt es sich um eine nur wenig veränderte Version einer im Sommersemester 2000 in Münster angenommenen Dissertation. Der vor kurzem verstorbene Verfasser, J. U. Kalms, war über mehrere Jahre hin am dortigen Institutum Judaicum Delitzschianum tätig und an vielen von dessen Publikationen maßgeblich beteiligt. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit dem Kapitel Apk 12, das es mit dem Gegeneinander einer mit kosmischen Symbolen ausgestatteten gebärenden Frau und ihres Sohnes sowie weiterer Nachkommen einerseits und eines - in deutlichem Unterschied zur Bewegungsrichtung jenes Sohnes - vom Himmel auf die Erde geworfenen teuflischen Untiers andererseits zu tun hat. Die wirkungsgeschichtlich sehr folgenreiche Passage - man denke nur an mittelalterliche Darstellungen des Sündenfalls (insbesondere an diejenige im Tympanon des nördlichen Chorportals des Freiburger Münsters) oder an das barocke Marienbild der Himmelskönigin - ist, wie K. in der Einleitung (1-10, hier 5-9) darstellt, seit den betreffenden Arbeiten H. Gunkels und W. Boussets (Erstauflage jeweils 1895) mehrfach monographisch behandelt worden, gerade auch in den letzten Jahren (bes. P. Busch, 1996; vgl. P. A. Abir, 1995; L. Sutter Rehmann, 1995; M. Martinek, 1996; H. Ulland, 1997; U. Riemer, 1998).

In diesem Umfeld verfolgt die Dissertation primär zwei Ziele: Sie will "den eschatologischen Vorstellungen der Johannesapokalypse" auf die Spur kommen (1) und dafür auch "den weiteren Kontext" von Apk 12 innerhalb des gesamten Buches, dessen Struktur und "Komposition", fruchtbar machen (7); einen besonderen Akzent soll dabei "die traditionsgeschichtliche Untersuchung" als "eine vielversprechende Methode" setzen, und zwar so, dass zumal "die jüdisch-apokalyptische Tradition" berücksichtigt (3) und "eine Einordnung von Apk 12 innerhalb des neutestamentlichen Kanons" versucht wird (9; vgl. 7), während "eine zeitgeschichtliche Deutung" eher zurücktreten soll ([9-]10; vgl. 178). Ohne dass näher diskutiert würde, wie Redaktionskritik und Traditionsgeschichte aufeinander zu beziehen sind, hat es denn auch Kap. 1 (11-132) mit Apk 12 - im Rahmen der Johannesoffenbarung - zu tun, wobei "bereits auf traditionsgeschichtliche Zusammenhänge hingewiesen" (11) und nicht zuletzt über das Motiv von der Frau (Isis bzw. Leto) und ihrem gefährdeten Götter-Kind - vor allem in paganen Quellen - gehandelt wird (113-131). Kap. 2-4 bieten dann (traditionsgeschichtlich) "die Analyse des Motivs des Gottesfeindes" (11), und zwar zunächst (Kap. 2 [133-205]) hinsichtlich eines recht breiten biblisch-jüdischen Vergleichsmaterials (auch zu "Drache", "Schlange", "Teufel"/"Satan", "Verführer" und "Verkläger", vor allem eben zum "Gottesfeind").

Eingegangen wird hier auf Jes 14,4b-21; slHen 29,1-6; 31,1-8; VitAd 15,2-16,4; Dan 8,9-12.23-25; 2Makk 9,4-10,28; PsSal 2,25-29; Act 12,20-23; Sib 5,28-34.60-72.168-178; äthHen 46,4-8; 4Esr 11,39-46; syrBar 76,7-9; ApkEl 7,10-24; mSan 10,1; mSot 9,14; bSan 97a; hebräische Elia-Apokalypse; bBB 73a-75b; bQid 29b; TanB 2,8 - und zwar in dieser Reihenfolge.

