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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1034 f

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Fitzmyer, Joseph A.

Titel/Untertitel:

The Dead Sea Scrolls and Christian Origins.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2000. XVIII, 290 S. gr.8 = Studies in the Dead Sea Scrolls and Related Literature. Kart. US$ 25,00. ISBN 0-8028-4650-5.

Rezensent:

Eduard Lohse

Nachdem mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen ist, seit die ersten Handschriften bei Qumran gefunden wurden und jetzt endlich alle Texte veröffentlicht sind, ist es an der Zeit, eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Grobe Fehleinschätzungen, aber auch mutwillig unternommene Missdeutungen der Texte im Sinn einer - entweder jüdischen oder aber frühchristlichen - Skandalgeschichte sind zurechtzurücken, um mit aller gebotenen Sorgfalt auf die Texte zu hören und so genau wie möglich ihre Botschaft zu verstehen. - Diese Aufgabe hat der Vf., der nahezu von Anfang an an der Erforschung der Qumran-Texte beteiligt war, in eindrucksvoller Weise angepackt. In dem hier anzuzeigenden Band sind 12 Beiträge zusammengefasst, die von einer Einordnung der Texte in die damalige jüdische Geschichte zu einer Beurteilung ihrer Bedeutung für das Verständnis der frühesten Christenheit fortschreiten. Bis auf eines der hier dargebotenen Kapitel (Qumran Messianism) sind alle anderen bereits in früheren Abhandlungen vorgetragen worden. Doch hat der Vf. alle Darlegungen gründlich überarbeitet, auf den neuesten Stand der Diskussion gebracht und mit verknüpfenden Bemerkungen zu einer neuen Einheit zusammengefügt. Mit sicherer Hand schlägt er die verschiedenen Rollen und Fragmente auf, um mit stets gründlich bedachter Kritik darzustellen, was sie zu sagen haben.

Dabei ist zuerst ein nüchterner, aber wichtiger Sachverhalt zu nennen: Ohne Ausnahme sind alle Texte jüdischer - und an keiner Stelle christlicher oder christlich beeinflusster - Herkunft. Fragt man nach dem Erkenntnisgewinn, zu dem sie führen, so ist an erster Stelle zu sagen, dass sie die Zeitgeschichte des Judentums vom 2. Jh. v. Chr. bis etwa 68 n. Chr. an vielen Stellen verdeutlichen und ihr Verständnis wesentlich bereichern (14 u. ö.). Der ausnahmslos jüdische Charakter der Schriften von Qumran darf keinesfalls zu gering eingeschätzt werden. Ob man freilich die in den Texten ausgeführte Theologie als "sectarian" bezeichnen sollte, muss noch einmal überlegt werden. Denn eine orthodoxe Norm, wie sie später das rabbinische Judentum in zunehmendem Maß ausgebildet hat, hat es vor der Zerstörung von Stadt und Tempel in Jerusalem (70 n. Chr.) noch nicht gegeben. An ihrem Teil aber bezeugen die Schriften von Qumran, wie vielgestaltig und auch unterschiedlich das Judentum zur Zeit Jesu ausgesehen hat. Dabei spiegeln die Qumran-Texte nur einen - freilich wichtigen - Strang neben anderen wider, der mit hoher Wahrscheinlichkeit den Essenern zuzuordnen ist.

In den neu hinzugefügten Abschnitten widmet sich der Vf. vornehmlich dem Verständnis messianischer Hoheitstitel sowie der messianischen Erwartung, wie sie von der Gemeinde von Qumran vertreten wurde. In den letzten Jahren hat das Textfragment 4Q246 besondere Aufmerksamkeit geweckt, da es den Hohheitstitel "Sohn Gottes" auf einen Herrscher - welchen, bleibt fraglich - anwendet. Nach umsichtiger Prüfung aller Gründe und Gegengründe gelangt der Vf. zu dem Urteil, dass es sich nicht um eine messianische Auszeichnung handelt, sondern dass eine in naher Zukunft erwartete Gestalt im Sinn der aus dem Alten Testament überkommenen Titulatur als "Sohn Gottes" benannt wird. Folgt man dieser - wie mir scheint - überzeugenden Erklärung, so ist auch den Texten aus Qumran nicht zu entnehmen, dass der Titel "Sohn Gottes" im vorchristlichen Judentum in messianischer Bedeutung verstanden worden wäre (67 u. ö.). Wohl aber geht aus dem genannten Text hervor, dass die Vorstellung eines Gottessohnes in der vorchristlichen jüdischen Literatur nicht ganz unbekannt gewesen ist (70).

In dem vollkommen neu abgefassten Kapitel über "Qumran Messianism" werden Schritt für Schritt alle einschlägigen Stellen analysiert - auch diejenigen, die aus einer Betrachtung messianischer Vorstellungen auszuscheiden sind. Diese präzisen Erörterungen sind überaus wertvoll für die künftige Diskussion der Messiaserwartung. Deren Vielgestaltigkeit wird überzeugend herausgearbeitet. Dabei bleibt freilich die Frage offen, ob die unterschiedlichen Aussagen sich in eine Folge durchlaufender geschichtlicher Entwicklung einordnen lassen - oder ob es auch in Qumran unterschiedlich ausgeprägte Formen eines Messianismus nebeneinander gegeben hat (vgl. die zusammenfassenden Feststellungen auf S. 104).

Für alle weitere gelehrte Arbeit an den Texten von Qumran bieten die Erklärungen, die F. vorgelegt hat, überaus förderliche Interpretationen an, die eine verlässliche Grundlage auch für die Fragen bieten, die sich auf Zusammenhänge mit den Anfängen des Christentums beziehen. Nicht zuletzt hat der Vf. einen hoch zu schätzenden Beitrag für das künftige christlich-jüdische Gespräch geleistet, für den ihm ungeteilte Anerkennung dankbar zu bezeugen ist.