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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

923–925

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Prolingheuer, Hans

Titel/Untertitel:

Hitlers fromme Bilderstürmer. Kirche & Kunst unterm Hakenkreuz.

Verlag:

Köln: Dittrich 2001. 416 S. m. 59 Abb. 8. Geb. Euro 25,00. ISBN 3-920862-33-3.

Rezensent:

Heinz Hoffmann

Was den Leser erwartet, ist in der Einleitung angekündigt: es ist ein "von Kirche und Korruption, von Kunst und Kriminalität durchsetztes historisches Mosaik". Wenn der Vf. dabei "überwiegend Kirchenkunst und Kunstbarbarei im deutschen Protestantismus" darstellt, so beschränkt er sich darauf, "vor der eigenen Kirchentür zu kehren, bietet aber Anhaltspunkte genug, dass der Katholizismus "die Aufdeckung seiner Kirchenkunstgeschichte" noch vor sich hat (9 f.). Und der Vf. kehrt mit eisernem Besen. Es geht ihm um Offenlegung vergessener oder verschwiegener Tatsachen und Zusammenhänge, und um Entlarvung nachträglicher Beschönigungen. Wie soll man ein "Mosaik" angemessen beschreiben? Um das Bild abzuwandeln: gibt es in einem aus zahlreichen kleinsten Steinchen zusammengesetzten Bild einen "roten Faden"? Zumindest ein Gedanke ist beherrschend: Die protestantische Kirche hat von jeher ein gebrochenes Verhältnis zur bildenden Kunst, und sie hat kei-nen Zugang zur Moderne gefunden, sondern sie entsprechend einem frommen bürgerlichen allgemeinen Geschmack als fremd abgelehnt, wobei es viele Nuancen gibt - unverständlich, unnatürlich, verzerrt, unanständig, gotteslästerlich, vaterlandsverachtend o. ä. So konnte die Machtergreifung Hitlers 1933 als eine Befreiung empfunden werden von Verwirrungen und Zügellosigkeit der letzten Jahrzehnte, besonders aber der Weimarer Zeit. Der Boden war bereitet für die "Säuberungen" der kommenden Jahre - unter "Entartung" subsumiert - und für die Entfaltung einer der deutschen Art gemäßen Kirchenkunst auf dem Weg, "den der Führer gewiesen" hatte.

Zunächst die Übersicht. Das in Umfang und Vielseitigkeit imponierende Werk umfasst etwas über 200 S. laufenden Text, 59 Abb. und 100 S. mit 373 Anm. nebst eingestreuten Exkursen. Ein Namensregister von 16 S. erschließt das Ganze in akribischer Weise. Das Material ist gegliedert in Quellen (Archivalien, Gespräche, Korrespondenzen und Privatsammlungen) und Medien (Literatur, Flugblätter, Programme sowie Rundfunk- und Fernsehsendungen).

Was in dieser Rez. nicht abgehandelt werden kann, ist 1. das außerordentlich differenzierte Verhältnis von Kunst und Kirche im Protestantismus, besonders in den ersten Jahrzehnten des 20.Jh.s. Da gibt es beim Vf. Pauschalisierungen und Etikettierungen, die schwer nachzuvollziehen sind. Auch bei Parallelen, die mit "Bildersturm" gezogen werden (107 f.), spricht der Feuilletonist Prolingheuer stärker als der Historiker. 2. Es kann auch unmöglich gewürdigt werden, welche Fülle an Material der Vf. vorstellt, wenn es um Beispiele und Akzente neuer deutscher Kirchenkunst geht (z. B. im Heldischen, Nordischen, Antijüdischen). 3. Auch für die kunstgeschichtliche Seite müssen ein paar Bemerkungen genügen. Vorauszusetzen ist der Sammelband "Die Kunststadt München 1937 - Nationalsozialismus und Entartete Kunst" hrsg. von Peter-Klaus Schuster, München 1937, mit dessen Beiträgen sich der Vf. intensiv auseinandersetzt. Die große Stärke seines Buches ist ja die umfangreiche Befragung von Zeitzeugen, Angehörigen und Nachkommen der Beteiligten. (Ausdrücklich muss hier auf eine Besprechung des Kunsthistorikers Andreas Hüneke verwiesen werden, die demnächst im "Journal für Kunstgeschichte" erscheinen wird.) Auch im Museumswesen rumort es. "Museen im Zwielicht - Ankaufspolitik 1933-1945" (Kolloquium in Köln, Dezember 2001) und "Die eigene Geschichte - Provenienzforschung an deutschen Kunstmuseen im internationalen Vergleich" (Tagung in Hamburg, Februar 2002) - beides ist dokumentiert in Mitteilungen des ICOM Deutschland, 2002/1. Die Debatte gewinnt an Wichtigkeit, je mehr die vorige Generation dahinstirbt.

