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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

961 f

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Bohne, Jürgen, u. Annegrethe Stoltenberg [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Zukunft gewinnen. Evangelische Schulgründungen in den östlichen Bundesländern in den Jahren 1996-2001.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001. 255 S. m. Abb. gr.8. Kart. Euro 28,00. ISBN 3-525-61398-9.

Rezensent:

Dietlind Fischer

Gründungsgeschichten sind aufregend. Auch die Geschichte der Schulgründungen in den neuen Bundesländern ist ein aufregendes Kapitel evangelischer Schulpolitik, das sich in diesem Band passagenweise so spannend wie eine Abenteuergeschichte liest.

Die Herausgeber, der Geschäftsführer und die Vorstandsvorsitzende (bis 1999) der Evangelischen Schulstiftung der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland), hatten eher eine Rechenschaftslegung im Sinn und den Nachweis einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. In den ersten fünf Jahren nach der Wende wurden sechs evangelische Schulen in den östlichen Bundesländern gegründet. Mit der Errichtung der EKD-Schulstiftung 1994 konnten die evangelischen Schulinitiativen besser unterstützt und gefördert werden: Bis 2001 wurden 40 Schulen neu gegründet, die meisten davon als Grundschulen.

Aufgabe der Schulstiftung, die inzwischen von der EKD und von 19 Landeskirchen mit einem Stiftungskapital von 7,5 Mio Euro ausgestattet wurde, ist ein breites Spektrum der Beratung von Schulgründungsinitiativen, der Unterstützung bei den Anträgen zur Zulassung und Anerkennung durch den jeweiligen Staat, bei der Haushaltsplanung und Anschubfinanzierung sowie bei der Vernetzung und Fortbildung von Schulleitungen und Lehrkräften.

Was sind das für Schulen, die in einer weitgehend säkularisierten, postkommunistischen Gesellschaft gegründet werden? Welche Motive bewegten die Schulgründer und -gründerinnen und die Träger? Welche Schwierigkeiten galt es zu überwinden? Darauf geben die Beiträge umfassende und perspektivenreiche Antworten.

Evangelische Schulen stehen als Schulen in freier Trägerschaft neben und zum Teil auch an Stelle der staatlichen Schulen. Sie sind als öffentliche Schulen Ausdruck eines demokratischen und zivilgesellschaftlichen Engagements von Eltern, Schulvereinen, Kirchengemeinden und Landeskirchen. Als Alternative zu staatlichen Schulen machen die allgemeinbildenden evangelischen Schulen Bildungsangebote, die gleichwertig, jedoch nicht gleichartig sein sollen. Das eigene Profil evangelischer Schulen ist deshalb nicht nur im verpflichtenden Religionsunterricht zu finden und in einem Schulleben, das Feste und Feiern auch an den Festen des Kirchenjahrs orientiert, sondern auch in dem Anspruch, die religiöse Dimension als Frage nach Sinn und Werten in den einzelnen Unterrichtsfächern mit zu thematisieren. Unterrichten im "problemorientierten, christlichen Aufmerksamkeitshorizont" nennt K. E. Nipkow diese Intention. Evangelische Schulen wollen insbesondere auch pädagogisch "gute" Schulen sein. Die Grundschulen greifen zurück auf reformpädagogische Traditionen einer ganzheitlichen, selbstständigkeitsfördernden Erziehung und Bildung, die die Lernbedürfnisse der verschiedenen Kinder in den Mittelpunkt stellt. Die Integration von Kindern mit Behinderungen hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Auch das Lernen an Lernorten außerhalb der Schule, praktisches Lernen, die Zusammenarbeit von Schule und Hort sowie jahrgangsübergreifende Stammgruppen prägen die Konzeptionen der Grundschulen. In weiterführenden Schulen ist ein sozial-diakonisches Profil ein besonderes Merkmal. In vielen Fällen ist eine der ersten Schulgrün- dungen nach der Wende, das Evangelische Schulzentrum in Leipzig, zu einer ideengebenden Mutterschule für die späteren Gründungen geworden.

Für die Elterninitiativen spielt das Bedürfnis nach einer christlichen Erziehung deshalb eine Rolle, weil sie mit der christlichen Ethik auch andere Wertvorstellungen verbinden und eine andere Pädagogik, die sich unterscheidet von den Haltungen der Lehrkräfte an staatlichen Schulen. Für die Landeskirchen, Schulvereine und Kirchenkreise als Schulgründer spielt die gesellschaftsdiakonische Verantwortung und missionarische Chance eine besondere Rolle.

Schulen kann man nicht gründen wie einen Handwerksbetrieb oder ein Geschäft. Der Herstellung schulischer "Betriebsfähigkeit" und pädagogischer Funktionstüchtigkeit geht ein aufwändiger Prozess lokaler und regionaler Meinungsbildung, Bündelung und Verhandlung von Interessen, struktureller und bildungspolitischer Klärung und Aushandlung voraus. Die Beiträge der landeskirchlichen Schulreferenten, der Schulträger und der Verantwortlichen der EKD-Schulstiftung legen von diesen Prozessen ein beredtes Zeugnis ab. Dabei werden auch die Schwierigkeiten nicht verschwiegen: innerkirchliche und theologisch begründete Widerstände gegen evangelische Schulen, problematische kommunalpolitische Kontexte, die Beschäftigung von nicht-christlichen Lehrkräften, die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Begleitung bei der Entwicklung des evangelischen Anspruchs und die reformatorische Erinnerung an den Zusammenhang von Glaube und Bildung werden in den Beiträgen genannt.

Man muss den Herausgebern als Gründungs-Helfern und Schulentwicklungs-Managern hohen Respekt und Anerkennung zollen für ihre strukturierende und häufig genug erfinderische Arbeit im Spannungsfeld von Pädagogik, Politik und Kirche. Schulgründungsinitiativen zu beraten und auf den Weg zu bringen bedeutet - das wird in den Beiträgen deutlich -, Fundamente für einen Prozess der Institutionalisierung Evangelischer Schulen zu legen und darin das "Zukunft gewinnen" für die künftigen Schülerinnen und Schüler Gestalt werden zu lassen. Man darf gespannt sein auf eine Fortsetzung: die Beschreibung der Weiterentwicklung und längerfristigen Bewährung evangelischer Schulen in den östlichen Bundesländern.