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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

872–875

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Koole, Jan L.

Titel/Untertitel:

Isaiah. Part III. Vol. 3: Isaiah Chapters 56-66. Engl. Translation by A. P. Runia.

Verlag:

Leuven: Peeters 2001. XXII, 531 S. gr.8 = Historical Commentary on the Old Testament. Kart. Euro 50,00. ISBN 90-429-1065-8.

Rezensent:

Hans-Jürgen Hermisson

Dies ist der dritte Teil von Jan L. Kooles großem Deutero- und Tritojesaja-Kommentar, im niederländischen Original 1995 erschienen und nach den Bänden 1 (1997) und 2 (1998) vom gleichen bewährten Übersetzer ins Englische übertragen. Die Einleitung zu Tritojesaja, der in diesem Band ausgelegt wird, findet sich in der englischen Ausgabe bereits zu Beginn des Deuterojesaja-Kommentars (III/1); K. hatte sie nach Abschluss der Auslegung von Jes 40-66 dem dritten Band vorangestellt. In dieser Einleitung stellt er seine Sicht des gesamten Jesajabuchs dar; mit gutem Grund, weil der Ausleger die Texte trotz unterschiedlichen Ursprungs der drei Buchteile auch in ihrem übergreifenden Zusammenhang lesen muss.

Für die Vorzüge dieses Tritojesaja-Kommentars gilt, was bereits in der Besprechung der beiden Bände der Deuterojesaja-Auslegung festzuhalten war (ThLZ 123 [1998], 850-852 und 124 [1999], 1110-1112): K. interpretiert die Texte mit großer philologischer Sorgfalt und umfassender Kenntnis einer zweitausendjährigen Auslegungsgeschichte, die im Kommentar angemessen zu Wort kommt. Abweichende Meinungen neuzeitlicher Kommentatoren werden referiert und diskutiert, die Er- gebnisse sind immer mit bedenkenswerten Argumenten abgesichert. Dass viele Entscheidungen umstritten bleiben werden, versteht sich von selbst; von einer in den Augen des Rezensenten grundlegenden Problematik ist noch zu sprechen.

Die einzelnen Perikopen werden gemäß der Anlage des ganzen Kommentars in verschiedenen Schritten ausgelegt: Auf die Übersetzung folgt ein Abschnitt "Essentials and Perspectives", in dem der Inhalt zusammengefasst und der theologische Ertrag vor allem für den Prediger der Texte formuliert wird. Die wissenschaftliche Exegese ist zweigeteilt in "Scholarly Exposition (I)/Introduction to the Exegesis" und "Scholarly Exposition (II)/Exegesis". Der erste Teil behandelt Abgrenzung und Aufbau der Perikope sowie Probleme der Form, dazu in der Hauptsache literarkritische und redaktionsgeschichtliche Fragen: Hier diskutiert K. die unterschiedlichen Vorschläge für eine diachrone Sicht der betreffenden Einzeltexte - mit fast durchweg negativem Ergebnis.

Die Exegese im zweiten Teil erklärt versweise die einzelnen Wendungen; dabei werden auch textkritische Probleme erörtert und fast immer zu Gunsten des überlieferten Masoretischen Texts entschieden. In der englischen Ausgabe ist jedem Vers noch einmal die nach Versteilen gegliederte Übersetzung vorangestellt. Das ist hilfreich für den Leser, der die Details nachvollziehen will, andererseits wird der Zusammenhang des Texts auf diese Weise eher verdunkelt. Überhaupt wünschte man sich am Ende der gelehrten und kenntnisreichen Detailauslegung einer Perikope eine Zusammenfassung der Ergebnisse, die den Text noch einmal in seinem gedanklichen Verlauf nachzeichnet. Die einleitenden "Essentials and Perspectives" ("hoofdlijnen en perspectieven") leisten das nur begrenzt, weil das Interesse hier - nach einer allgemeinen Inhaltsangabe - mehr dem gesamtbiblischen und theologischen Ertrag gilt.

