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Ausgabe:

April/1999

Spalte:

372–374

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Rabe, Horst]

Titel/Untertitel:

Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe. Hrsg. von Ch. Roll, unter Mitarb. von B. Braun u. H. Stratenwerth.

Verlag:

Frankfurt/M.-Berlin-Bern-New York-Paris-Wien: Lang 1996. XIX, 531 S., 14 Taf., 1 Porträt 8. Lw. DM 148,-. ISBN 3-631-47923-9.

Rezensent:

Karlheinz Blaschke

Unter den 22 Aufsätzen, die dem Konstanzer Profan- und Rechtshistoriker zu seinem 65. Geburtstag gewidmet worden sind, befinden sich mehrere Beiträge zur Reformationsgeschichte im engeren Sinne. In der ersten Themengruppe "Das Reich und das habsburgische Kaiserhaus in Europa" ist auf "Deutschland am Beginn der Neuzeit: Reichs-Staat und Kulturnation" von Georg Schmidt hinzuweisen, der hier wie auch bei anderen Gelegenheiten seine These von der Staatlichkeit des Reiches in der frühen Neuzeit nachzuweisen sucht. Neue Ideen bereichern den wissenschaftlichen Diskurs und können zu neuen Erkenntnissen führen. Eine mehr als hundertjährige verfassungsgeschichtliche Arbeit am Begriff des modernen Staates hat jedoch in Deutschland ein so überzeugendes Kriterienbündel hervorgebracht, daß die Unvereinbarkeit von "Reich" und "Staat" als bewiesen gelten kann. Dazu gehört auch die kirchenpolitisch-konfessionelle Entscheidungsgewalt, das "ius reformandi", als unbedingt notwendiger Bestandteil staatlicher Vollmacht, die eben nicht beim Reiche lag. Es ist abzuwarten, in welchem Maße die These vom "Reichs-Staat" anerkannt werden wird.

Die zweite Themengruppe "Reichsrecht, Landrecht, Landesherrschaft" geht auf innerstaatliche Strukturen und Wandlungen im oberdeutschen Raum ein, während die am umfangreichsten geratene dritte "Aspekte der Glaubensspaltung - Tradition und Erneuerung" behandelt. In das Geflecht von Glaubensfragen, Theologie, Recht, Staatsgewalt und Widerstand führt der Beitrag "Die Bedeutung des Rechts bei der Frage des obrigkeitlichen Widerstands in der frühen Reformation" von Bernhard Lohse, der im Anschluß an die Ereignisse von Worms 1521 und Augsburg 1530 über Möglichkeiten und Grenzen des Widerstandes evangelischer Fürsten und Stände gegenüber den Organen des Reiches neu nachdenkt. Über "Evangelische Kirchenordnung im Spannungsfeld von Theologie, Recht und Politik: Die Gutachten der Nürnberger Juristen zum Entwurf der Brandenburgisch-nürnbergischen Kirchenordnung von 1533 und ihre Bedeutung für deren endgültige Gestalt" äußert sich Gottfried Seebaß aufgrund eingehender Quellenforschung, wobei er der bisher vernachlässigten nürnbergischen Kirchenordnung "eine deutliche Sonderstellung" und weitreichende Wirkung beimißt. Die Fragen um die Handhabung der Sittenzucht und um das an der Zwei-Reiche-Lehre orientierte Verhältnis von Kirche und weltlicher Obrigkeit tritt hervor. Günther Wartenberg stellt "Die Confessio Saxonica als Bekenntnis evangelischer Reichsstände" vor, indem er im Umfeld des Trienter Konzils und vorwiegend im Anschluß an Äußerungen Melanchthons die im Einvernehmen mit Württemberg verfaßte Bekenntnisschrift erläutert. Sie wurde von zahlreichen evangelischen Territorien anerkannt und galt bis in die philippistischen Wirren von 1574 in Kursachsen als Lehrnorm neben der Confessio Augustana. In der kursächsischen Kirchenordnung von 1580 wurde sie nicht mehr genannt.

