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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

898–902

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lotz-Heumann, Ute

Titel/Untertitel:

Die doppelte Konfessionalisierung in Irland. Konflikt und Koexistenz im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2000. XI, 510 S. gr.8 = Spätmittelalter und Reformation, NR 13. Lw. Euro 99,00. ISBN 3-16-147429-5.

Rezensent:

Martin Ohst

In ihrer ganz außergewöhnlich interessanten und aspektreichen Berliner Dissertation (1998/99; Betreuer: H. Schilling) löst die Vfn. zwei zugleich eng verwandte und doch auch deutlich voneinander unterschiedene Aufgaben: Einmal legt sie die historischen Wurzeln des letzten immer noch akuten gewaltsamen Konfessionskonflikts in Europa offen; zum andern erprobt sie an diesem Beispiel die Erschließungskraft des seit etwa 25 Jahren in der Geschichtsschreibung der Frühen Neuzeit zunächst mit Bezug auf die Territorien und Städte des Alten Reichs entwickelten "Konfessionalisierungsparadigmas" für ein ganz anderes politisch-soziales Gebilde.

In einem ersten Hauptteil steht die erstgenannte Aufgabe im Vordergrund: Ausgehend von den mittelalterlichen Grundlagen wird die Genese des doppelt konfessionalisierten Irland rekonstruiert - bis an den Vorabend des großen Aufstands von 1641. Über diese zeitliche Begrenzung könnte man streiten. Zu rechtfertigen ist sie auf jeden Fall mit pragmatischen Motiven, wenngleich es sicher auch gute Gründe gäbe, die Untersuchung bis zur endgültigen militärischen Niederwerfung Irlands durch Wilhelm von Oranien (1688) auszuweiten. Unstrittig allerdings dürfte es sein, dass der Vfn. in diesem ersten Teil ein höchst gediegenes Stück Geschichtsschreibung gelungen ist. Sehr instruktiv wird zunächst die Forschungsgeschichte auf die sie leitenden Vorverständnisse und Tendenzen hin befragt (19-40). Sodann wird die Ausgangslage der folgenden Entwicklungen skizziert: Irland war im Spätmittelalter ein in sich sehr disparates soziales Gebilde. Die Bevölkerung bestand aus drei Gruppen: den in archaischen Stammesverbänden lebenden gälischen (keltischen) Ureinwohnern, den Nachfahren der anglonormannischen Eroberer des 12. Jh.s, die sich weitgehend den Ureinwohnern angepasst hatten, und endlich der dünnen Schicht später hinzugekommener Engländer, die in den Städten der südlichen Ostküste und deren Hinterland ("The Pale") siedelten. Allein diese drittgenannte Gruppe, im Folgenden in Abgrenzung zu den anglonormannischen Adligen "the Loyal English" und zu später hinzukommenden Siedlern "the Old English" genannt, hatte ein positives Verhältnis zur Herrschaft der englischen Krone (44-58). Auch kirchlich war Irland fraktioniert: Die "Ecclesia inter Anglos" hatte ihr Rückgrat im Episkopat, während in der "Ecclesia inter Hibernos" noch erstaunlich deutlich die besonderen Strukturen der altirischen Mönchskirche fortlebten. Seitens der "Ecclesia inter Anglos" prägte sich das Differenzbewusstsein, wie schon Zeugnisse des 14. Jh.s zeigen, als Überlegenheitsbewusstsein und als Wille zur Abgrenzung aus (58-63).

Mit der Regierungszeit Heinrichs VIII. kam in diese Verhältnisse Bewegung: Irland wurde in Personalunion zum Königreich mit eigenem Parlament; die Herrschaft wurde im Auftrag von König und Parlament ("direct rule") durch einen Vizekönig ("Lord Deputy") ausgeübt, d. h. die Entwicklung zu moderner Staatlichkeit wurde nach englischen Vorgaben und mit englischem Personal vorangebracht. Herkömmliche Herrschaftsverhältnisse wurden in das neue System integriert: Die gälischen und anglonormannischen Adligen wurden in Lehensverhältnisse zum König gepresst, was zu ersten Aufständen und zur ersten planvollen Anlage englischer Siedlungen ("Plantations") führte. Trotzdem blieb der Bereich, in dem die Krone wirklich Macht ausüben konnte, weiterhin auf die altenglischen Gebiete beschränkt. Die Herauslösung der Kirche aus der römischen Obödienz vollzog sich in leichter zeitlicher Verzögerung gegenüber England, und die Maßnahmen wurden erheblich weniger streng durchgeführt: Die Auflösung der Klöster war allein im Kerngebiet der "Loyal English" durchsetzbar, und ein Gutteil des ökonomischen Gewinns floss neuen, aus England kommenden Eliten zu (81-87). Besonders aus kirchengeschichtlicher Perspektive bleibt als Resultat jener Jahre eine Fehlanzeige festzuhalten: Anders als in England oder in Schottland hat sich in jenen Jahren keine indigene protestantische Bewegung in Irland, einem Land mit charakteristischem Defizit an Schulen aller Art, gebildet.

