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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

891 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schröter, Jens

Titel/Untertitel:

Jesus und die Anfänge der Christologie. Methodologische und exegetische Studien zu den Ursprüngen des christlichen Glaubens.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2001. XI, 252 S. 8 = Biblisch-Theologische Studien, 47. Kart. Euro 24,90. ISBN 3-7887-1877-3.

Rezensent:

Petr Pokorn'y

Außer der ausführlichen Einleitung, in der - ähnlich wie im Kapitel II - über hermeneutische Fragen und über die Vorgeschichte der gegenwärtigen Jesus-Forschung berichtet wird, enthält der Band fünf exegetische und biblisch-theologische Studien, die das im Untertitel angekündigte Thema illustrieren oder zusammenfassend reflektieren. An einigen Stellen deckt sich die Argumentation mit dem, was Sch. in seinem Buch "Erinnerung an Jesu Worte. Studien zur Rezeption der Logienüberlieferung in Markus, Q und Thomas" (1997) bringt, vor allem wird aber der umfassende Rahmen der dort besprochenen Probleme diskutiert. Viel Aufmerksamkeit wird auch der Auslegung einiger Texte gewidmet, die für das Verständnis der ältesten Jesustraditionen maßgeblich sind. Alle Beiträge behandeln- direkt oder indirekt - das Verhältnis des Markusevangeliums und der Logienquelle (Q), vor allem die Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Jesusdarstellungen.

Die Studie "Markus und Q als produktive Erinnerungen an Jesus" betont zunächst, dass das Markusevangelium ("Markus") und die Logienquelle (der Zweiquellentheorie entsprechend) die entscheidenden Dokumente der Rezeption des Wirkens Jesu sind. Das Thomasevangelium kann einzelne alte Sprüche enthalten, aber da der narrative Rahmen fehlt und das ganze Konzept eine spätere Stufe der Jesusüberlieferung ("verborgene Worte") widerspiegelt, ist seine Bedeutung für die Konstruktion eines kritischen Jesusbildes begrenzt.

In beiden Texten finden sich gewisse auffällige Gemeinsamkeiten: Das Auftreten von Johannes dem Täufer wird zum Wirken Jesu in Beziehung gesetzt (zeitlich und thematisch), und der kommende Menschensohn wird zur gemeinsamen (apokalyptischen) Perspektive menschlicher Hoffnung. Die Unterschiede sind dagegen nicht so auffällig. Z. B. spielt in der Logienquelle der Täufer die Rolle eines komplementären Gegenübers Jesu, während er bei Markus die Rolle eines Vorgängers übernimmt. Der auffälligste Unterschied ist, dass in Q Jesus nicht als Christus (Messias) bezeichnet wird. Angesichts der Schlüsselrolle des Menschensohns sowohl bei Markus als auch in Q (seine Rolle in der Soteriologie ist schon durch 1Hen und 4Esra vorgeprägt) kann dies die Kohärenz des Rahmens nicht überschatten.

In den "Bemerkungen zur gegenwärtigen Q-Forschung" behandelt S. die Frage der möglichen Gattung von Q, die er vorläufig als "historische Erinnerungen" definiert, und kritisiert überzeugend die Stratifizierung, die John S. Kloppenborg in seiner bekannten Monographie voraussetzt.

In den "Erwägungen zum Gesetzesverständnis in Q anhand von Q 16,16-18" vergleicht S. die beiden Fassungen des Logions je in ihrem Kontext. In Q wird die Frage nach dem Gültigkeitsbereich des Gesetzes im Zusammenhang mit derjenigen nach dem Verhältnis von Johannes und Jesus diskutiert. Matthäus entfaltet die Rolle des Täufers, während Lukas das Thema des Gesetzes als einer der Reich-Gottes-Verkündigung korrespondierenden sozialethischen Größe thematisiert. - In dem bekannten Wort von der Gültigkeit des Gesetzes (Luk 16,17par) wird eigentlich proklamiert, dass der Anfang der eschatologischen Zeitperiode keine Relativierung des Gesetzes bedeutet, eine Behauptung, die offensichtlich für die frühen judenchristlichen Gemeinden bezeichnend war. An diesem Punkt unterscheidet sich Q von der gesetzeskritischen Position sowohl des Markus (7,1-23) als auch des Paulus (Rechtfertigung durch den Glauben).

