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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

962–965

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Hilger, Georg, Leimgruber, Stephan, u. Hans-Georg Ziebertz

Titel/Untertitel:

Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf.

Verlag:

München: Kösel 2001. 558 S. gr.8. Geb. Euro 25,00. ISBN 3-466-36571-6.

Rezensent:

Rainer Lachmann

Mit diesem Werk legen die drei Herausgeber und Autoren - ihres Zeichens allesamt Religionspädagogen auf bayerischen Lehrstühlen - eine "Religionsdidaktik" vor, die in ihren wesentlichen Teilen den Anspruch erheben kann, religionspädagogisch auf der Höhe des gegenwärtigen Diskussionsstandes zu stehen. Obwohl sich unter den Autoren kein evangelischer Religionspädagoge befindet, kann man diesen Band durchaus als ökumenische Religionsdidaktik qualifizieren. Ihr römisch-katholisches Gepräge zeigt sich primär im Bezug auf das Vaticanum II und vor allem den Synodenbeschluss von 1974, der den kirchenamtlich legitimierten und legitimierenden Rahmen abgibt für eine im guten Sinne progressive Religionspädagogik, die sich in überzeugender Reflexion und Argumentation gegen reaktionäre Tendenzen in Kirchen und Religionspädagogik wendet. Der Religionsunterricht, der dabei ins Blickfeld gerät und angedacht wird, ist sicher kein enger konfessioneller Religionsunterricht mehr, sondern stellt sich auf der Grundlage eines weiten Religionsverständnisses eher als offener christlicher Religionsunterricht mit stark ökumenischer und interreligiöser Tendenz dar.

Der wissenschaftstheoretische Rahmen wird in Teil I (15- 104) abgesteckt, der die Religionsdidaktik als "interdisziplinäre Verbundwissenschaft" vorstellt, die "mit den theologischen und den Humanwissenschaften kooperiert, besonders mit den Erziehungswissenschaften" (13). Im Konsens mit der herkömmlichen modernen Religionspädagogik wird dieses wissenschaftliche Selbstverständnis mit seinem bekannten methodischen Dreisatz aus Hermeneutik, empirischer Analyse und Ideologiekritik plausibel dargestellt und mit einer großzügigen Konzeptionenschau von Abraham bis zum Synodenbeschluss von 1974 verbunden, um sich dann mit den "gesellschaftlichen Herausforderungen" (I,4) und schließlich den "allgemeindidaktischen Ansätzen einer zeitgerechten Religionsdidaktik" (I,5) auseinander zu setzen. Interessant, weil relativ neu im religionsdidaktischen Konzert, ist dabei der Versuch, neben bildungstheoretischer und kommunikationsdidaktischer Perspektive die "konstruktivistische Sicht" didaktisch in Anschlag zu bringen. Auch wenn dabei nur "ein gemäßigter Konstruktivismus vertreten" wird, dürften sich an dieser Sicht am ehesten religionsdidaktische Diskussionen entzünden. Das vor allem auch deshalb, weil die Verfasser die konstruktivistische Perspektive ganz entschieden und konsequent in Richtung auf ihren leitenden didaktischen Glaubenssatz, die "Subjektorientierung", hin auslegen und verstehen.

