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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

958–960

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wolf-Withöft, Susanne

Titel/Untertitel:

Predigen lernen. Homiletische Konturen einer praktisch-theologischen Spieltheorie.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2002. 284 S. gr.8 = Praktische Theologie heute, 58. Kart. Euro 29,80. ISBN 3-17-017594-7.

Rezensent:

Thomas Klie

Spiel ist en vogue. Nach der Hausse spieltheoretischer Diskurse im Kontext der Befreiungstheologie der 1970er Jahre kann nun offenbar wieder darauf reflektiert werden, was, wie und wo in der Kirche "gespielt" wird. Religiöser Pluralismus schafft Bedingungen, unter denen eine spielförmige Hermeneutik nicht länger mit dem Makel des Uneigentlichen behaftbar ist. Wenn nun eine Autorin "in der gegenwärtigen Hochschuldidaktik mehr Spielwagnisse" fordert, dann muss sich die vorgelegte "homiletische Spieldidaktik" nicht nur der - spieltheoretisch fundamentalen - Frage nach dem Verhältnis von (spielerischer) Freiheit und (homiletischer) Zwecksetzung stellen. In ihr muss zugleich auch der (praktisch-)theologische Ort des Spielens vermessen werden. Beiden Anforderungen wird Susanne Wolf-Withöft in ihrer Bonner Dissertation in vollem Umfang gerecht.

Motiviert ist diese Arbeit durch die praktischen Erfahrungen der Autorin in Lehrveranstaltungen zum "Predigen lernen" (15), und ihr Ziel ist es, "zukünftige Pfarrerinnen und Pfarrer zur Spielvirtuosität" in der gemeindlichen Predigt-Praxis zu ermutigen (251). Motivation und Intention kommen also zur Deckung.

"Predigen lernen" verdankt sich in erster Linie den neueren rezeptionsästhetischen Diskursen innerhalb der Praktischen Theologie. Als Gewährsleute werden hier v. a. Grözinger, Martin, Gutmann und Zilleßen zitiert. Die Untersuchung nimmt für sich in Anspruch, teilzuhaben an der Bewegung weg von der sog. "Prediger-Homiletik" der 70er und der "Hörer-Homiletik" der 80er hin zu einer zeitgemäßen "Predigt-Homiletik". Der "irritierend ... geringe Anklang" gerade der jüngsten Predigtkonzepte in der hochschuldidaktischen Praxis gründet nach Meinung der Vfn. darin, dass Vermittlungsfragen traditionell nur unter formalen Aspekten verhandelt werden. Über die Kategorie des Spiels sollen sie nun in die prinzipielle Homiletik "hinüber(ge)holt" werden (17). Diese Intention zeigt sich in der Abfolge der insgesamt fünf Abschnitte. Der erste Teil ("Spielfelder und Mitspieler") bietet eine (knappe) Phänomenologie des Spiels sowie einen (ausführlichen) Forschungsüberblick. Daran schließt sich ein Erfahrungsbericht aus dem Wuppertaler Homiletik-Seminar an ("Bei-Spiel"). Im dritten Abschnitt ("Spiel-Züge") werden die hieran gewonnenen "Spielhorizonte" kategorial entfaltet: Kult, Bibel, Kunst, Rede, Leib und Gemeinschaft. Der vierte Teil ist das Didaktik-Kapitel ("Sich-Einspielen"), und in dem (sehr knappen) Abschlusskapitel ("Nach-Spiel") werden "Impulse der homiletischen Spiel-Didaktik für eine nachhaltige Homiletik" formuliert.