Sodann geht es um das Motiv im Blick auf Lk 10,18 im Kontext des lukanischen Werks und im Vergleich mit Apk 12 (Kap. 3 [207-234]) und entsprechend im Blick auf Joh 12,31 f. (Kap. 4 [235-275; s. bes. das Tableau 268]). Eingeschoben in diese Ausführungen sind zwei Exkurse dazu, wie nach der Johannesoffenbarung die Relation der Christusgläubigen zum Judentum (108-113) und zu Rom zu denken ist (172-178) - mit den Resultaten, es sei "die Polemik in Apk 2,9; 3,9 der Ausdruck eines internen Konflikts" (und es liege kein Antijudaismus vor, zumal 'ÔÖÔ "ein Ehrentitel" bleibe [112, unter Bezug auf O. Böcher u. a.]), und Rom werde nicht wegen einer - nicht nachweisbaren - organisierten Christenverfolgung unter Domitian im Sinne des "Gottesfeindes" typisiert (bes. Apk 12 f.; 17 f.), sondern angesichts der mit dem "weiten Bereich des Kaiserkults" verbundenen "Konflikte" "zwischen dem Loyalitätsanspruch der römischen Gesellschaft und dem Loyalitätsanspruch der Gebote Gottes" (175). Abgeschlossen wird das Buch, das auch die einzelnen Abschnitte und Kapitel leserfreundlich summiert, durch eine "Zusammenfassung" (275-280). Danach hätte man angesichts von Apokalypse und Traditionsgeschichte die himmlische Frau von Apk 12 (vgl. dazu 100-107 den Überblick über "vier Deutungstypen": Maria [und Kirche]; Israel; Kirche; eschatologisches Gottesvolk, d. h. "das Gottesvolk des Alten und des Neuen Bundes" [106, unter Bezug auf E. Lohse]) "als das eschatologische Gottesvolk zu deuten" (275; vgl. 104 f.: Ablehnung der Vorschläge H. Gollingers [1971] und A. M. Schwemers [1999], nach denen der von der Frau als Heilsgemeinde geborene, ihr also zeitlich wohl nachzuordnende Sohn im Sinne des Anbruchs der Heilszeit bzw. der "zu Gott entrückten Märtyrer" zu interpretieren wäre); dabei würden die "Wehen" (vgl. nur Mk 13,8) primär "den Anbruch einer neuen, messianischen Zeit" signalisieren (275). "Apk 12,5" soll "in einem einzigen Vers das Christusgeschehen von der Geburt bis zur Erhöhung" umreißen (276); dieses sei die Voraussetzung für "die Entmachtung des Gottesfeindes" (279), und dabei sei es ein Spezifikum der Johannesoffen- barung, dass die - hier nicht zuletzt mit Rom zu verbindende - teuflische Gestalt des "Gottesfeindes" auf die Erde (Apk 12,9) "und nicht wie in Jes 14 hinab in die Scheol gestürzt und vernichtet wird" (278), weshalb er zwar nun nicht mehr "Verkläger" sei (s. V. 10), aber auf Erden doch für eine kurze Zeitspanne (als "Verführer") sein Unwesen treiben könne, bis er dann gemäß Apk (20,2 f. und) 20,10 endgültig besiegt (vgl. Apk 19,14 mit 12,5), in die Tiefe hinabgeworfen und vernichtet werde. Diese Ambivalenz des Schon und Noch-Nicht des Sieges über den "Gottesfeind" verbinde im Übrigen die Johannesoffenbarung recht nachdrücklich mit Joh 12,31 f. und dem vierten Evangelium insgesamt (vgl. nur Joh 16,33), während Lukas im Kontext von Lk 10,18 (trotz Lk 22,3 [vgl. dazu bes. 229 f.272]) und darüber hinaus "die Gegenwart nach dem Sturz des Satans sehr viel optimistischer" beurteile (279).

Die Dissertation ist (bei nicht unerheblicher Redundanz) gut lesbar, und die Materialsammlung zum "Sturz des Gottesfeindes" ist fraglos verdienstvoll - obwohl man gerade deshalb ein Stellenregister schmerzlich vermisst. Die von K. vertretenen Thesen bewegen sich überdies weithin im Rahmen geläufiger Deutungen und verdienen schon insofern fast durchweg Beachtung. Dennoch gewinnt man nicht den Eindruck, dass die Arbeit viel dazu beiträgt, diese Thesen gegenüber anderen Optionen abzusichern. Das hängt m. E. entscheidend mit dem methodisch wohl kaum hinreichend geklärten Ineinander von Traditionsgeschichte und Redaktionskritik zusammen (s. bes. Kap. 1.3 f.). Die zu enge, jedenfalls die "einfache" Verknüpfung beider Perspektiven bekommt m. E. weder dem einen noch dem anderen Zugang, auch nicht den damit verknüpften Fragen der Literarkritik (s. bes. 26-29) und der zeitgeschichtlichen Bezüge (s. [nochmals] bes. 9f.128). Einige Hinweise dazu müssen genügen.

