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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

937–939

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Sgubbi, Giorgio

Titel/Untertitel:

L'intelligenza del mistero. Dialogo con Eberhard Jüngel. Prefazione di W. Kasper.

Verlag:

Rom: Città Nuova 2000. 424 S. 8 = Collana di teologia, 40. Kart. Euro 29,95. ISBN 88-311-3340-3.

Rezensent:

Barbara Bordato

Der Vf., Dozent für Metaphysik und Fundamentaltheologie in Bologna (Studio Teologico Accademico Bolognese), bietet eine Rekonstruktion der Theologie Jüngels, die nach dem Vorwort Walter Kaspers "ein Beispiel von ökumenischem Dialog" (9) ist. Wo der Dialog notwendigerweise stockt, da Jüngel eine ungenügende Kenntnis des Werk des Aquinaten vorzuwerfen sei und er ihn oft nur flüchtig behandle (z. B. 220.243.249.369), dort ist der Vf. immer bereit, die Lücke auszufüllen (Präzisierungen über die Schöpfung im katholischen Verständnis: 107-115. 228-234.228-234; über die preambula fidei und die Beweise Gottes: 197-203.213-219) und entweder zu zeigen, dass eine Nähe zu den Ergebnissen der mittlerweile auch christologisch entfalteten katholischen Theologie übersehen werde, oder die Positionen zu diskutieren, die von deren Standpunkt aus inakzeptabel sind.

Anstatt die Hauptpunkte seiner Darstellung zusammenzufassen, scheint es mir daher fruchtbarer, den kritischen Bemerkungen als dem expliziten Ort des Dialogs nachzugehen. Sie zeigen nämlich, dass aus katholischer Sicht die problematischsten Momente der Theologie Jüngels die Identifizierung von Protologie und Staurologie und die daraus folgende radikale Kritik an der natürlichen Theologie bzw. Metaphysik der Subjektivität (sie "sind wesentlich synonym", 174.246) sind. Die sich so ergebende Alternative zwischen theologia naturalis und theologia revelata erscheint dem Vf. als künstlich, da die Christusoffenbarung die Welt als die schon immer auf die Geschichte Gottes mit dem Menschen hingeordnete Schöpfung qualifiziert. Die Gliederung der Darstellung lässt diesen Blickwinkel erkennen: I. Die Bestimmungen des christlichen Gottes und ihre Konsequenzen [Hegel und Jüngel], 11-91; II. Die theologische Zirkularität zwischen Schöpfung, Offenbarung und Vernunft, 92-157; III. Die natürliche Theologie und ihre Aporien, 158-249; IV. Von der Analogie zur Entsprechung: Barth und Jüngel, 250-334; V. Die Überwindung der natürlichen Theologie durch eine "natürlichere" Theologie: von der Metaphysik zur Hermeneutik, 335-370; VI. Schlusswörter, 371-394.

Einer der häufigsten Kritikpunkte an Jüngel, den auch der Vf. ausführt, betrifft die Ablehnung eines Rahmenbegriffes für das Verstehen Gottes, dessen Offenbarung diesen Begriff korrigiert (88-91.155-157.164-169.189-193). Der Vf. fordert eine gerechtere Anerkennung der natürlichen Kenntnis Gottes, die nicht mit der natürlichen Theologie rationalistischer Prägung zusammenfällt (117), und der notwendigen Rolle des "Gottes der Philosophen", die nicht Absehen von der Offenbarung und Wille zur Selbstbegründung besagen muss, wie es sich für Jüngel aus der Lehre Luthers bzw. Heideggers zu ergeben scheint (z. B. 157.230-231.365-367). Verantwortlich für die Ablehnung der natürlichen Kenntnis Gottes ist für den Vf. die Nichtunterscheidung zwischen der ontologischen und der gnoseologischen Ordnung (191). Begründet diese Unterscheidung doch die Notwendigkeit der Beweise der Existenz Gottes, weil Gott als prima causa der Vernunft nicht unmittelbar evident ist, obwohl in jeder Kenntnis implizit. Die Position Jüngels folgt hingegen aus der Lozierung des Glaubens in Gott, wo die Spaltung von Subjekt-Objekt aufgehoben wird; das theologische Denken sollte dann seinerseits als Ent-sprechen diese Spaltung neutralisieren. Die Ablehnung des transzendental-anthropologischen Ansatzes lässt die Theologie Jüngels als "Theologismus" erscheinen (155), der wegen des von Luther übernommenen Konfliktes zwischen Natur und Gnade die Verantwortlichkeit der autonomen Vernunft nicht genügend berücksichtigt (154-157). Diese wird eben dadurch legitimiert, dass sie "reine und passive Bestimmbarkeit" durch das Wort Gottes sei (153), wofür es keine, nicht unmittelbar mit Begründungen gleiche "Gründe" gebe. Solche Gründe könnten die Erfüllung menschlicher Erwartungen sein, die ihrerseits ein Vorverständnis Gottes verlangen (155). Nun werden gute Gründe für den Glauben auch von Jüngel angeführt. Sie sind aber nicht von der Art, dass sie in externer Perspektive überzeugen können oder sollen, ehe das Hören des Wortes selbst zum Ereignis wird. Das schließt theologisches Denken nicht aus, sondern als Einladung zum Hören und nur dann zum Verstehen gerade ein.