Der mit seinem mißlungenen Reformationsversuch im Erzstift Köln bekanntgewordene "Hermann V. von Wied als Reichsfürst und Reformer" wird von Hansgeorg Molitor in seiner Entwicklung vom treuen Anhänger des Kaisers und der alten Kirche über eine Phase als Reformer bis zum überzeugten Protestanten vorgestellt. Peter Baumgart berichtet über "Die Renaissancepäpste Julius II. und Leo X. und die Anfänge der Reformation".

Die persönliche Wirksamkeit beider Männer wird vor dem Hintergrund der Antikerezeption in Rom dargestellt und in die politisch-militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Kurie, Frankreich und Spanien hineingestellt. Abgesehen von der beiläufigen Erwähnung von Luthers Romreise 1510 werden keine unmittelbaren Beziehungen zwischen dem Papsttum und der Reformation deutlich gemacht, sondern lediglich der tiefe Unterschied zwischen der Welt der Renaissancepäpste und der deutschen Reformation betont. Über "Das kanonische Recht und seine Überlieferung in den welfischen Territorien um 1600" schreibt Jörn Sieglerschmidt und legt dar, daß in diesen protestantischen Gebieten vor allem bei der Regelung benefizialrechtlicher Fälle katholisches Kirchenrecht noch lange Zeit weiterwirkte, während vom Konsistorium her neugeschaffenes, von Theologen maßgeblich mitbestimmtes protestantisches Kirchenrecht aufgebaut wurde. In biblisch-exegetische Grundfragen führt der Beitrag von Ernst Walter Zeeden "Daniels Prophetie über den Gang der Geschichte in der Exegese des Kirchenvaters Hieronymus und Martin Luthers. Von der Dominanz der Tradition über das Bibelwort". Hieronymus habe bei der alttestamentlichen Prophetie von den vier Reichen dem vierten, nämlich dem römischen, eine nicht im Sinne des Textes liegende Überbewertung gegeben, die von Luther übernommen worden sei, so daß dieser mit seiner Exegese über die vier Reiche zu einem "Zeugen für die Macht der Tradition" geworden sei.

Die vierte Themengruppe handelt über "Das Reich im Zeitalter der Reformation - Strukturen in Verfassung und Politik". Dabei ist für die Reformationsgeschichte der Beitrag von Heinz Duchhardt "Das Reichskammergericht des konfessionellen Zeitalters als Sozialkörper - forschungsstrategische Anmerkungen" von Bedeutung, zumal diesem Gericht bei der Regelung konfessioneller Streitfragen eine entscheidende Rolle zugedacht war.

In der fünften Themengruppe geht es um Beiträge über "Reich und Bund", wobei neben politischen auch konfessionelle Bünde im Blickfeld liegen. "Der katholische Bund von Nürnberg und die mindermächtigen Schwaben" wird von Nadja Lupke-Niederich aufgrund archivalischer Quellen neu dargestellt. Der 1538 gegen den immer mächtiger werdenden Schmalkaldischen gegründete Bund litt an den sozialen Gegensätzen seiner schon weitgehend differenzierten adligen Mitglieder. Der abschließende Aufsatz von Gabriele Haug-Moritz über "Kursachsen und der Schmalkaldische Bund" arbeitet die Interessengegensätze zwischen Kursachsen und Hessen heraus, zwei von diesen Mächten angeführte Bezirke hätten "nahezu autonom" nebeneinandergestanden, Zeiten gemeinsamen Handelns der Bundeshauptleute hätten sich mit Konfliktzeiten abgewechselt. Auch das ernestinische Sachsen vor 1547 habe zwischen kurfürstlich-reichischer und konfessionell-bündischer Politik seinen Weg verfolgt.

Mit ihrer streng durchgehaltenen Festlegung auf das Rahmenthema hat die Festschrift über die Absicht der persönlichen Würdigung eines Gelehrten hinaus eine inhaltliche Geschlossenheit erhalten, die sie zu einem nützlichen Hilfsmittel künftiger Arbeit an der Reformationsgeschichte macht.