Aus der Einleitung zum Jesajabuch (Bd. III/1, 1-43) sind im Blick auf Tritojesaja ( 8-12) zwei bemerkenswerte Ergebnisse K.s herauszustellen. Zum einen sucht er das übliche zeitliche Verhältnis von Deuterojesaja und Tritojesaja umzukehren: Gerade die bekannten "deuterojesajanisch" klingenden Texte des Tritojesajabuchs sind für ihn eher das - z. B. noch weniger entwickelte - Original, das bei Deuterojesaja aufgenommen und ausgebaut wird (III/1, 23 ff., zusammenfassend 27). Tritojesaja wird demgemäß in die Zeit nach Jerusalems Untergang im Jahr 587 angesetzt; als Argument dafür gilt auch eine Reihe von Beziehungen zu den Threni. Nun ist das "Hysteron-Proteron" eines Abhängkeitsverhältnisses immer dann eine heikle Frage, wenn man keine eindeutigen zeitgeschichtlichen Anhaltspunkte hat; gleichwohl spricht die viel größere Geschlossenheit der deuterojesajanischen Gedankenwelt wie der betreffenden Texte, aber auch die Abfolge der Buchteile, viel mehr für eine Übernahme und Abwandlung deuterojesajanischer Originale.

Zum andern hat die Frühdatierung Tritojesajas zur Folge, dass K. in ungleich stärkerem Maß mit einer sukzessiven Entstehung des Buchs oder Buchteils rechnet als bei Deuterojesaja (bei dem er faktisch alle Texte auf den Propheten zurückführt). So ist Jes 56,1-8 wahrscheinlich ein redaktioneller Brückentext mit verbindenden Elementen zu Jes 55 wie zum Folgenden (III/1, 27); Jes 58 und vollends Jes 66 setzen schon eine fortgeschrittene Zeit voraus (III/1, 33). Auch der teilweise, aber nicht durchweg konzentrische Aufbau des Tritojesajabuchs (Jes 59, 1-8 ist nicht parallel zu Jes 63,7-64,11; Jes 58 hat kein Gegenstück) spricht nach K. dafür, dass der Endredaktor wohl bereits exilische Sammlungen vor sich hatte (III/1, 28). - Freilich spielt dieses Zugeständnis an die Diachronie in der Auslegung der einzelnen Texte eine geringe Rolle. Bezeichnend ist z. B. das Schwanken bei der Datierung des Texts zur Tempelbaufrage, Jes 66,1-2(4): Einerseits neigt K. zur Mehrheitsmeinung, die den Text um 520 v. Chr. ansetzt (III/3, 470 ff.), andererseits fragt er noch in der Schlussbemerkung, ob die im Text enthaltene Ermutigung nicht 50 Jahre zuvor besser gepasst hätte (473, vgl. 470).

Auch eine Unausgeglichenheit in der Gliederung des Buches geht wohl auf die nur widerstrebende Anerkennung einer Redaktionsgeschichte des Buches zurück: Der zweite Hauptteil reicht nach K. von Jes 58,1-59,15a, der dritte von Jes 59,9-64,11 (III,1, 29). Die Überlappung der beiden Teile kann man thematisch begründen (Jes 59,9-15a hat inhaltliche Bezüge nach vorn und nach hinten), und in der Auslegung des Texts wird das ganze Kapitel 59 (bis auf den auch für K. redaktionellen V. 21) als ursprüngliche Einheit verstanden. Der Zusammenhang ist aber ohne größere redaktionelle Eingriffe nicht erklärbar.

Dass textkritische Änderungen und literarkritische Unterscheidungen in der Exegese der einzelnen Texte so entschieden zurückgewiesen werden, ist denn auch das erwähnte Problem dieses Kommentars. Es tritt nicht überall in Erscheinung, die meisten Detailfragen sind auch unabhängig davon zu erörtern und werden mit bewundernswerter Sachkunde entschieden. Dennoch führt die "kanonische" Exegese immer wieder einmal zum Konflikt mit dem eigentlichen Textsinn. Wohl habe ich von meinen Tübinger judaistischen Kollegen gelernt, dass der Masoretische Text, mag er noch so entstellt sein, immer einen "Sinn" hat. Aber das ist bisweilen ein atemberaubend artifizieller Sinn - oder Wortlaut -, den man mit großem Scharfsinn und biblischer Kombinatorik gewinnen kann, der aber im ursprünglichen Textzusammenhang nicht gemeint ist.

