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Ausgabe:

Oktober/2003

Spalte:

1024 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gorges-Braunwarth, Susanne

Titel/Untertitel:

"Frauenbilder - Weisheitsbilder - Gottesbilder" in Spr 1-9. Die personifizierte Weisheit im Gottesbild der nachexilischen Zeit.

Verlag:

Münster-Hamburg-London: LIT 2002. XIII, 464 S. 8 = Exegese in unserer Zeit, 9. Kart. Euro 25,90. ISBN 3-8258-5782-4.

Rezensent:

Christl Maier

Die zunächst von Frank-Lothar Hossfeld, dann von Irmtraud Fischer betreute und im Sommer 2001 an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn angenommene Dissertation liegt in leicht überarbeiteter Form vor. Sie zielt darauf, die jüngeren Untersuchungen zur traditionsgeschichtlichen Herkunft und theologischen Funktion der Weisheitsgestalt (Claudia Camp, Silvia Schroer, Gerlinde Baumann) mit der Analyse des soziokulturellen Hintergrundes von Spr 1-9 (Christl Maier zur Figur der "fremden Frau") zu verbinden und eine explizit feministische Interpretation der in Spr 1-9 entworfenen Frauen-, Weisheits- und Gottesbilder vorzulegen. Methodisch wird diese Verbindung mit der aus der neueren Metapherntheorie sich entwickelnden Einsicht begründet, dass die Lebenswirklichkeit von Frauen zum bildspendenden Feld der weiblichen Personifikation gehört, die die Vfn. zu Recht als Untergattung der Metapher auffasst.

Kap. I (4-118) bietet zunächst einen ausführlichen Forschungsüberblick zur feministischen Interpretation der "Frau Weisheit", der in die zu erwartende These mündet, dass die Weisheit im Kontext einer langen israelitischen Tradition stehe, in nachexilischer Zeit aber personal aufgefasst werde (68). Es folgen hermeneutische Überlegungen zur Unterscheidung von Genus (sozialem Geschlecht) und Sexus (biologischem Geschlecht), die die Vfn. in ihrer Textanalyse als Unterscheidung von syntaktischen und semantischen Kategorien berücksichtigen möchte. Auf einen sehr ausführlichen Überblick zu Definition und Funktion von Metapher und Personifikation folgt schließlich ein Plädoyer für den sozialgeschichtlichen Ansatz.

Die Überschrift zu Kap. II, "eine sozialgeschichtliche Annäherung an Lebenszusammenhänge von Frauen und biblische Frauenbilder in nachexilischer Zeit", ist mit Bedacht zurückhaltend formuliert, da eine sozialgeschichtliche Rekonstruktion der Lebensverhältnisse fragmentarisch bleiben muss. Neben der Zusammenfassung andernorts erarbeiteter Daten erläutert die Vfn. einschlägige Rechtstexte zu Frauen aus Lev und Num und weist nach, dass diese einer partikularen Ideologie folgen (119- 200). Sie bestimmt Ehe, Haus und Nachkommenschaft als "Koordinaten einer weiblichen Normalbiographie" (137), konstatiert auch für die nachexilische Zeit ein asymmetrisches Verhältnis der Geschlechter und gerade keine Entwicklung hin zu einer, gelegentlich angenommenen, verbesserten gesellschaftlichen Stellung der Frau.

Vor diesem Hintergrund werden in Kap. III Spr 1,20-33; 8; 9,1-6; 2,1-11; 3,13-18; 4,10-13 und 7,4 nacheinander analysiert (201-382). Auf eine Übersetzung mit textkritischen Anmerkungen folgen jeweils Überlegungen zur Textstruktur, zu sozialgeschichtlich auswertbaren Begriffen, zu Genus und Sexus sowie zu Personifikation und Metaphorik. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf dem Metapherngebrauch, den die Vfn. mit Hilfe der von Matthias Krieg entwickelten erzählenden Bildbeschreibung aufweist (vgl. 88 f.). Dabei finden sowohl die semantische Valenz der Sprachbilder als auch ihre traditionsgeschichtlichen Parallelen Beachtung.

Das auswertende Kap. IV schließlich ordnet die Weisheitsgestalt in die Entwicklung des nachexilischen Monotheismus ein (383-419). Die Vfn. versteht die in prophetischen Texten personifizierte Stadt, deren bisherige Interpretationen sie exkursartig referiert (384-393), als Vorläuferin der personifizierten Weisheit. In sozialgeschichtlicher Hinsicht lässt sich einerseits die Aufwertung der Familie in nachexilischer Zeit, andererseits eine Marginalisierung von Frauen im Kult konstatieren. Die personifizierte Weisheit erscheint so als Symbol einer Gegenbewegung gebildeter Oberschichtsgruppen gegen die offizielle priesterliche Religionspolitik (399) und als Mittlergestalt, die den Verlust des Königs kompensieren soll. Sie erweist sich nicht als Spielart eines allein zu verehrenden männlichen Gottes, sondern "als eine notwendige Begleiterscheinung des sich etablierenden Monotheismus ..., insofern die Zweigeschlechtlichkeit Gottes als anthropologische Notwendigkeit empfunden wurde" (411).

Im Ausblick auf die Aktualität dieser Konzeption betont die Vfn. das aus feministischer Sicht befreiende Potential dieses inklusiven Monotheismus, der so als geeignete Religionsform für eine toleranzbedürftige Welt erscheint.

Mit dem Rekurs auf sozialgeschichtlich auswertbare Daten macht die Arbeit auf eine bisher kaum berücksichtigte Perspektive in der Interpretation der Weisheitsgestalt aufmerksam. Angesichts der noch nicht lange zurückliegenden grundlegenden Arbeiten zu "Frau Weisheit" und zur "fremden Frau" sowie der jüngsten Diskussion um den feministischen Ertrag dieser Deutungen ist es zugegebenermaßen schwer, inhaltlich Neues zu den Texten selbst zu formulieren. Diese Schwierigkeit wird auch daran erkennbar, dass die Vfn. andere Studien zitiert, wo sie ihre eigenen Ergebnisse auf den Punkt bringt (vgl. z. B. 68.232.366.379.411.413. 416-419). Immerhin kann die Vfn. zeigen, warum die personifizierte Weisheit auf den ersten Blick näher bei Gott als bei den Frauen steht: Sie wird nicht im Kontext von Ehe und Familie beschrieben und sprengt mit den Rollen der Prophetin, Lehrerin, Politikerin und Bauherrin die weibliche Normalbiographie der nachexilischen Zeit (371). Gleichzeitig widerspricht sie aber auch "der westlich-abendländischen Dichotomisierung von Erotik/Sinnlichkeit als typisch weiblich und Geist/Verstand/politischer Tatkraft als typisch männlich" (372).

Insgesamt erscheint die Arbeit als zu weitschweifig, das Diskutierte als zu breit referiert. Für mit dem Thema noch unvertraute Leser und Leserinnen freilich bietet das Buch in gut lesbarem Stil eine Summe des bisher aus feministischer Perspektive zur Weisheitsgestalt Erarbeiteten.