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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

886–888

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Puthussery, Johnson

Titel/Untertitel:

Days of Man and God's Day. An Exegetico-Theological Study of HEMERA in the Book of Revelation.

Verlag:

Roma: Pontificia Università Gregoriana 2002. 325 S. gr.8 = Tesi Gregoriana, Serie Teologia, 82. Kart. Euro 20,00. ISBN 88-7652-913-6.

Rezensent:

Martin Karrer

Die Zeit beschäftigt die Antike seit den Vorsokratikern. Das innerweltliche Sein sei ein "in-der-Zeit-Sein", fasst Aristoteles zusammen (phys. IV 12,221A). Anders evoziert das Motiv des "Tages" Licht und Ferne zum Bösen. So beginnt P. seine Studie (5). Der Leser zieht unwillkürlich Linien zwischen den Tagen des Menschen und dem "In-der-Zeit-Sein" sowie dem "Tag" Gottes und Licht gegen alles Böse und Gefährdende in der Zeit. Er erwartet ein spannungsreiches Ineinander dieser beiden Blickwinkel auf die Zeit.

Die Studie löst das ein und bleibt doch hinter dem eröffnenden Impuls zurück. Denn sie ordnet sich in die gegenwärtig beliebte Untersuchung von Textstrukturen ein und erschließt das Thema konzentriert auf die Oberflächenebene der Apk. Sie verzichtet darauf, Züge des populärphilosophischen Zeitdenkens, die in die Apk eindringen (die Variante der Drei-Zeiten-Formel 1,19 usw.), und Traditionen um das Bild des "Tages" (bis zum "Tag des Herrn") über gebündelte Untersuchungen selbständig herauszuarbeiten und beschränkt kultur- und religionsgeschichtliche Hintergrunds-Erörterungen auf die Details um die 21 Belege von hemera in der Apk (auch bei der Strukturbildung "Tag und Nacht", die uns in 4,8; 7,15; 12,10; 14,11 und 20,10 anders als in 21,25 begegnet; 231-238).

In solcher Nachzeichnung des Textes entscheidet sich P., den ersten, weichenstellenden Beleg, die kyriake hemera in 1,10, auf den Sonntag mit Gottesdienst und Schriftverlesung zu beziehen: Zur Zeit der gottesdienstlichen Versammlung und zur dortigen Mitteilung bestimmt (s. 1,4) erfahre Johannes seine Visionen über die Macht des auferstandenen Herrn in der Geschichte (27-59). Dass die Apk damit den ältesten Beleg für "Herrentag" = "Sonntag" darstellt, ist P. bewusst und gut möglich. Auffällig bleibt jedoch, dass dieser Tag keineswegs als ganzer Gottesdiensttag war; da die Gemeindeglieder arbeiten mussten, versammelten sie sich laut Plinius, ep. X 96,7, vor Sonnenaufgang und ein zweites Mal später. Auf eine analoge Konkretisierung der Zeitangabe verzichtet die Apk aber in 1,10 und passim auffällig. Wir sollten den zweifellos vorhandenen Gottesdienstbezug insofern nicht überspitzen.

Im Gottesdienst erlebt die Gemeinde - so P.s These weiter, dass sie in der Gegenwart nicht minder als in der Zukunftsverheißung Gottes Basileia bildet (1,6.9 u. ö.). Im irdischen Leben (den "Tagen des Menschen") ist sie daher aufgerufen, durch ihr Zeugnis als "co-agents" Christi an der Transformation der Welt bis zum endgültigen Sieg, dem Tag Gottes, teilzuhaben, zu dem ihr Herr sie führt (58).