Die in den verschiedenen kultur-anthropologischen Spieltheorien hervorgehobene Dynamik und Emergenz des ludischen Geschehens reflektiert W.-W. (mit H.Weder) anhand des "Energie"-Begriffs: "Spiel ist eine Energiequelle" (28), sein "immanent vorhandene[r] Energiehaushalt [kann] nicht verbrauch[t]" werden (30). Die Problematik einer praktisch-theologischen "Energetik" im o. g. Sinne liegt dabei weniger im Rekurs auf die Vielfalt neutestamentlicher Bezüge als vielmehr im Verschleifen des rezeptionsästhetisch prekären Gegensatzes zwischen einer selbstwirksamen, numinosen (Spiel-)Potenz und einer beobachter- bzw. teilnehmerrelativen (Spiel-)Funktion. Letztere ist homiletisch operationalisierbar, erstere kann letztlich nur beschworen werden. Dass diese Unschärfe bewusst in Kauf genommen wird, zeigt sich u. a. auch in der Beschreibung der insgesamt sieben "Spiel-Energien": Während die Vfn. im Zusammenhang mit "Regeln", "Gemeinschaft" und "Raum" die Einbindung des Spiels in semiotische Kommunikationsprozesse voraussetzt, werden die übrigen energetischen Felder "Bewegung", "Kunst", "Zeit" und "Sprache" als eher ontologische Größen verhandelt. Spiel definiert sich gerade nicht als ein "Reflexionsinstrument", sondern als eine "Wirkform", eine gleichsam kraftgeladene Sphäre. Ihr "medialer Charakter" äußert sich in "Impulspotentialen" (18 f.). Dieses theoretische Postulat erhält mit der Darstellung der spieltheoretischen Predigtseminare (II.) deutliche praktische Konturen. Anlage und Dramaturgie zeigen an, dass hier Homiletik und Didaktik im Modus einer spielerisch angeleiteten "Kunstlehre" miteinander "versprochen" werden. Die liturgische Rahmung der Kanzelrede ("Kult-Spiel"; 127 ff.) findet hier ebenso Berücksichtigung wie der Inszenierungsgedanke ("Kunst im Spiel"; 158 ff.) oder der Aspekt der Leiblichkeit ("Leib-haftig im Spiel"; 181 ff.). Die Rolle der Hörerinnen und Hörer kommt jedoch leider entschieden zu kurz (vgl. 239 ff.).

Das Fazit der Vfn.: Alle diskutierten predigt-didaktischen "Spielfelder und -regeln" zeichnen sich durch ein hohes Maß an "Ludibilität, im Sinne von homiletischer Spielfähigkeit und Anspielbarkeit" aus (201). Die sich daraus ergebenden Lernprozesse versperren sich deshalb "einer curricularen Verfügungsdidaktik" - viel eher lassen sie sich einem experimentellen "cross-over" zuordnen mit dem Ziel einer pastoralen "Performance-Kompetenz" (201 ff.). Die Frage, inwieweit hier ein Zirkelschluss vorliegt, mag angesichts der Methodenvielfalt und der didaktischen Finesse dieses Praxismodells durchaus unbeantwortet bleiben. Kontraproduktiv ist allerdings die Häufung konnotativ-dekorativer Sprachformen. Was dem ästhetischen Leser ein besonderes Lesevergnügen bereiten mag, wird den theoretisch Interessierten eher irritieren. So z. B. S. 203: "Dabei sind homiletisch didaktische cross-overs als Synkretismus stets synergistisch, ist Predigt immer synärger." Eine wissenschaftliche Schau (theoria) auf einen ebenso offenen wie disparaten Gegenstand, die sich in Formen ergeht, die dessen Offenheit und Disparatheit lediglich tautologisch apostrophieren, mindert dessen Didaktisierungschancen enorm. Doch um genau die geht es der Vfn. (205 ff.).

Die Vfn. hat eine insgesamt profilierte und kenntnisreiche Spieltheorie vorgelegt. Es gelingt ihr, das Gesamt des Predigtvollzugs sinnvoll zu elementarisieren, in dem sie es sub specie ludi aufordnet. Souverän belegt sie ihre Erkenntnisse aus der ganzen Breite der relevanten Literatur. Aufschlussreich ist hier v.a. die Rezeption der nordamerikanischen Spieldiskurse. Mit ihrem Schwerpunkt auf hochschuldidaktischen Fragen schließt die Vfn. nicht nur eine Forschungslücke, sie relativiert auch die Lernort-Divergenzen zwischen Universität und Predigerseminar bzw. Pastoralkolleg.