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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1035–1037

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

1) Siegert, Folker 2) Siegert, Folker

Titel/Untertitel:

1) Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta.

2) Register zur "Einführung in die Septuaginta". Mit einem Kapitel zur Wirkungsgeschichte.

Verlag:

1) Münster-Hamburg-Berlin-London: LIT 2001. VIII, 342 S. 8 = Münsteraner Judaistische Studien, 9. Kart. Euro 25,90. ISBN 3-8258-5012-9.

2) Münster-Hamburg-Berlin-London: LIT 2003. IV, 140 S. 8 = Münsteraner Judaistische Studien, 13. Kart. Euro 20,90. ISBN 3-8258-5785-9. 2)

Rezensent:

Eberhard Bons

Eine deutschsprachige Einführung in die Septuaginta (LXX) stellt seit Jahrzehnten ein Desiderat dar. Wer detailliertere Auskünfte sucht, als sie von einigen längeren Artikeln in Lexika oder Sammelbänden geboten werden (RGG, NBL, ANRW usw.), muss fremdsprachige Werke konsultieren.1 Daher ist es zu begrüßen, dass der Autor, Direktor des "Institutum Judaicum Delitzschianum" an der Universität Münster, die lange bestehende Lücke füllt, um so dem auch im deutschen Sprachraum gestiegenen Interesse am "ältesten Kommentar" der Hebräischen Bibel (vgl. 122) Rechnung zu tragen.

Das Gesamtwerk aus zwei Bänden versteht sich als "praktische Handreichung für Benützerinnen und Benützer der Septuaginta" (VII), soll aber auch zum gezielten Nachschlagen geeignet sein (ebd.). Der erste Band enthält neben einer Einleitung sechs Kapitel: 1. "Name, Entstehung und Bezeugung der Septuaginta" (23-54), 2. "Der lange Weg zum Septuaginta-Urtext" (55-120), 3. "Die Septuaginta als Übersetzungsleistung: Sprache und Stil" (121-195), 4. "Der Umgang mit Namen: Transkription, Übersetzung, Ersatz" (196-217), 5. "Übersetzungstendenzen der Septuaginta: Begriffe" (218-286), 6. "Übersetzen und Edieren" (289-340). Der zweite Band, der die Seitenzählung des ersten fortsetzt, liefert zunächst "Nachträge und Berichtigungen zu Kap. 1-6" sowie "Corrigenda: Bibelstellen" (9*-16*), sodann Kap. 7 "Rezeptionen und Revisionen der Septuaginta" (341-387) sowie umfangreiche Indizes (389- 464). Besonders die Stellenregister und die Verzeichnisse hebräischer und griechischer Wörter tragen dazu bei, die vielfältigen Informationen des Werkes leichter zu erschließen.

Wer zum Vergleich andere neuere Einleitungen in die LXX heranzieht, stellt leicht fest, auf welche Fragestellungen S. den Schwerpunkt legt: auf Sprache und Stil der griechischen Bibel, auf ihre Terminologie und schließlich auf die Klassifikation der mannigfachen Unterschiede zum Masoretischen Text (MT), die vielen LXX-Texten ein charakteristisches Profil verleihen.

Andere Fragen werden zwar nicht vernachlässigt, aber doch weniger gründlich behandelt: Welche Kenntnisse besitzen wir über die jüdischen Gemeinden Ägyptens und damit über den religiösen und kulturellen Kontext der Übersetzung? In welchen Bereichen hat das Studium der Papyri (vgl. die zahlreichen Publikationen von O. Montevecchi und A. Passoni Dell'Acqua) zu einem besseren Verständnis des Septuaginta-Vokabulars beigetragen? Wenig Auskünfte erhält man schließlich zu folgender Frage: Oft lassen sich die punktuellen Unterschiede zwischen MT und LXX eines Textes durch bestimmte Übersetzungstechniken und/oder inhaltliche Interessen der Übersetzer erklären. Entstehen daraus aber nicht neue inhaltliche Bezüge, die als solche dem MT fremd sind? Und können diese nicht die Voraussetzungen für eine Rezeption bieten, die sich später in christlichem Kontext entwickelt und zu einer spezifischen Wirkungsgeschichte eines Textes führt? Gerade für die Psalmen, die S. immer wieder zitiert, wäre eine solche Fragestellung fruchtbar.