Traditionsgeschichtlich scheint es mir z. B. heikel, die "knappe Zusammenfassung" Apk 12,5 recht unmittelbar mit anderen eher kurzen Formulierungen zu Jesu Geschick (vgl. z. B. Phil 2,6-11) zusammenzubringen (s. bes. 65) und so gleichsam zu entschärfen. Ebenso dürfte es nicht reichen, für die Merkwürdigkeit (s. z. B. 74.117), dass nach Apk 12,7 nicht der junge oder ältere Knabe - der Messias - gegen den "Gottesfeind" und seine Engel kämpft, sondern Michael (s. dazu Bill. I, 141 f.), auf die frühchristliche Verwendung von Ps 110,1 zu verweisen (72), zumal zumindest der Kontext des dafür geltend gemachten Belegs 1Kor 15,25, nämlich V. 24, der Versicherung K.s widerspricht: "Gott ist der eigentlich Handelnde", der "durch seine Engel" zu Gunsten Christi Handelnde (ebd.). Eine Literarkritik einbeziehende Traditionsgeschichte (wie sie z. B. R. Bergmeier, Das Gesetz im Römerbrief und andere Studien zum Neuen Testament [WUNT 121], Tübingen 2000, bes. 1-28, praktiziert) offeriert hier weniger harmonistische Möglichkeiten. Und durch eine stärker traditionsgeschichtliche Orientierung könnten manche Konturen noch deutlicher hervortreten (als z. B. 37-39.97-100.127.131.275), etwa die (u. a. Apk 17 f. einerseits, Apk 12.21 f. andererseits [vgl. ferner bes. Gal 4,25.26] ermöglichende) alttestamentliche Entwicklung (s. dazu vor allem O. H. Steck, Gottesknecht und Zion [FAT 40], Tübingen 1992, 126-145; vgl. M. Bachmann, Antijudaismus im Galaterbrief? [NTOA 40], Freiburg, Schweiz/Göttingen 1999, bes. 152-157), bei der uns Jerusalem zunächst als negativ gewertete Frauengestalt begegnet, dann als positiv gesehene, der nun Babel als Negativgröße gegenübersteht (s. nur Ez 16; Jes 47 [vgl. 51,3]). Dass bei einzelnen Zügen noch eine Erweiterung des reichen zusammengetragenen Vergleichsmaterials möglich ist, versteht sich von selbst. Zweierlei sei erwähnt, weil es möglicherweise zu anderen Gewichtungen führt: (i) der Zug, dass die sog. Himmelsfrau nach Apk 12,2 den "Mond unter ihren Füßen" hat, lässt bei der Einschätzung von Apk 12 als "Interpretatio Christiana" der "Isis-Tradition" (119) deutlicher, als das bei K. zugestanden wird (s. bes. 120; vgl. 118), den paganen Hintergrund durchschimmern, wenn man dazu "die in Italien zahlreich gefundenen Darstellungen der Isis-Fortuna mit dem Globus zu ihren Füßen" berücksichtigt und berücksichtigen darf (Bergmeier, Gesetz, [256-]258; vgl. ThLZ 126, 2001, 62 [H.-J. Klauck mit Bezug auf A. Brent]); (ii) neben Jes 14 ist hinsichtlich des "Sturzes des Gottesfeindes" wohl auch Ez 28,1-19 heranzuziehen (vgl. dazu B. Ego/A. Lange/P. Pilhofer [Hrsg.], Gemeinde ohne Tempel [WUNT 118], 221 f. [J. T. A. G. M. van Ruiten]), zumal sich hier doch das Moment findet, dass "der Gottesfeind" von Gott (vom Gottesberg, von Eden, vom [himmlischen] Tempel aus) "auf die Erde" geschleudert wird (V. 17; vgl. V. 8).