Nun aber besonders zu dem, was den Kunstdienst betrifft - ein Bereich, bei dem der Rez. "ich" sagen muss, weil er 1974 bis 1995 mit der Leitung des "Kunstdienstes der Evangelischen Kirche" (eine Neugründung 1950!) beauftragt war. Kehren wir also vor der eigenen Kunstdiensttür! Wenn auch die Anfänge des "KUNST-DIENSTES" von 1928 in Dresden immer vor Augen und im Sinn waren (er war ja keine kirchliche Einrichtung gewesen, sondern eine freie Arbeitsgemeinschaft von Menschen aus ganz verschiedenen Berufen, die in evangelischem Sinne die Begegnung mit den geistigen und künstlerischen Strömungen zur Zeit suchten) - so war doch die Entwicklung von 1933 bis 1950 quellenmäßig, gelinde gesagt, im Halbdunkel. Hier habe ich für Erhellung dem Vf. das meiste zu verdanken. Aus Platzgründen müssen Stichpunkte genügen:

Der Umzug von Dresden 1933 ins Johannesstift Berlin-Spandau und die Rolle Gotthold Schneiders bei der Konstituierung als Verein, die eilige Zusammenstellung einer deutschen Ausstellung kirchlicher Kunst für die Weltausstellung in Chicago, im Auftrag des Reichspropagandaministeriums, des preußischen Kulturministeriums und des Evangelischen Oberkirchenrats - es ging um die Reputation des "neuen" deutschen Staates vor der Weltöffentlichkeit! -, die Eingliederung des Kunstdienstes in die Reichskunstkammer, später - parallel dazu die Gleichschaltung des "Vereins für religiöse Kunst", unter dem Namen "Bund für christliche Kunst in der Evangelischen Kirche", die Karriere Winfried Wendlands ab 1933, der Umzug des Kunstdienstes an den Matthäikirchplatz und seine Veranstaltungen im Schloss Niederschönhausen, die Ausstellung zum Fest der deutschen Kirchenmusk 1937 mit Oskar Söhngens Eröffnungsansprache und anderes mehr. Schließlich wird das Schloss Niederschönhausen zum Umschlaplatz für den Verkauf der "Entarteten Kunst".

Hier ist der Ort für eine Zwischenbemerkung: Einige Zeit, nachdem wir 1990 mit dem Kunstdienst in den Berliner Dom umgezogen waren, meldete sich die 85-jährige Frau Gertrud Werneburg. Sie habe 1938 im Schloss Niederschönhausen beim Kunstdienst gearbeitet! - Zur Rückerinnerung ein paar Daten: Am 18. Juli 1937 hatte Adolf Hitler in München die "Große deutsche Kunstausstellung" eröffnet, am Tag darauf in unmittelbarer Nähe Adolf Ziegler, Präsdient der Reichskunstkammer, die Ausstellung "Entartete Kunst". Dann folgte im Sommer und Herbst die beispiellose Aktion der Beschlagnahme, nachträglich im "Einziehungsgesetz" vom 31. Mai 1938 "legalisiert", (dazu Prolingheuer, 118). Etwa 16.000 Werke "entartete Kunst" aus öffentlichen Sammlungen des ganzen Reichs kamen in das Berliner Depot in der Köpenicker Straße, von dort ausgewählt zum Verkauf an ausländische Kunsthändler in den erwähnten Räumen des Kunstdienstes. Und nun folgt das dunkelste Kapitel: der Rest wird nicht, wie geplant in einem Autodafé a' la Bücherverbrennung 1933, vernichtet, sondern unter der Hand verkauft, weitergegeben, angeeignet. Was dann weiter in der allgemeinen Auflösung gegen Kriegsende geschieht, beschreibt der Vf. in den letzten Kapiteln. Er hat Spuren verfolgt bis hin nach Güstrow, Greifswald, Westberlin, in den Schwarzwald, in Berliner Schrebergärten und nach London.

Mit der Andeutung einiger "Mosaiksteine" muss es sein Bewenden haben. Wer an kirchlicher Zeitgeschichte, christlicher Kunst und Ikonographie oder Semantik arbeitet, wird viel Anregung finden (allein schon bei der "Entartung"!). Wer an jeder Stelle des Buches "Ja - aber ...!" rufen möchte oder sich an Verurteilungen oder Bloßstellungen stößt, sollte das Buch gar nicht erst in die Hand nehmen, oder fundierte Erwiderungen schreiben. Aber wer sich ihm aussetzt, wer auch nicht Anstoß nimmt an der oft journalistischen Aufbereitung unumstößlicher Tatsachen, der mag nach heilsamem Schock über die Frage nachsinnen: Was hätte ich "unter dem Hakenkreuz" getan? P.s zorniger Report gilt wohl - mehr als denen, die schuldig wurden - denen, die nie öffentlich und laut gesagt haben: "Wir sind in die Irre gegangen ...". Dem Buch ist viel Verbreitung und kritische Würdigung zu wünschen.