Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2003

Spalte:

847–849

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Walldorf, Friedemann

Titel/Untertitel:

Die Neuevangelisierung Europas. Missionstheologien im europäischen Kontext.

Verlag:

Giessen-Basel: Brunnen 2002. 397 S. 8 = Systematisch-theologische Monographien, 8. Kart. ¬ 29,90. ISBN 3-7655-9470-9.

Rezensent:

Hadwig Müller

"Das vorliegende Buch" - so schreibt der Autor im Vorwort - "konzentriert sich auf die kontextuell-missionstheologischen Entwürfe, die zwischen 1979 und 1992 in den europaweiten Gremien, Studiengruppen oder Kontaktforen der Kirchen Europas (Rat Europäischer Bischofskonferenzen [CCEE], Konferenz Europäischer Kirchen [KEK], Europäisches Lausanne-Komitee [ELK] entwickelt wurden. Es erzählt die Geschichte der Diskussion, ihrer Hintergründe und Wechselwirkungen (Teile I-IV) und fragt schließlich nach der Identität der unterschiedlichen theologisch-kontextuellen Modelle (Teil V). Abschließend werden Grundlinien einer biblisch-kontextuellen Missionstheologie für Europa aus der Sicht des Autors skizziert." (11) Die Aufgabe seiner Untersuchung präzisiert der Autor in der Einleitung dahingehend: den missionstheologischen Diskussionsprozess auf offiziellen Foren der Kirchen und der Lausanner Bewegung "im Rahmen der gegenwärtigen missionswissenschaftlichen Diskussion zu interpretieren und weiterführende Perspektiven aufzuzeigen" (15).

Der Autor beschränkt sich auf den Zeitrahmen von 1979 bis 1992, weil für ihn in diese Zeit die intensivste Konferenztätigkeit zum Thema Neu-Evangelisierung Europas fällt. 1979 ist das Jahr, in dem Papst Johannes Paul II. diesen Begriff das erste Mal gebraucht, 1992 hat in Bad Boll unter dem Motto "The Whole Church and the Whole Gospel for the New Europe" die European Leadership Consultation on Evangelization des ELK stattgefunden. Zu Recht weist der Autor darauf hin, dass keine missionswissenschaftliche Arbeit vorliegt, die die kontextuellen europäischen Missionskonzepte der genannten Gruppen für den genannten Zeitraum untersucht. Diese Lücke zu schließen, macht den Wert seiner Studie aus. Unter den Hinweisen, die der Autor zur Methode gibt, bezieht sich der wichtigste auf seine Voraussetzungen. "Der Ansatz der Arbeit ist ,evangelikal' im Sinne der Lausanner Verpflichtung (1974). Grundlegend verstehe ich unter evangelikal die fortwährende Bereitschaft, die eigenen Überzeugungen und Handlungsweisen im Licht des biblischen Evangeliums zu prüfen, wo nötig zu verändern und in erneuerter Gemeinschaft und Sendung zum Ausdruck zu bringen. Von hierher sollen die missiologischen Fakten ihre Bedeutung mit dem Ziel der Anbetung Gottes und des Heils der Menschen bekommen ..." (18).

Der erste sehr kurz gehaltene Teil bietet einen missionsgeschichtlichen Einstieg. Darin kommt der evangelikale Ansatz zum Tragen, und es wird deutlich, welche theologische Perspektive zu Grunde liegt. Lesslie Newbigin und seine Bewertungen geben den Bezugsrahmen ab, auf den der Autor immer wieder zurückkommt und den er, sooft er auf ihn zurückkommt, bestätigt findet. Entsprechend klar bestimmen Ansatz und Bezugsrahmen den kurzen Schlussteil (VI), in dem der Autor die "Grundlinien einer biblisch-kontextuellen Missionstheologie für Europa" zeichnet.

Von den vier mittleren Teilen (II-IV) "erzählen" die drei ersten die spannende Geschichte missionstheologischer Entwürfe für Europa an Hand wichtiger Dokumente. Der vierte (V) fasst die Modelle unter bestimmten Merkmalen zusammen.

Ausgehend von der Erinnerung an das II. Vatikanum (besonders "Ad Gentes" und "Gaudium et Spes") und an das Schreiben "Evangelii Nuntiandi" von Paul VI. stellt der erste Teil (II) anhand von Predigten von Johannes Paul II., in denen er das erste Mal von der Neuevangelisierung Europas spricht, und anhand der Symposien des CCEE dar, welche Entwicklung das Konzept der Neu-Evangelisierung Europas zwischen 1979 und 1991 nimmt. Im V. Teil wird dieser Entwurf der katholischen Kirche ungeachtet seiner eigenen Pluralität - denkt man nur an die nicht nur kirchenpolitischen, sondern auch theologischen Spannungen zwischen CCEE und dem Papst - als "ekklesiozentrisches Inkulturations-Modell" zusammenfassend charakterisiert.