Die redaktionskritische Konzentration auf die synchrone Ebene der Johannesoffenbarung - und entsprechend z. B. des lukanischen Werks, aus dem zusätzlich etwa Act 1,6-8; 5,31; 7,54-59 (s. dazu J. Verheyden [Hrsg.], The Unity of Luke-Acts [BEThL 142], 558 f. [M. Bachmann]); 26,16-18 Berücksichtigung beanspruchen dürfen - könnte ebenfalls zu mancher Präzisierung führen: In die Erwägungen einbeziehen ließe sich dafür etwa das (wohl das Schon und Noch-Nicht des Sieges Christi [und der Seinen] betreffende) nikon kai hina nikese von Apk 6,2, ferner die einigermaßen chiastische Gegenüberstellung des weißen und des feuerroten Pferdes von Apk 6,1 f. und 6,3 f., welcher "die chiastische Wortstellung der Versanfänge von Apk 12,1 und Apk 12,3" (49) entsprechen dürfte (s. dazu nur M. Bachmann, Noch ein Blick auf den ersten apokalyptischen Reiter, in: NTS 44, 1998, 257-278, 260-263), die nun die Himmelsfrau und den "feuerroten großen Drachen" gegeneinander setzt. Vom Hinauswerfen aus dem himmlischen Bereich auf die Erde wird zudem nicht erst in Apk 12, sondern schon in Apk 11 (hier in V. 2) die Rede sein (s. dazu ders., Himmlisch: Der Tempel Gottes von Apk 11.1, in: NTS 40, 1994, 474-480, bes. 478 f.), in einem Kapitel also, das auch darüber hinaus manche Berührungen mit Apk 12 f. aufweist (s. bes. 11, 3.6.8). Sehr fraglich ist auch, ob die "große Stimme im Himmel", die Johannes nach Apk 12,10(-12) "hört", wirklich "den Gläubigen zuzuschreiben" ist, "die sich bereits im Himmel befinden" (79), so dass hier an die nun vom "Verkläger" bedrohten "Christen auf der Erde" als "Brüder" der Sänger zu denken wäre (81); denn darauf führen die Parallelen zum Hören einer (großen) Stimme in der Apokalypse gerade nicht (s. nur 1,10; 8,13; 19,1), die vielmehr auf originär himmlische Rufer schließen lassen, und der erfolgreiche Kampf Michaels wie der Sturz des Drachens auf die Erde (12,7-9) lassen denn auch vermuten, dass die im Himmel befindlichen "Brüder" jener überirdischen Rufer (vgl. dazu bes. 6,11; 19,10), die Märtyrer, nunmehr den Ankläger los sind (vgl. 12,12!). Dann ginge es an dieser Stelle nicht um eine partielle irdische Entmachtung des "Gottesfeindes", um das Ende des "Verklagens" (vgl. nochmals 3,31 u. ö.), sondern um einen im Himmel schon errungenen Sieg - der in dem Kapitel im Übrigen nicht mit der "Inthronisation Christi" begründet (so: 68.72 und, etwas anders, 79; vgl. 76), vielmehr in V. 11 anderweitig christologisch verankert wird -, angesichts dessen dasjenige, was auf Erden zu bestehen ist, mit größerer "Standhaftigkeit", mit mehr Hoffnung anzugehen ist. Das, was auf Erden nötig und möglich ist, wird in dem abschließenden Passus Apk 12,13-17 recht nachdrücklich vor Augen geführt, während m. E. die beiden vorangehenden - auch V. 1-6 (anders: 31 f. u.ö.) - am/im Himmel beginnen (s. das doppelte en to ourano in V. 1.7 [gegen: 34 f. 67]) und nacheinander den Weg der Frau und des "Gottesfeindes" auf die Erde in den Blick nehmen, also derjenigen Gestalten, die es dann in V. 13- 17 dort miteinander zu tun haben.

Die um die methodische Problemstellung gruppierten Anfragen an die Dissertation K.s sollen anzeigen: Das Gespräch muss und wird weitergehen. Sie ändern indes nichts daran, dass es sich bei dem Buch um eine hilfreiche Arbeit handelt, für die man dem Vf. zu danken hat. Insbesondere wird hier ein Großteil des einschlägigen traditionsgeschichtlichen Materials bündig zusammengestellt. Darüber hinaus fehlt es nicht an einer erheblichen Anzahl von feinen Beobachtungen (z. B. zu Apk 12,12/Jes 49, 13 [84 f.] und Apk 21,2 [93 f.]).