Unter Heinrichs Kindern und Nachfolgern Eduard VI., Maria I. und Elisabeth I. wurde dessen politische und kirchenpolitische Linie fortgesetzt: Die englischen Maßnahmen wurden, zeitlich versetzt und um des Friedens willen deutlich temperiert, nach Irland übertragen. Die Tatsache, dass der staatskirchliche Konformitätsdruck in der Regierungszeit Elisabeths I. in Irland erheblich milder war als in England, führte zu dem zwieschichtigen Resultat, dass die zentrifugalen Kräfte sich erheblich freier entfalten und so gegenseitig verstärken konnten: Breiteste Kreise blieben unbehelligt dem alten Glauben treu, hielten sich allenfalls äußerlich zur Staatskirche und trugen zum Aufbau einer katholischen Untergrundkirche bei. Ihre Söhne schickten sie zur Ausbildung in die intellektuellen Zentren katholischer Reform auf den Kontinent, von woher der Katholizismus in Irland intellektuell und personell gestärkt sowie im Geiste der tridentinischen Reformen geprägt wurde. Auf der anderen Seite fanden puritanische Geistliche, für die die englische Staatskirche keinen Raum bot, Wirkungsmöglichkeiten in der Church of Ireland - die formierte sich so immer mehr zu einem profilierten puritanisch-presbyterianischen Kirchentum, das seinen wesentlichen Rückhalt in der Schicht der "Neu-Engländer" hatte, also bei denjenigen, die im Zuge der Intensivierung der englischen Herrschaft und als Siedler in den "Plantations" ins Land gekommen waren.

Im Norden der Insel kam es zu Adelsrebellionen, die sich zunehmend als Glaubenskämpfe zu Akten "militärischer Gegenreformation" (142 u.ö.) auswuchsen und 1595-1603 in einen förmlichen Krieg mündeten, der trotz des Bündnisses mit den Spaniern in einer Niederlage der Aufständischen endete und die vollständige militärische Kontrolle Englands über Irland besiegelte. Die Besiedlung Nordirlands mit Engländern und Schotten ("Ulster Plantation") wurde erheblich forciert. In der Regierungszeit Jakobs I. unternommene Versuche, das Wirken katholischer Geistlicher zu unterbinden und den Anspruch der "Church of Ireland", die Kirche des Landes zu sein, zu realisieren, bewirkten das Gegenteil ihrer Intention: "Der entscheidende Zeitpunkt war längst überschritten, so dass die Maßnahmen der Dubliner Regierung nur noch die weitere konfessionelle Polarisierung der Gesellschaft zur Folge hatten" (163). Ein politischer Umschwung ereignete sich, als 1632 durch König Karl I. Thomas Wentworth, der spätere Earl of Stafford, zum Vizekönig avancierte. Er exekutierte die auf absolutistische Herrschaft ausgerichtete Politik des Königs in Irland: "Seine Amtszeit wurde für Irland zu einer entscheidenden Epoche, in der viele Konfliktpotentiale sichtbar wurden und an deren Ende die Zuspitzung zu einer der größten Krisen der irischen Geschichte stand" (186). Kirchenpolitisch begünstigte er, wie in England von Erzbischof Laud von Canterbury vorgegeben, den "Arminianismus", d. h. diejenige kirchlich-theologische Richtung, die sich, humanistisch inspiriert, von der schroffen Prädestinationslehre distanzierte und eine straff von König und Bischöfen regierte Kirche mit einem reichen liturgischen Leben favorisierte. Die beiden bislang maßgeblichen kirchlichen Faktoren, die puritanisch geführte "Church of Ireland" und die zwar im rechtsfreien Raum lebende, dennoch die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung repräsentierende katholische Kirche, spielte er geschickt gegeneinander aus, brachte sie aber auch gegen seine Herrschaft auf. Die Rebellion von 1641, die als Volksaufstand der Gälen in Nordirland ausbrach, signalisierte nicht nur das Ende der Herrschaft von Wentworth selbst, sondern leitete auch die Katastrophe Karls I. und die Jahrzehnte der Bürgerkriege ein.