Ausgehend von der Vorgeschichte der KEK stellt der zweite Teil (III) die Diskussionsgrundlagen und Erklärungen der verschiedenen Studienkonsultationen der KEK zur Mission in Europa zwischen 1987 und 1991 dar. Besonders in diesem Teil leistet das Buch eine einzigartige Arbeit der Erschließung von Texten, die in dieser sorgfältigen, geordneten Darstellung sonst kaum zugänglich sind. Anders als in dem der katholischen Kirche gewidmeten Teil steigt der Autor hier auch in eine kritische Diskussion ein, wo es um die Bewertung von Säkularisierung und Säkularität, um den Umgang mit der Wahrheitsfrage und um die Normativität des biblischen Textes geht. Leider wird die Auseinandersetzung fast ausschließlich in den Fußnoten geführt. Im Übrigen ist dieser Teil eine Fundgrube von Vorträgen, Stellungnahmen und Gesprächsberichten, denen ihre theologische Suche eine bemerkenswerte Frische gibt. Den Spannungen und dem Reichtum dieser Aussagen wird die Zusammenfassung des Autors im V. Teil unter der Überschrift: "Gott in Europa entdecken: das kosmozentrisch-synthetische Modell" nur bedingt gerecht. Sie benennt vor allem die in der Perspektive der evangelikalen Kritik wichtigen Akzente.

Der dritte und mit Abstand umfangreichste Teil (IV) ist den zahlreichen Tagungen und Texten gewidmet, die das ELK zur Evangelisation Europas zwischen 1984 und 1992 durchgeführt hat. Der besondere Wert dieses Teils liegt darin, dass wiederum eine Fülle von Dokumenten zugänglich gemacht wird, die außerdem zum großen Teil unveröffentlicht sind. Insgesamt herrscht in den hier versammelten Aussagen sicher die größte Einhelligkeit, was das Konzept einer Mission für Europa angeht. Insofern erscheint es als konsequent, wenn der Autor diese Missionstheologie im V. Teil unter dem Titel charakterisiert: "Jesus Christus als Hoffnung Europas bezeugen: das bibliozentrische Übersetzungs-Modell".

Die Arbeit beleuchtet einen wichtigen Ausschnitt aus dem gegenwärtigen missionstheologischen Ringen um die (post-) modernen westlichen Kulturen vor allem dadurch, dass sie Dokumente zugänglich macht. Hier sehe ich allerdings auch eine Grenze der Untersuchung, die ich mit einigen Anfragen verdeutlichen möchte.

Der Autor strukturiert seine Untersuchung nach zwei Prinzipien: Das erste Prinzip ist die Zuordnung zu kirchlich-konfessionellen "Großgruppen", das zweite Prinzip ist die zeitliche Ordnung. Wäre nicht auch eine umgekehrte Reihenfolge denkbar gewesen: zuerst die zeitliche Ordnung, dann die entsprechende Zuordnung von Dokumenten der verschiedenen Kirchen? Damit wären die Geschichte und die politisch-sozialen, kulturellen Elemente, die den jeweiligen Kontext definieren, besser gewürdigt. Die zeitliche Nähe einzelner Dokumente hätte außerdem für eine intensivere Beziehung, eine wechselseitige kritische Relativierung gesorgt. Und eben an dieser wechselseitigen Relativierung und Kritik der Texte und Projekte der drei kirchlichen Großgruppen fehlt es. Die Diskussion, die geführt wird, hat durchweg die Texte der katholischen Kirche und der KEK zum Ziel, die vom evangelikalen Hintergrund angefragt werden - umgekehrt findet keine Infragestellung statt. Eine solche wechselseitige Befragung hätte eine stärkere theologische Reflexion, vor allem zum zentralen Punkt der Hermeneutik, erfordert. In diesem Zusammenhang stellen sich Fragen zum Ergebnis der Arbeit. Gibt es eine neue Einsicht, die der Autor im Zuge seiner Untersuchung entdeckt? Worin verschieben und verändern sich die Vorstellungen, mit denen er seine Untersuchung begonnen hat? Eine solche intellektuelle Bewegung festzustellen, wäre hilfreich dafür, dass seine wertvolle Untersuchung die missionstheologische Reflexion in Bezug auf Europa in Bewegung bringen kann.