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Ausgabe:

September/2003

Spalte:

871 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Barrick, W. Boyd

Titel/Untertitel:

The King and the Cemeteries. Toward a New Understanding of Josiah's Reform.

Verlag:

Leiden-Boston-Köln: Brill 2002. XII, 274 S. m. 1 Abb. gr.8 = Supplements to Vetus Testamentum, 88. Lw. Euro 73,00. ISBN 90-04-12171-4.

Rezensent:

Winfried Thiel

Der Vf., Schüler von G. W. Ahlström und mit mehreren Arbeiten über die "high-places" hervorgetreten, legt relativ kurz nach der Untersuchung von E. Eynikel (The Reform of King Josiah and the Composition of the Deuteronomistic History, OTS 33, Leiden/New York/Köln 1996) eine neue, originelle Rekonstruktion der josianischen Reform vor. Zunächst lehnt er drei weitgehend akzeptierte Prämissen ab: die Reform als Ausdruck des Bruches mit der assyrischen Oberherrschaft (nichts im Text weise darauf hin), der Fund des Dtn als Anlass für die Reform (literarischer Topos, kaum geschichtlich) und die Hypothese vom DtrG (B. spricht stattdessen von einer "Kings History" KH). Es berührt natürlich sympathisch, dass der Vf. keine Vorverständnisse dieser Art zulässt, doch macht dies seine Argumentationsweise recht kompliziert und nicht leicht nachvollziehbar. Dazu trägt der Aufbau der Arbeit bei: Die Untersuchung setzt mit der chron. Version ein (die ein - wohl unangemessen - hohes Gewicht bei der Beurteilung des Kön-Textes bekommt), geht dann zu 2Kön 23, 15-20 über (V. 16a ist ursprünglich in Jerusalem lokalisiert; 1Kön 13,1-2.4.6.10a entstand nicht vor Josia; 13,11- 32 ist noch später anzusetzen), kehrt dann zu 2Chr 34,4 f. und schließlich zu 2Kön 23,4-20.24 zurück. Die waw-Perfekt-Passagen des Reformberichtes werden aus primär inhaltlichen, weniger aus syntaktischen Gründen als sekundär beurteilt; nur V. 4bß wird (mit Zweifeln) von dieser Entscheidung ausgenommen.

Hinsichtlich der relevanten Texte unterscheidet B. in seiner "Kings History" vier Schichten: KH-1 ("hiskianisch", hierzu gehört 1Kön 12,26-32), KH-2 ("josianisch"), KH-3 ("nach-josianisch") und KH-4 ("nachexilisch"). Zum "ursprünglichen" Reformbericht - in KH-2 enthalten - gehören 23,4ab(bß?). 6-8a.9.11-12ab.13.14b.16a.18. Sie beschreiben ausschließlich Maßnahmen in Jerusalem und Umgebung (nur V. 4bß, falls "original", berücksichtigt Bethel). Die Verbindung mit dem Dtn wurde erst in nachexilischer Zeit vollzogen. Der Fund eines Buches, vielleicht des Bundesbuches oder einer Form von Dtn 32, ist möglich. "That this putative book motivated the reformers is almost certainly a deuteronomistic fiction." (132) Damit ist der wichtigste Grundpfeiler der Pentateuchforschung, etabliert von W. M. L. de Wette, aufgegeben.

Das Zustandekommen der Reform erklärt B. auf dem Hintergrund der politischen, gesellschaftlichen und "ideologischen" Entwicklung Judas zwischen Hiskia und Josia. Er verweist auf den Niedergang Judas nach dem Straffeldzug Sanhe- ribs und den Wiederaufstieg unter Manasse, die Herausbildung eines wachsenden administrativen Apparats auf Kosten der Bauernschaft, das Aufkommen neuer Eliten, den Generationsbruch, das Abreißen der Kontinuität mit den Ahnen in den Gräbern (u. a. durch die Ausweitung Jerusalems), die Desillusionierung und Desorientierung des 7. Jh.s, die die Zuwendung zu Astralkulten und Nekromantie begünstigten. Die Reform Josias sollte diesen Prozess eingrenzen. Sie wird beschrieben als "reactionary pogrom [sic!] engineered by Shaphan and Hilkiah on behalf of the boy-king" (159) bzw. als "a court putsch orchestrated by a relatively small disaffected group within the upper echelons of Judahite society" (171).

Aus der Untersuchung der einzelnen Maßnahmen sei hervorgehoben: Die Verbrennung der Leichen (V. 16a) beabsichtige primär die Schändung der Gebeine (sc. von Angehörigen oder Vorfahren der "Opposition"), erst in zweiter Linie die Desakralisierung des Altars ("verunreinigte ihn" ist sekundär). Die hier genannten Gräber sind am ehesten im Kidrontal zu suchen. Die Aktion gegen die "national shrines" (bamot) reiht B. in eine Geschichtslinie ein: Abschaffung durch Hiskia (18,4a) - Wiedereinrichtung durch Manasse (21,3a; beide Texte werden als historisch angesehen) - Entweihung unter Josia (23,8a). In V. 9 handle es sich nicht um einen Ausschluss der Landpriester vom Altardienst in Jerusalem, sondern um die Vorschrift eines "(re)ordination ritual of some sort" (192; ki 'im sei "unless/ until" zu übersetzen). Dtn 18,6-8 steht also nicht im Hintergrund. V.13 bezieht sich auf Kultanlagen am Ölberg, die von einer legendären, aus der Hiskia-Zeit stammenden Tradition Salomo zugeschrieben wurden. Hingegen ist 1Kön 11,7 f. "a imperfect, secondary, midrashic attempt to place the datum reported in 2Kgs. 23:13 in an historical context" (211; aber was ist mit 11,33?). Die Fortsetzung von V. 13 bildete ursprünglich V. 14b: Die Plätze der Kultbilder (evtl. Kultnischen) wurden mit Gebeinen gefüllt, und so mag auch in den Städten Judas verfahren worden sein (V. 8a).

Schließlich vermutet B., dass hinter dem "Gottesmann" von 1Kön 13 und 2Kön 23,16-18 eine Erinnerung an Amos steht (die Arbeiten von O. Eißfeldt und F. Crüsemann dazu sind B. offenbar unbekannt). Er rechnet sogar damit, dass ein Grab im Kidrontal existierte, das von der Tradition Amos und Hosea zugeschrieben wurde oder in dem beide tatsächlich begraben waren und das infolgedessen von Josia verschont wurde. Damit geht die Arbeit am Schluss in Spekulation über.

Die Untersuchung prozediert auf weiter Skala mit zahlreichen Gesichtspunkten, gestützt auf eine außergewöhnlich breite Literaturbasis. Aber die Argumentationsweise wirkt wenig überzeugend. Die literar- bzw. kompositionsanalytischen Differenzierungen und die damit zusammenhängenden Datierungen erscheinen mir oft unakzeptabel. So wird z. B. die Möglichkeit dtr Querverweise - und zwar in beiden Richtungen - kaum berücksichtigt. Die Verbindungen zwischen dem rekonstruierten Bericht und Vorschriften des Dtn werden beiseite geschoben oder durch Spätdatierung beseitigt. Die Ergebnisse der Untersuchung bedürfen sehr genauer, kritischer Überprüfung.