Um die Rolle der Menschensohn-Christologie kreist auch der Beitrag "Jesus der Menschensohn. Zum Ansatz der Christologie in Markus und Q". Im Unterschied zu der früheren Forschung, die die markinische Christologie als Korrektur der von den Vorstellungen hellenistischer Volksfrömmigkeit abhängigen Deutungen der Gestalt Jesu verstand (z. B. T. J. Weeden), entfaltet Markus nach Sch. ein Bild Jesu, das zur Reich-Gottes-Verkündigung passt. Die irdische Tätigkeit Jesu als des Menschensohnes war danach der Anfang des Hereinbrechens des Reiches Gottes. Dieser Zug der Christologie tritt in der Logienquelle nicht in den Vordergrund. Was die Rolle des Menschensohns betrifft (jetzt zeichenhaft wirkend, im Eschaton als der himmlische Richter), entspricht sie sowohl in Q als auch bei Markus der inneren Gestalt der Jesus-Verkündigung, so dass es kaum möglich ist, von einem nichtmessianischen Leben Jesu zu sprechen. Eine Menschensohn-Christologie bildet das Prae der Christologie in den beiden ältesten christlichen narrativen Texten. Die anderen Hoheitstitel, wie der des Christus und des Sohnes Gottes, wurden diesem Schema angepasst.

In dem Aufsatz über "Jerusalem und Galiläa: Pluralität und Kohärenz im Urchristentum" setzt sich S. mit der Meinung von Helmut Koester auseinander, wonach Markus und Q zwei voneinander unabhängige Zugriffe auf die Bedeutung Jesu repräsentieren, so dass für das älteste Christentum eine Pluralität von Christologien bezeichnend sei. Nach S. ist die Kohärenz stärker: Sie spiegelt sich in den Gemeinsamkeiten der ersten narrativen literarischen Texte der Kirche wider und ist durch die Wirkung des irdischen Jesus mit beeinflusst. Von Pluralität kann nur innerhalb der Kohärenz die Rede sein (219). Jesus als Repräsentant Gottes: so wird der gemeinsame Nenner charakterisiert.

In der methodologischen Einleitung (6-36) wird die Analyse der literarischen Texte im Sinne der gegenwärtigen Hermeneutik als eine indirekte Methode der Erschließung der Vergangenheit bezeichnet, die das Vergangene nur aus seinen gegenwärtigen Spuren rekonstruiert. Gerade weil sich Sch. jener Voraussetzungen bewusst ist, stellt sein Werk einen der besten Beiträge über die älteste Christologie dar.

Als direkte Kritik sind nur Einzelheiten zu erwähnen: Das Thomasevangelium wird als sekundärer Zeuge zur Seite geschoben, weil es einige ohne Zweifel jüngere Fragmente der Jesusüberlieferung enthält und keinen narrativen Rahmen hat. Der narrative Rahmen der Logienquelle sei dagegen mit dem des Markusevangeliums schon in seiner Eröffnung verwandt, die dem Täufer gewidmet ist. Dies ist strittig. Matthäus und Lukas haben den narrativen Rahmen des Markusevangeliums übernommen, und als sie (irgendwo) in der Logienquelle die Bußpredigt des Täufers fanden, war es klar, dass sie am besten zum Anfang des Markusevangeliums passte. Und da auch Sch. sieht, dass Q als Sammlung der Worte des erhöhten Menschensohns gestaltet war, scheint sie mir gattungsmäßig mehr dem Thomasevangelium als dem Markusevangelium verwandt zu sein.

Die andere Frage ist grundlegend, S. ist jedoch nicht schuld, dass sie nicht diskutiert wurde. Er könnte sie allerdings notieren: Er hat überzeugend nachgewiesen, dass einige der christologischen Aussagen in Q und bei Markus schon in der ältesten Jesusüberlieferung wurzeln könnten (Menschensohn-Worte, Reich-Gottes-Verkündigung). Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass Ostern als Wirkung des historischen Jesus zu erklären ist. Sch. ist ein zu sachlicher Exeget, um dies zu behaupten, aber seine Ergebnisse können in diesem Sinne (miss)verstanden werden.

Das Problem der Interpretation der Osterbekenntnisse und -traditionen sollte also mindestens erwähnt werden, denn die Deutung der festgestellten Kohärenz hängt mit ihm eng zusammen. Denn wir müssen mit zwei komplementären Auffassungen der Kohärenz rechnen: Sie ist einerseits eine direkte Fortsetzung des Wirkens Jesu und andererseits ein Mittel der Inte- gration mehrerer (der Pluralität) nachösterlicher Christologien.