In einem zweiten, eher systematischen Hauptteil bündelt die Vfn. die Erträge ihres ereignisgeschichtlichen Durchganges in systematischen Querschnitten, die die Fragestellungen des Konfessionalisierungsparadigmas auf die Ereignisse und Strukturen der irischen Geschichte anwenden. Zunächst wird unter den Stichworten "Identität, Sprache, Propaganda und Geschichtsschreibung" die Ausbildung der späterhin konkurrierenden kollektiven mentalitätsgeschichtlichen Großformationen untersucht. Entgegen der weitverbreiteten Hypothese einer gleichsam vorgegebenen Wahlverwandtschaft zwischen gälischem Irentum und Katholizismus entwirft die Vfn. ein differenziertes Bild von Identitätsbildungen durch Abgrenzung. Die Altengländer betrachteten die Gälen und die gälisierten Anglonormannen unverhohlen als kulturell minderwertig; daran änderte auch die gemeinsame Frontstellung gegen die Protestanten nichts. Die Neuengländer übernahmen von den Altengländern die Verachtung für die Gälen, bezogen nun jedoch die Altengländer aus konfessionellen Motiven in diese Verachtung ein. Ein Durchdringen protestantischen Christentumsverständnisses konnte unter diesen Umständen nicht stattfinden. Die katholische Seite fing dann seit dem frühen 17. Jh. an, Bibel und Katechismen ins Gälische zu übersetzen, und machte damit ihren missionarischen Vorsprung uneinholbar (219-262).

Unter dem Titel "Multiplikatoren und soziale Netzwerke" wird sodann die Ausbildung von sozialen Führungsschichten diskutiert: Im Vergleich mit England wird deutlich, dass die Ansprüche an die Untertanen in Bezug auf eidliche Loyalitätsverpflichtungen erheblich milder ausfielen:

Während in England seit der Frühzeit der Regierung Elisabeths I. immer wieder neue eidliche Bekundungen der Treue zur Königin und zur Staatskirche verlangt wurden, blieb es in Irland jahrzehntelang bei einem vergleichsweise weit formulierten "oath of supremacy" (264). Die "39 Articles", die Bekenntnisgrundlage der englischen Staatskirche, wurden von der "Church of Ireland" nie übernommen. Hier blieb es seit 1566 bei den knappen, bis auf wenige protestantische Grundzüge sehr unbestimmten "12 Articles", die erst 1615 durch ein konsequent puritanisches Bekenntnis ersetzt wurden - die Bekenntnisbildung stand hier am Abschluss des kirchlichen Formierungsprozesses und nicht an dessen Anfang. Dieser Formierungsprozess war allerdings, wie die Vfn. mehrfach betont, nicht von einer indigenen protestantischen Bewegung getragen und entfaltete deswegen nie wirklich eine expansive Dynamik (konzentriert 290-292), durch die er in die sozialen Netzwerke dauerhaft hätte eindringen können (296-306). So stehen sich spätestens seit dem frühen 17. Jh. zwei weitgehend selbstbezügliche und gegeneinander abgegrenzte konfessionelle Lebenswelten gegenüber (306-316).

Der nächste Untersuchungsgang ist der Rolle der Bildungsinstitutionen in diesem Prozess gewidmet. Das Schulwesen, so arbeitet die Vfn. heraus, war in Irland nicht Voraussetzung, sondern Resultat des Konfessionalisierungsprozesses. Das gilt auch für die akademische Bildung. Zunächst schickten wohlhabende altgläubige Iren ihre Söhne zum Studium auf katholische Universitäten des Kontinents. Die Gründung des Trinity College in Dublin (1592) verdankte sich der beharrlichen Initiative der wenigen entschieden protestantischen Familien der Stadt; von Anfang an eignete ihm der "Charakter als neuenglisch-protestantische Institution" (352), deren katholische Gegenstücke sich auf dem Kontinent befanden (353-357). Das folgende Kapitel "Konfessionsbildung und Disziplinierung in einer konfessionellen Konkurrenzsituation" resümiert zunächst noch einmal die Geschichte der allmählichen konfessionellen Formierung der "Church of Ireland" (Zusammenfassung 374). Sodann wird deutlich, inwiefern der Status der faktischen Minderheitskirche die Expansionsmöglichkeiten dieses Kirchentums restringierte: Es gab kaum protestantische Inhaber von Patronatsrechten, die auch auf dem Lande für ein Netz kompetenter Pfarrer hätten sorgen können. Umgekehrt ließen katholische Grundherren ihre offiziellen Pfarren vielfach vakant und unterhielten vom eingesparten Geld im Untergrund arbeitende Geistliche oder Ordensleute. Die Konflikte zwischen den letztgenannten Gruppen setzten weiterhin die Spannung zwischen der ecclesia inter anglos und der ecclesia inter hibernos fort:

Die Säkularkleriker waren Exponenten der altenglischen Traditionen und beförderten die Umsetzung der tridentinischen Reformen, während sich die Ordensleute eher dem herkömmlichen kirchlichen Leben ihrer gälischen Gemeinden verpflichtet wußten (391). Mit dem Thema "Disziplinierung" ist das wichtigste Bewährungsfeld für die These von der Funktionsäquivalenz der frühneuzeitlichen Konfessionssysteme angesprochen: In beiden sich bildenden Konfessionskulturen Irlands standen dieselben Reformanliegen im Vordergrund wie auf dem Kontinent: Intensivierung der Pfarrseelsorge, Motivation der Gemeindeglieder zur regelmäßigen Teilnahme am kirchlichen Leben, Durchsetzung des öffentlich-rechtlichen Charakters der Ehe (396 f.) - übrigens, was wohl nicht immer deutlich genug gesehen wird, sind das alles Anliegen, die (spätestens) seit den Reformbewegungen des 15. Jh.s etabliert waren; alle Konfessionskirchen realisierten hier, freilich in charakteristisch verschiedener Weise, gemeinsames Erbgut. Eine spezifisch irische Gemeinsamkeit zwischen den Konfessionen sieht die Vfn. in dem gemeinsamen Willen, insbesondere die Gälen zu "disziplinieren", d. h. zur Abkehr von ihren traditionalen, von beiden Seiten als minderwertig eingestuften Lebens- und Verhaltensmustern zu bewegen (konzentriert 405). Auf Seiten der "Church of Ireland" verquickten sich diese Ziele mit dem Kampf um die Realisation ihres Anspruchs, die einzige Kirche Irlands zu sein. Dieser Anspruch erwies sich als nicht realisierbar, und so beförderten die ihrer Primärintention nach auf die gesamte Gesellschaft zielenden Disziplinierungsmaßnahmen lediglich die Ausbildung einer Konfessionskultur, die in Dauerkonkurrenz zur anderen stand (418 f.).

Es sei noch einmal wiederholt: Als Geschichtsdarstellung ist das Buch im höchsten Maße gelungen und schließt eine wichtige Lücke in der deutschen kirchen- und allgemeingeschichtlichen Literatur. Aber auch den Diskussionen über das Konfessionalisierungsparadigma dürfte die Vfn. neue Impulse gegeben haben, von denen abschließend einer wenigstens kurz angedeutet sei: Immer wieder weist die Vfn. auf Parallelen zwischen irischen Vorgängen und solchen Prozessen im Reich hin, die für Konfessionalisierungsvorgänge typisch sind. Aber inwieweit hat in der irischen Gesellschaft eigentlich überhaupt eine Konfessionalisierung einer konfessionell und kulturell zuvor einheitlichen Gesellschaft stattgefunden? Der schon im Mittelalter verfestigte kulturelle Graben zwischen den Gälen und den ihnen akkulturierten Anglonormannen einerseits, den "Altengländern" der Küstenstädte und ihrer Peripherie anderseits ist bestehen geblieben. Die Konfessionalisierung der Neuengländer, der Angehörigen der landfremden Eliten und der Siedler in den Plantations, die den konfessionellen Gegensatz weit aufrissen, war kein spezifisch irisches Phänomen, sondern hatte schon in England bzw. Schottland stattgefunden. Allein im Falle der gesellschaftlich hochstehenden Familien Dublins, die einerseits die wenigen indigen irischen Protestanten, anderseits entschiedene Katholiken hervorgebracht haben (vgl. z. B. 130-132), sind doch im engeren Sinne Fälle spezifisch irischer Konfessionalisierung greifbar.