In Hinblick auf die Kritik Jüngels an den neuzeitlichen Gottesgedanken macht der Vf. Heideggers Interpretation der ontotheologischen Verfassung der Metaphysik, die Jüngel stark beeinflusst hat, dafür verantwortlich, dass er die thomanische erste Philosophie als "Wissenschaft des Ereignisses Gottes" nicht anerkannt habe (194-197). Wenn diese das Seiende als Gabe bzw. als etwas ansieht, das auch nicht hätte sein können, dann gibt es "keinen Widerspruch", sondern "Reziprozität" zwischen der Freiheit der Schöpfung und dem Ereignis des Wortes Gottes (197). Schöpfung ist nicht einfach kosmologisches Werden aus dem Nichts (112.366), darin sollten sich Theologen beider Konfessionen einig finden.

Was der Vf. vor allem problematisch findet (die Position Barths wäre "weniger radikaler, aber vielleicht vertretbarer", 333), ist die staurologische Bestimmung der Schöpfung bei Jüngel, die nicht mehr Vorbereitung für die Gnade, sondern die Ek-sistenz Gottes vom Kreuz in das Nichts als Sieg über den Tod ist (vgl. Gott als Geheimnis der Welt, 13). Jüngels Bestimmung der Schöpfung finde keine biblische Bestätigung (125) und habe ihre klaren Grenzen im Schweigen über die Erbsünde (64- 67.122-123). Der Einfluss Hegels, der religionsphilosophisch in einer pantheistischen Interpretation der Schöpfung die moderne Entzweiung von Gott und Welt zu überwinden suchte, ist für den Vf. hier am deutlichsten (24-37), obwohl hervorgehoben werden muss, dass die christologische Identifikation bei Jüngel die Unterschiedslosigkeit zwischen Gott und Welt genau dadurch vermeidet, dass der Weg der Analogie anstatt der Dialektik eingeschlagen wird (67-73.284-309). Obwohl Jüngel die unbedingte Freiheit Gottes als Liebe betont, läuft das göttliche Drama am Kreuz in Gefahr, "ein vorprogrammierter Prozess" (123) zu werden, in dem die Sünde verschlungen wird. Hier findet der Vf. die "unvollendete Überwindung" Hegels (64). Nur eine Unterscheidung von Schöpfung und Kreuz, von Geschichte und Offenbarung, würde vor dieser Gefahr bewahren.

Zweifellos hat die vorliegende umfangreiche Arbeit ihre Verdienste. Dennoch wird man fragen müssen, ob die Pointe der Theologie Jüngels klar erfasst worden ist. Die folgende Äußerung ist symptomatisch: "Der rigorose protestantische Ansatz [...] hat Jüngel davon abgehalten anzuerkennen, dass einige Momente seiner Theologie, wenn auch anders hergeleitet, in anderer Sprache und anders verarbeitet, seit einiger Zeit schon zum Bestand der katholischen Tradition gehören [...]" (369). Sind denn die Sprache und das Wie des Denkens so leicht zu überspringende Kontingenzen? Fragt man sich, warum sich Jüngel - selbst wenn man die Ergebnisse für kontrafaktisch hält- bemüht, selbst Gott den Schöpfer streng staurologisch zu denken, dann genügt der Hinweis auf die historischen Hintergründe (Luther, Hegel, Heidegger) wohl nicht. Müsste man nicht zumindest seine Absicht ernst nehmen, Gott nach Zarathustras Schrei und dessen theologischer und philosophischer Verarbeitung (Hegel, Bonhoeffer, Heidegger) zu denken, die Notwendigkeit Gottes also von seiner weltlichen Nicht-Notwendigkeit her neu zu denken und sie mit dem Ausdruck "mehr als notwendig" dort zu lozieren, wo sich Möglichkeiten für die Existenz erschließen, nämlich in der Sprache? Ist dieser Umweg über die Sprache dann unnötig? Und wird man nicht - auch wenn das wegen des autoritären Tons dieser Theologie manchmal schwierig zu bemerken ist - auf das Beteiligtsein und den unvermeidlich perspektivischen Charakter des Denkens hingewiesen, das ständig um des Allgemeingültigkeitsanspruchs willen zwischen interner und externer Perspektive unterscheiden muss, um beide nicht zusammenfallen zu lassen und sich so der Herrschaft des Allgemeinen auszuliefern? Die Bemerkungen Jüngels über die "Verkehrung der Wahrheit" in der natürlichen Theologie (vgl. z. B. Entsprechungen, 158-177) scheinen mir jedenfalls auch in dieser Arbeit nicht widerlegt worden zu sein.