Dafür ein winziges Beispiel. In Jes 63,9a bleibt K. beim überlieferten Masoretischen Text - mit vielen beachtenswerten Gründen, aber einem unbefriedigenden Ergebnis. Für die Übersetzung "In all their affliction He was afflicted and the angel of his face saved them" benötigt K. das Qe re lô "ihm" statt des Ke tîb lo' "nicht", aber die Korrektur des Konsonantentexts durch das Qe re ist hier nur eine Notlösung der Masoreten. Dass Gott an der Not seines Volkes selbst leidet, ist freilich ein in der Bibel nicht ungewöhnlicher Gedanke, doch schon die unbeholfene sprachliche Konstruktion dieses Satzes, wörtlich "in all ihrer Bedrängnis (war) ihm Enge", spricht dagegen. Vollends unmöglich ist der Ausdruck "Engel seines Angesichts": Erklärbar wird er nur durch die Kombination zweier verschiedener biblischer Überlieferungen von der Führung Israels in der Wüste durch den "Engel Jahwes" und durch "Jahwes Angesicht". Beide Überlieferungen führen mehr oder weniger auf Jahwe selbst als den Führenden, aber man kann sie nicht in dieser Weise kombinieren.

An anderen Stellen wird zwar ein möglicher "kanonischer", d. h. redaktioneller Sinn gewonnen, aber dafür der Eigensinn des Texts verdunkelt. Nun ist durchaus wünschenswert, dass im Unterschied zu vielen früheren Kommentaren auch der redaktionelle Sinn zur Sprache kommt, aber das macht die Nachfrage nach einem ursprünglicheren Sinn nicht überflüssig. Selbst die Meinung des Redaktors zeigt sich oft erst in der Differenz zum vorgegebenen Text. Wo er nur punktuell korrigierte, trifft eine "ganzheitliche" Auslegung weder seine Absicht noch den Sinn der Vorlage. - Das geringe Interesse an der unterschiedlichen Entstehungszeit biblischer Texte steht auch der traditionsgeschichtlichen Untersuchung im Wege. Die "kanonische" Auslegung K.s kann zwar für die einzelnen Wendungen auf zahlreiche biblische Bezüge verweisen, und das ist sinnvoll und notwendig, sofern wir uns in einem begrenzten Sprach- und Gedankenraum mit mancherlei Querverbindungen bewegen. Die eigentlich traditionsgeschichtliche Frage nach der Vorgabe eines Gedankens lässt sich jedoch präzise nur zusammen mit der Frage nach dem Alter der Bezugstexte oder ihrer Traditionen stellen.

Es geht hier um eine methodische Differenz, die auch andernorts zu diskutieren ist. Dem Rang dieses Kommentars wird mit solchen Anfragen kein Abbruch getan. Der inzwischen verstorbene bedeutende niederländische Alttestamentler hat mit der umfassenden Auslegung eines großen und schwierigen Teils des Jesajabuchs ein Werk hinterlassen, das der Ausleger wie der Prediger von Jes 40-66 immer mit Respekt und Gewinn zur Hand nehmen wird.

Es ist deshalb zu begrüßen, dass dieser Kommentar mit der Übersetzung ins Englische nun vollständig auch weiteren Leserkreisen im angelsächsischen Bereich zugänglich gemacht ist. Die Übersetzung ist, soweit sie hier überprüft werden konnte, wieder gediegen und sachgerecht.

Ein eher zufällig entdecktes Versehen sei notiert: S. 1 ist die Übersetzung von V. 6aBC "namely to love with the name of Yahweh" ein Missverständnis der niederländischen Wendung "namelijk met de naam van JHWH lief te hebben"; es müsste etwa heißen: "namely with love of Yahweh's name" oder "... loving the name of Yahweh". - Das Hebräische wird diplomatisch getreu übernommen, aber leider nicht noch einmal überprüft; so werden auch einige hebräische Fehler des Originals reproduziert.