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Ausgabe:

September/1998

Spalte:

894 f

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Gerhard

Titel/Untertitel:

Christus im Spiegel der Dichtung. Exemplarische Interpretationen vom Barock bis zur Gegenwart.

Verlag:

Freiburg-Basel-Wien: Herder 1997. 191 S. 8. geb. DM 29,80. ISBN 3-451-26205-3.

Rezensent:

Horst Georg Pöhlmann

Der Freiburger Germanist fragt "nach Spiegelungen des soteriologischen Christus, des Erlösers und Heilsträgers ..." in der Dichtung (11). Er will "einen Beitrag leisten zur Erkenntnis der durchdringenden Kulturbedeutung des Christentums auch in einer sich immer rascher und tiefer säkularisierenden Welt". "Als Christ" möchte er "denkende Christen herausfordern, sich in ihrem Glauben der modernen Welt zu stellen" (19).

Er ventiliert Texte von J. Bidermann ("Philemon Martyr"), F. Hölderlin ("Hymne an die Freiheit", "Der Einzige"), G. Büchner ("Dantons Tod", "Lenz"), W. Raabe ("Pfisters Mühle", "Unruhige Gäste"), C. F. Meyer ("Die Versuchung des Pescara"), G. Keller ("Abend auf Golgatha", "Der Narr des Grafen von Zimmern"), G. Trakl ("Psalm", "Ein Winterabend"), F. Dürrenmatt ("Die Ehe des Herrn Mississippi"), J. L. Borges ("Das Evangelium nach Markus") und T. Dorst ("Die Geschichte der Pfeile").

Die Auswahl wirkt etwas zufällig. Gibt es nicht andere Vertreter der externen Christologie, die ein viel treffenderes Exemplum dichterischer Christusrezeption in unserer säkularen Welt sind wie R. M. Rilke, H. Hesse, F. Kafka, B. Brecht, A. Camus, H. Miller, J. Anouilh, A. Gide, P. Handke, E. Kästner, H. Domin, G. Herburger und F. M. Dostojewski, auf den freilich S. 149 f. in ein paar Sätzen eingegangen wird? Die Texte, die der Autor bespricht, sind weit hergeholt und haben - wie es scheint - kaum die Absicht, Christus widerzuspiegeln - und sei es in spiegelverkehrter Form. Wenn sie überhaupt auf Christus abzielen, dann, um einen Zerrspiegel von ihm zu zeigen, - somit nicht "die durchdringende Kulturbedeutung des Christentums" in einer säkularen Welt nachzuweisen, sondern deren Absage an dieses. So kann ich z. B. beim besten Willen keinen Christusbezug in F. Hölderlins "Hymne an die Freiheit" entdecken. Anders der Vf., der meint: "Die Offenbarung der Göttin Freiheit führt zur gesellschaftlich-politischen Umkehr, zur Revolution. Wie im Christentum die Erlösung durch Christus, so ist hier die Revolution durch die Freiheit Mitte und Zukunft der Geschichte." (36) Ist das nicht eine reichlich formale und äußerliche Analogie, wie man sie bei jedem x-beliebigen anderen Text auch finden kann?

Etwas gewollt und wenig überzeugend finde ich auch die These zu Hölderlins "Der Einzige": "In der soteriologischen Trinität Herakles-Dionysos-Christus sind spezifische Züge des biblischen Christus bewahrt" (63). Trotz einer analogia extrinseca sehe ich hier keinerlei "spezifische Züge" bewahrt. Christus ist nun mal nicht "Herakles Bruder" (Hölderlin). Das Muster wird ebenso überdehnt, wenn in G. Büchners "Dantons Tod" eine Parallele zwischen Christus in dem "Blutmessias" Robespierre gesehen wird (66 f.) oder wenn in seinem "Lenz" Christus die "geheime Leitfigur" von "Lenz" sein soll (90), weil er seinen Passionsweg als Schizophrener und Verächter der "Orthodoxie" und "Gesetzlichkeit" seines Vaters geht (79).

Man könnte als weiteres Beispiel einer Überinterpretation W. Raabes "Pfisters Mühle" nennen. Sein Satz: "Tod heißt der Bräutigam, Nichts heißt die Braut" (94) ist keine kritische Rezeption der Christologie, sondern eine schwarze Messe, ebenso wie in C. F. Meyers "Die Versuchung des Pescara" Pescaras "Seitenwunde" von der Schlacht bei Pavia schwerlich "in Analogie zum Christus in der Passion" (105) zu sehen ist. In G. Kellers "Der Narr des Grafen von Zimmern" suche ich auch vergebens ein Christusmodell, wenn hier der Narr als Ministrant bei der Messe mitwirken muß und bei der Wandlung, da kein Glöckchen zur Hand ist, die glockenbesetzte Narrenkappe schüttelt (118 ff.), um es durch diese Parodie zu ersetzen. Hier soll doch eher das eucharistische Geheimnis als Abrakadabra verhöhnt werden. Mag sein, daß in F. Dürrenmatts "Die Ehe des Herrn Mississippi" in Übelohe Christus als Don Quijote figuriert, der gegen die Windmühlenflügel kämpft (147). Aber ist er das nur von ferne, selbst wenn man eine kritische Rezeption Christi unterstellt? Geht es hier nicht einfach nur um einen Gag?

Das Buch ist spannend zu lesen, und ich habe viel von ihm, inhaltlich wie formal gelernt, trotz des mitunter etwas überladenen und verquollenen Stils. Ich kann aber sein Schlußfazit nicht akzeptieren, das der Vf. nicht eingelöst hat. Er schreibt "In einem Gang durch literarische Texte ... haben sich, so hoffe ich, die Eindringlichkeit und der Facettenreichtum gezeigt, mit denen Christus auch in einer Welt gegenwärtig bleibt, die ihm Zeichen der Entchristlichung zu stehen scheint ... Die Herrschaft Gottes ermißt sich nicht an der Zahl der steuerzahlenden Kirchemitglieder oder der Gottesdienstbesucher; sie ist unermeßlich. Die hier erörterten literarischen Spiegelungen Christi auch in einer säkularen Dichtung bezeugen schon deshalb mehr als bloße Rückzugsgefechte des Christentums, weil der Gott der Christen sich dergestalt offenbart, daß er gerade als Verdrängter siegende Gegenwärtigkeit gewinnt." (160)

Das Buch zeigt in seinen besprochenen Texten eher, daß Christus in der Literatur nicht ernsthaft rezipiert wird. Mit anderen, nichtbehandelten Texten hätte man eher eine kritische Rezeption aufweisen können. Das Buch zeigt, wer Christus nicht ist, und daß alle Christusassoziationen schlechte Analogien Christi sind. Jesus läßt alle Jesusbilder hinter sich. Er ist immer ganz anders.