Ungeachtet dieser Desiderata steht außer Zweifel, dass S.s Werk auf einem großen Überblickswissen über Richtungen und Ergebnisse heutiger LXX-Forschung basiert und zugleich umfangreiche Detailkenntnisse verrät. Nicht zuletzt zeigt sich auch ein Gespür für die Fragen derjenigen, die weniger mit den handwerklichen Problemen des LXX-Studiums vertraut sind. Diese erhalten beispielsweise praktische Ratschläge zum Gebrauch der Konkordanz von Hatch/Redpath, der Handausgabe von Rahlfs sowie der Göttinger Edition (117-119). In diese Hilfestellungen fließt sicherlich die eigene Erfahrung ein, dass man manchmal für das Verständnis der textkritischen Apparate "einige Tage braucht" (116). Aber auch was die inhaltliche Ausrichtung des Gesamtwerks angeht, ist es erfreulich, dass, wie der Vf. sich selbst bezeichnet, ein "Neuling" (22) in LXX-Fragen die Initiative ergreift. Dies gestattet ihm eine relative Unabhängigkeit von den Fragestellungen und impliziten Werturteilen, die sonst die LXX-Studien kennzeichnen. So wird beispielsweise die LXX keineswegs nur als eine Art Ersatzteillager angesehen, in dem man die Textelemente findet, die zur Reparatur eines beschädigten MT dienen. Im Gegenteil, S. macht deutlich, aus welchen Gründen der LXX-Text und seine Charakteristika ein eigenes Interesse verdienen. Die Übersetzer nutzen etwa bestimmte Eigenschaften der griechischen Sprache, um neue stilistische oder inhaltliche Akzente zu setzen (so durch den Gebrauch von Komposita oder durch mit alpha privativum gebildete Wörter [vgl. 137 f.]). Außerdem widmet S. dem Rhythmus in poetischen Texten (181 ff.) sowie der Bildung neuer, dem MT fremder Metaphern (242 f.) wichtige Überlegungen. Dazu kommen umfangreiche Ausführungen zum griechischen Vokabular und seinem Verhältnis zu den entsprechenden hebräischen Äquivalenten (262 ff.). Umgekehrt stellt S. sich die Frage, aus welchem Grund im hellenistischen Griechisch geläufige Termini der LXX weitgehend oder völlig fremd sind (232 f.271 ff.). Wer selbst mit der Analyse von LXX-Texten beschäftigt ist, wird darum gerade die Kapitel 3 und 5 mit großem Gewinn lesen. Darüber hinaus findet man eine Fülle von Detailinformationen (etwa über Übermittlungsfehler [57]), manchmal auch Anekdotisches. Man erfährt etwa, dass Tischendorf von Papst Pius IX. der Einblick in den Codex Vaticanus verweigert wurde (109) und dass der Hase selten in der LXX erwähnt wird, da seine Bezeichnung, griechisch lagos, eine unerwünschte Assoziation zum Vatersnamen Ptolemaios' I. (Lagu) hergestellt hätte (188).

Was die vielen Detailinformationen angeht, mag man andere, eventuell treffendere Beispiele anführen, zu anderen Wertungen gelangen oder Lücken feststellen (etwa bei der Behandlung des Vokabulars der Gottesbeziehung [230-233], wo Verben wie pisteuo, elpizo und pepoitha fehlen). Ebenso ist das Problem der Anthropomorphismen (vgl. 247 f.) recht komplex: Im LXX-Psalter beobachtet man einerseits die Tendenz zur Vermeidung (so schaut der Mensch nicht Gott [so MT], sondern erscheint vor ihm [so LXX], vgl. Ps 16,15; 41,3; 62,3; Gott wird nicht als "Fels" usw. bezeichnet), andererseits scheut sich der LXX-Psalter nicht, von Gottes Augen, Ohren usw. zu sprechen.

Problematischer als solche Details sind eine Reihe offenkundiger Mängel des Buches, die der Lektüre nicht immer förderlich sind. So vermisst man etwa zu Beginn von Kap. 2 eine gewisse Leserführung, die den Aufbau des doch sehr heterogenen Kapitels erschließen würde. Dazu kommen verschiedene unzutreffende oder irreführende Informationen, die sich leicht hätten überprüfen lassen. Dass etwa paroikeo in Ps 60,5 für hebr. rwg steht (138), ist weiter nicht auffällig, da dieselbe Äquivalenz vielfach belegt ist. Weiterhin trifft nicht zu, dass die LXX keine Komparativformen der Adjektive kennt (154; vgl. Gen 25,23; 29, 19; Rut 3,12; Ps 89,10; Ijob 42,15; 89,10; Spr 5,4), dass von den Partizipien nur diejenigen des Präs. akt. und des Aor. (evtl. noch Perf.) pass. überlebt haben (158; vgl. für das Partizip Aor. akt. Ps 103,28-29, für das Partizip Perf. akt. Dtn 25,6; Jer 45,19; Ez 10,7) oder dass participia coniuncta so gut wie nur im Nominativ vorkommen (150; vgl. Ps 3,7; 7,11; 27,3; 65,8-9, in V. 9b für ein finites Verb des MT; für die gar nicht erwähnten genitivi absoluti vgl. Gen 23,10; 27,38; 1Kön 25,20; Ps 7,3; 103,28-29; Hos 3,4: Jona 4,2). Es bleibt zu wünschen, dass diese Angaben in einer eventuellen zweiten Auflage korrigiert werden, ebenso die vielen Versehen orthographischer oder drucktechnischer Art (z. B. griechische Wörter in lateinischen Buchstaben), die auch in den Corrigenda noch nicht berücksichtigt worden sind.

Trotz dieser Detailkritik ist unbestritten, dass das Buch - gerade wegen seiner gräzistischen Partien - auf den Schreibtisch derer gehört, die an den verschiedenen aktuellen LXX-Projekten arbeiten.

Fussnoten:

1) Vgl. G. Dorival/M. Harl/O. Munnich, La Bible grecque des Septante. Paris 21994; M. Cimosa, Guida allo studio della Bibbia greca. Rom 1995; N. Fernández Marcos, Introducción a las versiones griegas de la Biblia, Madrid 21998; K. H. Jobes/M. Silva, Invitation to the Septuagint. Grand Rapids 2000.