Im "Teil II: Religiöse Bildung und Erziehung am Lernort Schule" (105-302) liegt der Akzent denn auch in konsequenter Penetranz auf dem "subjektorientierten religiösen Lernen", das nach Meinung der Verfasser eine Verschiebung "hin zu den Fragen der Aneignung des Glaubens und zur Sensibilisierung für die religiöse Dimension der Wirklichkeit" (13) anzeigt. Für die Leser transparent und geschickt wird dabei das religiöse Lernen am Lernort Schule in 13 Kapiteln an den Grundfragen religionsunterrichtlicher Fachdidaktik nach dem Was, Warum, Wozu und Wie ausgerichtet, wobei diese Fragen sinnvollerweise ergänzt und erweitert werden durch das Fragen nach dem Wo, dem Wann, den Wirkungen, den Beziehungsfeldern, den Rahmenbedingungen und nicht zuletzt nach dem Wer, den "Adressaten als Subjekten religiösen Lernens" (153 ff.). So wichtig diese einst als Paradigmenwechsel gepriesene Subjektorientierung sicher auch ist, so muss sie sich doch die Frage gefallen lassen, ob sie nicht in der Gefahr steht, den didaktischen Pol der Schülerinnen und Schüler zu verabsolutieren und mit der daraus resultierenden Aneignungdidaktik die Eigenständigkeit und Widerständigkeit des Sachpols zu verlieren und darüber das m. E. unverzichtbare Erbe Klafkis, das er uns mit seiner bildungstheoretischen Didaktik einschließlich ihrer kritisch-konstruktiven, nicht konstruktivistischen (!) Phase hinterlassen hat, zu verspielen!? Richtig verstanden kann m. E. bei aller Berechtigung der Aneignungsperspektive keine (Religions-)didaktik von der Vermittlungsaufgabe absehen, was auch die vorliegende Religionsdidaktik nicht tut, wo allenthalben von Vermittlung geredet und gehandelt wird. Offenbar wissen die Verfasser gerade bei dem hohen Anspruch, den sie mit ihrer subjektorientierten Didaktik vertreten, durchaus um die realistische Gefahr, "ein idealisiertes Bild vom Lernen" (264) zu konstruieren.

Vom Umfang her (303-488) am ausführlichsten fällt Teil III aus, der 15 religionsdidaktische Prinzipien präsentiert, die bewusst von den Konzeptionen und ihren dominanten Leitvorstellungen unterschieden werden. Obwohl keine fundierte Religionsdidaktik um eine Auseinandersetzung mit den Konzep- tionen herumkommt (vgl. o. I,3), kann eine solche Orientierung an Prinzipien gerade auch für die Praxis des Religionsunterrichts hilfreich und befreiend wirken. Nach Art, Gewichtung und Reichweite werden dabei sehr unterschiedliche Formen religionsunterrichtlichen Lernens verhandelt: auf der Linie der Unterrichtsprinzipien herkömmlicher Art etwa "Ästhetisches Lernen" (III,1), "Korrelieren lernen" (2), "Symbollernen" (3), "Biographisches Lernen" (5), "Mystagogisches Lernen" (7) oder auch "Ökumenisches Lernen" (10); stärker inhaltlicher Art "Erinnerungsgeleitetes Lernen" (4), "Biblisches Lernen" (8), "Ethisches Lernen" (9), "Interreligiöses Lernen" (11) sowie "Lernen für die Eine Welt" (12) und rein methodischer Natur "Projektorientiertes Lernen" (13), "Handlungsorientiertes praktisches Lernen" (14) und "Freiarbeit" (15). Hinzu kommt der Beitrag über "Mädchen und Jungen in der Schule" (6), der vollends deutlich macht, wie offen und unfestgelegt die Religionsdidaktik mit dem Prinzipienbegriff umgeht. Aufs Ganze gesehen kommt das der Darstellung der einzelnen Prinzipien nur zugute, weil es prinzipiell vielperspektivische Zugänge eröffnet und es dadurch ermöglicht, Informationen zu vermitteln, Problemhorizonte aufzuzeigen und Praxis-bezogene Anregungen zu geben. Beispielhaft lässt sich das etwa an dem Artikel über "Ökumenisches Lernen" (420-432) verfolgen: Hier ist überzeugend gelungen, was in der vorgegebenen Struktur für die Prinzipien-Kapitel angelegt und angestrebt ist und was den Teil über die religionsdidaktischen Prinzipien mit Recht zum brauchbaren und wegweisenden Kernstück des Buches macht.

