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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

897 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Godly Magistrates and Church Order. Johannes Brenz and the Establishment of the Lutheran Territorial Church in Germany, 1524-1559. Text Selected, Translated, and Edited by J. M. Estes.

Verlag:

Toronto: Centre for Reformation and Renaissance Studies 2001.VI, 219 S. m. Abb. gr.8. Kart. CAN$ 17,50. ISBN 0-7727-2017-7.

Rezensent:

Martin H. Jung

James M. Estes, emeritierter Professor für Geschichte des Victoria College an der Universität von Toronto, hat sich als englischsprachiger Reformationshistoriker Verdienste sowohl um die Erforschung des Werkes von Brenz als auch um Philipp Melanchthon erworben. Bei dem zu rezensierenden Band handelt es sich um eine Textsammlung, in der E. von ihm selbst ins Englische übersetzte Brenz-Texte Lehrenden und Studierenden an die Hand geben möchte, um sie am Beispiel von Brenz und der württembergischen Kirche mit den theoretischen und praktischen Grundlagen der lutherischen Territorialkirchengeschichte in Deutschland bekannt zu machen. In einer gelungenen Einleitung macht E. seine Leser zunächst mit der Biographie von Brenz und mit den in den Texten behandelten Sachverhalten vertraut. Karten und Graphiken dienen der Veranschaulichung.

Das Buch ist nicht nur, wie man bei einer ersten, oberflächlichen Betrachtung vermuten könnte, für den anvisierten englischsprachigen Leserkreis interessant, sondern für die Brenz- und Reformationsforschung allgemein, denn es präsentiert einige bislang unedierte Brenz-Texte. Obwohl die Verwertbarkeit dieser Texte infolge der vorgenommenen Übersetzung begrenzt ist, wird durch sie das Bild von Brenz an einigen interessanten Stellen erweitert. Sie zeigen, wie Brenz - eindeutiger als Luther- den weltlichen Obrigkeiten die Aufgabe zuerkannt hat, Religionsangelegenheiten einschließlich der Frage nach der wahren Lehre zu regeln. Seine Konzeption des "christlichen Staates" (christian state), die die präsentierten Dokumente veranschaulichen, wurzelt nach E. einerseits in dem von einem vorreformatorischen Territorialkirchentum geprägten städtischen Milieu, in dem Brenz groß geworden war und wirkte andererseits in dem erasmischen Humanismus, den Brenz in Heidelberg kennen gelernt hatte (vgl. 12 f.).

Hervorzuheben ist, dass eine vergleichbare Textsammlung in deutscher Sprache bislang nicht existiert, in englischer Sprache also etwas geschaffen wurde, was gleichermaßen in deutscher Sprache wünschenswert wäre. Ferner lässt die Textsammlung den Wunsch nach einer Fortsetzung der 1970 begonnenen, aber 1986 ins Stocken geratenen Edition der "Werke" Brenzens aufkommen. Vielleicht sollte der Tübinger Mohr-Verlag versuchen, den von seinen Lehrverpflichtungen entbundenen kanadischen Forscher für diese Aufgabe zu gewinnen.

Im Einzelnen werden von E. folgende Brenz-Texte präsentiert: der Sermon über das "christliche Wesen" (1524/25), die "Unterrichtung der zwiespältigen Artikel christlichen Glaubens" (1525) und die Auseinandersetzung mit den Zwölf Artikeln der Bauern (1525), alle den 1970 wissenschaftlich edierten Frühschriften (Bd. 1) entnommen. Aus dem Stadtarchiv Schwäbisch Hall stammen ein auf 1524/25 datierter, bislang ungedruckter Text Brenzens über die Notwendigkeit der Predigt für die Auferziehung der Jugend und die ebenso der Wissenschaft bislang nicht in gedruckter Form zur Verfügung stehende, in jeder Hinsicht interessante "Reformation der Kirchen zu Schwebischen Hall", ferner eine instruktive Stellungnahme zur Brandenburg-Nürnberger Kirchenordnung von 1531. Bereits gedruckt zur Verfügung stand die wahrscheinlich an den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach gerichtete "Ursache, warum ein christlicher Fürst ... christlichen Gottesdienst anzurichten verschaffen soll" (1529). Brenz' Interesse an Kirchenzucht spiegelt seine 1531 als Flugschrift veröffentlichte, auch in der Flugschriften-Mikrofiche-Ausgabe Hans-Joachim Köhlers enthaltene Schrift über Sendgerichte und "Landzucht". E. übersetzt ferner die Vorrede von Brenz zur württembergischen Kirchenordnung von 1535 und die Visitationsordnungen von 1535 und 1553, Texte, die seit dem Reformationsjahrhundert bereits mehrfach gedruckt wurden. Interessant sind vier Predigten Brenzens aus den Jahren 1541 bis 1546 aus dem Anlass von Magistratswahlen in Schwäbisch Hall, von denen zwei bislang nur in einem schwer erreichbaren Druck des Jahres 1564 vorlagen. Den umfangreichsten Einzelteil des Buches bilden Auszüge aus der Großen württembergischen Kirchenordnung von 1559.

E.s Textband wird sicherlich dazu beitragen, dass Johannes Brenz, dessen 500. Geburtstag 1999 gefeiert worden war, als Reformator weiter aufgewertet wird und in Zukunft mehr Beachtung finden dürfte. Brenz gehört zu den wenigen Gestalten der Reformationsgeschichte, die von Anfang an die reformatorische Bewegung mitgestaltet und die ganze Epoche, bis zum Ende, miterlebt haben. Brenz starb, als einer der letzten Reformatoren, im Jahre 1570.