Der Fortgang der Apk gibt dem eine deutliche Linie. Die Tage der Kirche sind durch innere wie äußere Probleme (Antagonismus zum Staat und - in 2,10 - zur jüdischen Gemeinde) vielfach überschattet. Sie rufen deshalb nach einer neuen Perspektive, vermitteln die Sendschreiben (mit 2,10.13; 61-105). Die drei Siebener-Reihen weisen diese Perspektive aus: Der eine Gott, der nach Ausweis des Alten Testaments stets zur Hilfe seines Volkes in die Geschichte eingriff, engagiert sich gegen jede Form und jeden Ausdruck von Negativität in der Geschichte (Belege von 6,17- 16,14; 109-219). Er wirft das Böse, wirksam für die Geschichte, nieder (18,8 bis 20,10; 221-237). - An diesem Weg der "transformation" partizipiert die treue Gemeinde, rundet P. den Gedanken (wiederholt bis 271). Der Tag ohne Nacht im himmlischen Jerusalem (21,25) manifestiert Gottes Herrlichkeit in die Welt hinein, auf dass die Gemeinde von der Mitte des Gottesdienstes aus in die Welt mit dem Horizont wirke, alle zur Akzeptanz von Gottes Herrschaft zu bringen (238-252).

Die konkreten Zahlen der Apk erhalten bei dieser Auslegung symbolischen Charakter. Die zehn Tage in 2,10 erinnern an eine begrenzte und gestaltbare Zeit (vgl. die zehn Finger; 79 f.), das Drittel der Verdunkelung in 8,12 an die Dunkelheit in den Exodus-Plagen und Am 8,9 (137). Die 1260 sowie 3,5 Tage in 11,3. 9 usw. halbieren Siebener-Zyklen (sieben Jahre, sieben Tage der Sabbatwoche) und signalisieren dadurch, dass Gott die prä-eschatologische Periode verkürzt (198 f.; Kap. 11 liegt in der Deutung P.s wegen seines Geschichtsinteresses vor dem Eschaton). P. folgt dabei - wie auch sonst in den Einzelexegesen - jeweils Literaturvorschlägen und erschließt kein neues Material (eine mögliche Vertiefung etwa darüber, dass die Antike Zeit seit Aristoteles zählend zu erfassen versucht, interessiert ihn nicht).

Die schwierigste und zugleich folgenreichste Entscheidung trifft P., indem er die apokalyptische Bildlichkeit und Härte der Visionen einem tiefer liegenden paränetisch-prophetischen Anliegen unterordnet: Die Apk sei ein Buch der Hoffnung und Ruf zum Handeln in den Tagen des Menschen; sie ermuntere die Menschheit, an Gottes Engagement in (!) der Geschichte teilzunehmen (255-269.272).

P. hofft dadurch "to make revelation less intimidating for those who love the Word of God" (Schlusswort 272). Der Rez. indes gewinnt den Eindruck, P.s Lektüre sei von vornherein und stärker als vom Text geboten durch dieses Anliegen bestimmt. Um in die Zeit hinein zu wirken und nicht mit ihr zu brechen, nimmt seine Auslegung jedenfalls wiederholt eine Annäherung an die Tradition weltgeschichtlicher Deutung in Kauf (gebrochen durch die Bemühung, die Härten der Apk hermeneutisch zu lösen), obwohl die Fassung des Apk-Korpus als Visionen- und nicht Geschichtsfolge dem widerrät (dem ausschlaggebenden Leitsignal åÔ ab 1,7; 4,1 f. widmet P. keine Aufmerksamkeit). Problematische Gewaltzüge in der Christologie brechen ab. Erlösungsoptimismus (269) und ein Impuls an die Völker, sich in einer Konversion heilen zu lassen, nicht die Skepsis des Textes gegen die "draußen" (die bis 22,15 durchschlägt) gewinnt für Plagenreihen und himmlisches Jerusalem das Übergewicht (samt einer Interpretation von therapeia 22,2 nach hemera in 21,25 auf innerweltliche Konversion hin; 248 f.).

Die Studie ist durch Register gut erschlossen. Ihr bleibt das Verdienst, eine pointierte These zum Zeitverständnis der Apk vorgelegt zu haben, und da die in der Literatur gelegentlich erwähnte Dissertation D. A. Gray's The Day of the Lord and its Culmination in the Book of Revelation, University of Manchester 1974, nicht zugänglich ist, bearbeitet sie den hemera-Begriff derzeit am umfangreichsten in der Forschung. Aber das heißt nicht, dass nicht weitere Arbeit am Thema sinnvoll und wünschenswert wäre.