Demgegenüber vermittelt der IV. Teil "Religionsunterricht planen und gestalten" (489-524) eher den Eindruck eines restringierten Anhangs, der besonders im Blick auf die konkrete Unterrichtsplanung und -gestaltung nur bedingt brauchbar ist. Hier bleibt am ehesten das bisherige katholische Standardwerk für das religionspädagogische Studium, der von Fritz Weidmann herausgegebene Leitfaden "Didaktik des Religionsunterrichts" (1979, Neuausgabe 7. Aufl. 1997) der "Religionsdidaktik" überlegen. Interessant ist aber deren Schlussteil insofern, als man in ihm die unterrichtspraktische Probe aufs Exempel konstruktivistischer und subjektorientierter Didaktik erlesen kann. Was hier im Sinne eines "konstruktivistischen Ansatzes" im Blick auf die Schüler und Schülerinnen (494) und den Unterrichtsaufbau (514 f.) herausgestellt wird, unterscheidet sich freilich nur unwesentlich von dem, was bewusste und sensible Schülerorientierung schon immer bei der Analyse des didaktischen Bedingungsfeldes und der didaktischen Analyse selbst in Anschlag gebracht hat. Im Übrigen kann man dem - in guter Tradition weiterhin an W. Klafki orientierten - "Konzept der Elementarisierung" als Kern aller Unterrichtsvorbereitung (493 ff.), wie es vom Verf. des Schlussteiles vertreten und verfolgt wird, nur zustimmen, denn mit ihr und ihrer "sachanalytischen Klärung" ist die oben angefragte und befürchtete didaktische Schieflage einer einseitig subjektorientierten Aneignungsdidaktik ausgeschlossen und gleichzeitig sichergestellt, dass die Elementarisierung theologischer Inhalte stets im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler vor- und wahrgenommen werden muss. Dies mit seinen Ausführungen über die "Didaktische Analyse", die Lehrpläne, die Gestaltung und "Rhythmisierung des Unterrichts", die "Kooperationsmöglichkeiten" und die "Kooperative Unterrichtsplanung" unmissverständlich klar gemacht zu haben, ist das Verdienst des IV. Teils der Religionsdidaktik.

Mit einem umfangreichen, relativ korrekten Literaturverzeichnis, einem hilfreichen Stichwortregister und Angaben über die Verfasser, Schriftleiter und Mitarbeitenden wird ein Buch abgerundet, das trotz seines voluminösen Umfangs gut und spannend und - so bekennt der Insider - über weite Strecken sogar lustvoll zu lesen war. Das verdankt das Buch nicht nur der verständlichen Sprache und mehrenteils griffigen Formulierungskunst der Autoren, sondern auch dem überlegten Aufbau der Einzelkapitel und ihrer drucktechnisch transparenten Struktur. Die dunkel unterlegten Einführungen und Problemanzeigen zu Beginn jeden Kapitels, der durchgängig gleichbleibende Numerierungsmodus, die bedachten Petitsetzungen und die Zusammenfassungen am Schluss der Einzelbeiträge tragen wesentlich dazu bei, dass der Band auch für Studierende handhabbar und nutzbar wird. Dabei ist er sicher weniger geeignet als Arbeitsbuch und Kompendium für die Examensvorbereitung, wohl aber, wie er mit Recht beansprucht, als "Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf".

Der Zugang zu der "Religionsdidaktik" verlangt keine kursorische Lektüre von der ersten bis zur letzten Seite, sondern kann über Einzelkapitel - möglichst die, welche einen selbst am meisten interessieren - erfolgen. Der Gebrauch des Buches in Seminaren kann sich je nach Thema auf die entsprechenden Einzelkapitel beziehen und verspricht meist solide und aktuelle religionsdidaktische Information. Alles in allem ist mit der besprochenen "Religionsdidaktik" ein Buch vorgelegt worden, welches mit Fug und Recht als religionspädagogisches Standardwerk gewürdigt werden kann, das in vergangenheitsbewusster Bilanz und zukunftsoffener Gegenwartsrelevanz die wissenschaftliche Religionspädagogik für die nächsten Jahre angemessen zu repräsentieren weiß. Den Autoren, vor allem Georg Hilger, Stephan Leimgruber und Hans-Georg Ziebertz, gebührt dafür großer Dank, der ihnen in ökumenischer Weite und Wahrheit ausdrücklich auch von evangelischer Seite gesagt sei!