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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1028 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Longman III, Tremper

Titel/Untertitel:

Song of Songs.

Verlag:

Grand Rapids-Cambridge: Eerdmans 2001. XVI, 238 S. gr.8 = The New International Commentary on the Old Testament. Geb. US$ 35,00. ISBN 0-8028-2543-5.

Rezensent:

Peter Höffken

Longman, der in der sich als evangelikal präsentierenden Reihe NICOT schon einen Kommentar zu Kohelet geschrieben hat, legt hier eine Bearbeitung des Hohenliedes vor. Diese ist zunächst gekennzeichnet durch eine ausführliche Einleitung (1- 70), die in eine Bibliographie mündet (70-83), die, wenn sie auch ausführlich ist, den deutschen Leser doch einiges vermissen lässt (beispielsweise fehlt H.-P. Müller völlig). Anschließend folgt der eigentliche Kommentar (87-222). Verschiedene Register schließen ab (223-238).

Die Einleitung verfolgt die einschlägigen Probleme zu Autorschaft, Forschungsgeschichte, Form der Lieder/des Liedes, den religionsgeschichtlichen Kontext auf eine weithin orientierende und verständlich geschriebene Weise. Ein schwarzer Fleck ist freilich die fehlende Beziehung der Lieder auf die einschlägige griechische Liebeslyrik; auch die 94 Anm. 40 angesprochene Behandlung von Fragen des griechischen Chores sucht man in der Einleitung vergeblich. Die neuere Frage nach männlicher oder weiblicher Autor(innen)schaft wird freilich für unbeantwortbar erachtet (7-9). Entsprechend wird 1,1 mit Salomo nur insoweit in Verbindung gebracht, als das Hld Salomo "betreffe" (lislomo), was nicht ausschließt, dass das eine oder andere Lied auch von Salomo stammen könne. Aber großes Interesse findet dieser Sachverhalt nicht. Entsprechend "agnostic" ist seine Stellungnahme zur Datierung (19). Ausführlicher geht er auf den poetischen Sprachstil ein (9 ff.). Denn das ist für den Kommentar wichtig, will L. doch v. a. die poetische Ausdrucksseite der Lieder erarbeiten. Die Auslegungsgeschichte des Hld wird ausführlich thematisiert (20-47) und so ausgerichtet, dass sie die für die Formbestimmung der Lieder wichtigen Aspekte vorzeichnet. Sie stellen eine Anthologie von Liebesliedern dar (48), 23 solcher Lieder, um genau zu sein. Der Autor kennt natürlich durchaus die Schwierigkeiten der Abgrenzung und betont den manchmal hypothetischen Charakter von Abgrenzungen. Auf der anderen Seite ist seine Absage an eine "dramatische" Interpretation der Lieder (im Sinne einer entfalteten Geschichte in Liedern) deutlich. Diese anthologische Bestimmung als eine Art "erotic psalter" (43) wird dann auf dem Hintergrund der altorientalischen (v. a. der ägyptischen) Liebeslyrik verstanden (49- 54) und abgesichert. Offen bleibt dabei der Sinn der gesamten Struktur (54-56). Andeutungen gehen in Richtung einer Unterrichtung von Frauen in Eroticis (mit Ermutigung wie Aufforderung zu Zurückhaltung) als Abzweckung der Sammlung (60 f.).

Insofern läuft der Sinn des Ganzen darauf hinaus, zu einem die Körperlichkeit und Sexualität bejahenden Eheleben aufzurufen. Das wird einerseits in entschiedener Ablehnung von Theoremen über "Heilige Hochzeit" begründet (wobei zumindest im deutschen Raum die Behauptung einer völligen Ablehnung des "mythologischen" Modells [45] nicht nachvollziehbar ist, wie die Richtung der "Matriarchatsforschung" zeigt). Es wird andererseits auch den in der Auslegungsgeschichte feststellbaren körperfeindlichen Tendenzen gegenüber zur Geltung gebracht, wie dann drittens auch eine Abgrenzung gegenüber einer Verabsolutierung von Sex (à la Playboy und H. Heffner, dazu 61) mit Recht geltend gemacht wird. Diese Eingrenzung auf eheliche Liebe mag innerhalb des Hld auf wackeligen Beinen stehen, aber hier hilft dann die kanonische Einordnung weiter (vgl. 59f., mit B. S. Childs). Die eklektische Sichtweise der Kommentarreihe (vom Herausgeber, R. L. Hubbard jr., XI betont) wird hier recht deutlich.

Die theologische Bedeutung der Leiblichkeit wird durch eine Verbindung zu Gen 2 f., dann weiter forciert: Hld hat Teil an der durch Sünde und Schuld in Gen 3 aufgewiesenen Ambivalenz des Menschseins auch im ehelichen Miteinander selber, kann nur ein Schon-Jetzt angesichts eines Noch-Nicht von voller Versöhntheit meinen (63-66). Der Schluss (67-70) öffnet dann mit der These, die Liebesbeziehung von Mann und Frau beleuchte die zwischen Gott und Mensch, wieder einen Türspalt in Richtung der allegorischen Interpretation (vgl. jedoch auch die Abhebung 70).

Der Kommentar selber behandelt, wie angedeutet, das Hld als Anthologie von 23 Gedichten (also ohne Gedankenfortschritt oder "Storytelling"). Das geschieht v. a. auch im Gespräch mit der neueren Forschung, die in Anmerkungen verarbeitet ist. Besonders wird naturgemäß auf die Sprecher/innen eingegangen und vor allem die Qualität der bildhaften und metaphorischen Sprache herausgearbeitet. Ziel ist es dabei, die "emotional texture" der Lieder herauszustellen (44, vgl. 48). Das gelingt durchaus, aber eben nicht immer. Als Beispiel diene 1,15b ("Deine Augen - Tauben"): der Verzicht auf die Frage nach religionsgeschichtlichen oder gar ikonografischen Hintergründen (dazu O. Keel, Das Hohelied. 1986, 71- 75) lässt die Verbindung von Augen und Tauben als reines Rätsel erscheinen (107 f.). Der bloße Rekurs auf eine inneralttestamentliche Perspektive bleibt hier unbefriedigend. - Insofern wäre das Instrumentarium der Auslegung zu präzisieren: Eine völlige Ablehnung sog. mythologischer Auffassungen ist hier unzureichend. Insofern sage ich abschließend: Der Kommentar ist in der Grundhaltung durchaus sympathisch, aber er müsste in der Auslegung weitergehen.