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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

877–879

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Willis, Timothy M.

Titel/Untertitel:

The Elders of the City. A Study of the Elder-Laws in Deuteronomy.

Verlag:

Atlanta (Georgia): Society of Biblical Literature 2001. XIV, 353 S. gr.8 = The Society of Biblical Literature Monograph Series, 55. Geb. US$ 49,95. ISBN 1-58983-013-X.

Rezensent:

Rainer Kessler

Wiewohl einem vergleichsweise engen Thema gewidmet, nämlich den fünf Gesetzen im Deuteronomium, in denen Älteste eine Rolle spielen, bringt W.s Arbeit weiterführende Einsichten sowohl auf dem Gebiet der Geschichte der Rechtsinstitutionen als auch auf dem der literarischen Verhältnisse im Deuteronomium. Die Studie geht zurück auf eine Harvard-Dissertation über Älteste in vorexilischen Kontexten überhaupt, die in einer gründlichen Überarbeitung auf das angegebene engere Feld fokussiert wurde. Sie umfasst acht Kapitel, fünf davon sind den fünf einschlägigen Gesetzen gewidmet, zwei befassen sich einleitend mit der Institution der "Ältesten der Stadt" sowie dem Rechtssystem im Deuteronomium, das achte zieht "General Conclusions".

Kap. 1 also hat zum Gegenstand: The Elders of the City: Preliminary Considerations. W. grenzt zunächst seinen Untersuchungsgegenstand ab - auch in Auseinandersetzung mit einschlägiger Literatur (J. Buchholz, J. Ch. Gertz). Es geht ihm nicht um Älteste überhaupt, nicht um "Älteste Israels" oder Älteste eines Stammes. Es geht ihm ausschließlich um die Einrichtung der "Ältesten der Stadt" und deren Rolle im lokalen Kontext. Auch wenn das hebräische "Stadt" (îr) ein breites Spektrum von Siedlungsgebilden abdeckt, liegt doch immer ein sozialer Kontext zugrunde, den W. als "kinship-based communities" bezeichnet. Die Tatsache, dass es solche auf Verwandtschaftsbeziehungen basierende Gemeinschaften weltweit bis heute gibt, macht sich W. dabei methodisch für seine Untersuchung der dtn Gesetze zunutze. Er zieht für jedes Gesetz Material aus den in der modernen Ethnologie beschriebenen Gesellschaften Afrikas und des westlichen Asien bei. Dieses ergänzt er durch einen Blick auf das den biblischen Texten näherstehende Keilschriftmaterial, um dann erst die dtn. Texte selbst zu analysieren.

Das 2. Kap. mit dem Titel The Judicial System of the Deuteronomic Code stellt die Weichen sowohl für die Beurteilung der literarischen Verhältnisse im Deuteronomium als auch für die Institutionengeschichte. Dabei zeigt sich, dass die Mehrzahl der durchaus weit auseinander liegenden Ansätze zum Deuteronomium in einem übereinstimmt: einer zirkulären Argumentationsfigur. Weil man das Nebeneinander von Ältesten, Richtern und Priestern, wie es einige dtn. Gesetze zeigen, institutionell nicht für möglich hält, greift man zu diachronen Lösungen, und diese wiederum sollen belegen, dass es ursprünglich reine Ältestengerichte gab, in die dann in fortgeschrittener Zeit (etwa im Zusammenhang mit Zentralisierungstendenzen in der Zeit Joschijas) Richter und Priester eindrangen. Oder man nimmt umgekehrt eine Zunahme des Einflusses der Ältesten an, weil deren Rolle durch das Ende des judäischen Staates in exilischer Zeit gewachsen sei. Demgegenüber zeigt der Durchgang durch das außerbiblische Material: "In fact, such a combination of adjudicators has many analogies in contemporary societies, and it is common in the nations of the ancient Near East. It would be more surprising, in my opinion, if one were not to find a multiplicity of judicial offices" (83). Das aber heißt für die Redaktionsgeschichte des Deuteronomiums: "The preceding examinations show that it is very plausible that the D code presents a redactionally unified judicial system from a single time period, rather than a conflation of two or more systems from variant eras" (82). Den verschiedenen Akteuren kommt dabei folgende Arbeitsteilung zu: "The present reconstruction suggests complementarity in the functions of these institutions, as elders adjudicate local matters, and judges and priests deal with special and unresolved cases, and with inter-municipal matters" (88).

Trotz der Annahme eines institutionengeschichtlich einheitlichen Systems rechnet W. mit zwei literarischen Schichten, einer vor-dtn und einer, die er - recht unbestimmt - als "Deuteronom(ist)ic" bezeichnet (112). In diesem Rahmen werden nun die einzelnen Gesetze behandelt. Beim Gesetz über die Asylstädte (Dtn 19,1-13) arbeitet W. heraus, dass sein Ziel das Wohlergehen der Gemeinschaft ist, indem die Folgen einer schlimmen Tat für die Gemeinschaft möglichst minimiert werden (132). Voraussetzung des Gesetzes ist, dass nur eine Stadt betroffen ist, weshalb in ihm auch nur die Ältesten als Akteure erscheinen.

Das ist anders bei dem Gesetz von Dtn 21,1-9, bei dem Opfer und Täter unbekannt sind und das Verbrechen außerhalb einer festen Siedlung begangen wurde. Da es sich hier um "inter-village matters" handelt, tritt in V.2 zunächst ein - in der Literatur fast unisono literarkritisch entfernter - Richter auf, der im weiteren Text nicht mehr erwähnt wird, weil er nach Klärung der Zuständigkeit keine Funktion mehr hat (150). Auch die ebenso gern gestrichenen Priester in V. 5 gehören nach W. in den ursprünglichen Text, überwachen sie doch den Reinigungseid der Ältesten und haben damit eine notwendige Funktion (151 f.). Zur Rolle der Ältesten kann aus Dtn 21,1-9 geschlossen werden, dass sie nicht nur ihre Gemeinschaft nach außen, sondern auch gegenüber der Gottheit repräsentieren (162).

Am Gesetz über den rebellischen Sohn (Dtn 21,18-21) ist W. vor allem wichtig, dass hier entgegen häufig geäußerter Meinung keine Verlagerung von Autorität aus der Familie heraus hin zur Gemeinschaft oder zum Staat zu beobachten ist. Vielmehr stünden Familien immer in der Spannung zwischen Familiensolidarität auch einem Übeltäter gegenüber und dem Streben nach Ansehen in der Gemeinschaft, das durch ein solches "schwarzes Schaf" gefährdet ist. Die Ältesten sind gerade deshalb in den Fall involviert, weil das Verhalten eines einzelnen Familienglieds die gesamte Gemeinschaft tangiert. Sie haben dafür zu sorgen, dass die Eltern nicht falsche Milde walten lassen. "The role played by the city elders, then, is to uphold the moral integrity of the community" (180).

Auch beim Gesetz über Beschuldigungen wegen Unkeuschheit (Dtn 22,13-21) geht es W. zufolge nicht um staatliche Eingriffe in Familienangelegenheiten. "Once again, it is inappropriate to characterize the intent of such a law as a move to restrict the authority of a male head of household. This case naturally comes before the city elders because it entails a dispute between two families" (227).

Auch beim Gesetz über die Leviratsehe (Dtn 25,5-10) ist für W. selbstverständlich, dass Älteste involviert sind. Denn für den Fall, dass der Schwager seine verwitwete Schwägerin nicht heiratet, sind automatisch zwei Familien involviert, die des verstorbenen Mannes und die der Frau. Zudem nehmen die Ältesten für den Fall, dass es nicht zur Leviratsehe kommt, notarielle Aufgaben wahr, müssen doch die Eigentumsverhältnisse bei Mitnahme der Mitgift geregelt werden.

Das 8. Kap. mit General Conclusions fasst die Rolle der Ältesten zusammen. Sie haben verschiedene Funktionen: gerichtlich, notariell, repräsentativ und kultisch. Ihre Autorität ist auf die örtliche Gemeinschaft beschränkt. Sobald ein Fall diese Grenze überschreitet, müssen andere Instanzen mit einbezogen werden. Und oberstes Ziel ihrer Rechtsprechung ist Versöhnung, um so die moralische Integrität und die soziale Solidarität in ihrer Gemeinschaft aufrecht zu erhalten.

W.s Ausführungen zur Einheitlichkeit des Gerichtssystems im Dtn sind durchaus überzeugend. Fraglich ist allerdings, ob er die Ältestengerichtsbarkeit sozialgeschichtlich richtig situiert. Bei allen Familiengesetzen unterstreicht er, hier gehe es nicht um die Entmachtung der Familien zugunsten von Gemeinschaft und Staat. Stillschweigend unterstellt er dabei, Konflikte zwischen Familien seien schon immer von Ältestengerichten geschlichtet worden. Dies aber ist eine unbewiesene Voraussetzung, denn auf jeden Fall ethnologisch ist auch eine Lösung allein durch bilaterale Verhandlungen ohne schlichtende Instanz belegt, und auch bestimmte biblische Traditionen weisen darauf hin (F. Crüsemann, Tora). Gerade das von W. aufgezeigte Ineinander von Ältesten und Richtern und Priestern könnte als Beleg dafür gelesen werden, dass das Gericht durch die Ältesten der Stadt gerade eine Form staatlicher Gerichtsbarkeit ist.